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Ablenkmanöver im All
NASA-Raumsonde DART soll Asteroid vom Kurs bringen

Früher oder später wird erneut ein Asteroid auf Kollisionskurs mit der Erde geraten. Um das Überleben der Menschheit zu sichern, wäre es dann hilfreich, seine Flugbahn verändern zu können. Bei der gemeinsamen Mission AIDA proben NASA und ESA nun erstmals, wie das in der Praxis funktionieren könnte.

Von Guido Meyer | 23.11.2021
Die NASA-Sonde DART kurz vor dem Einschlag in den Asteroidenmond  Dimorphos (Illustration) (JHU/NASA)
Die NASA-Sonde DART kurz vor dem Einschlag in den Asteroidenmond Dimorphos (Illustration) (JHU/NASA) (JHU/NASA)
Es ist der 30. Juni 1908, morgens, gegen 7:15 Uhr, irgendwo in der sibirischen Steppe, in der Nähe von Tunguska, der heutigen Region Krasnojarsk. Im wahrsten Sinne des Wortes „aus heiterem Himmel“ wird diese Gegend Russlands für immer verändert: Ein Asteroid dringt in die Erdatmosphäre ein. Er explodiert mit einer Wucht, die fast tausend Hiroshima-Bomben entspricht. Die Druckwelle entwurzelt sämtliche Bäume im Umkreis von 30 Kilometern. Menschen sind in dieser abgelegenen Gegend nicht zu Schaden gekommen, diesmal nicht.

Nur wer seinen Feind kennt, kann sich wehren

„Wir wissen, dass es dort draußen ungefähr eine Million Asteroiden gibt, die größer sind als der von Tunguska. Sie kreuzen regelmäßig die Bahn der Erde. Erfasst haben wir jedoch erst weniger als ein Prozent von ihnen“, sagt der frühere Astronaut Ed Lu. Er stand einst in Diensten der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA. Danach wurde er Mitbegründer der B612 Foundation. Diese privat-finanzierte Vereinigung hat sich nach einem – erfundenen – Asteroiden im Roman „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry benannt.
„Wir müssen unser Wissen über diese Objekte unbedingt vergrößern. Wenn wir keine Ahnung haben, wo was herumfliegt, können wir nichts dagegen unternehmen.“ - Vom Wissen um Asteroiden auf Kollisionskurs könnte das Überleben der Menschheit abhängen. Doch sie ist keinesfalls chancenlos. Sie hat Möglichkeiten, sich zu wehren. Am effektivsten scheint dabei die alte Schulhofmethode zu sein: wegschubsen.

Einfach mal Wegschubsen

So altertümlich diese Angriffs- und Verteidigungsstrategie klingt - womöglich könnte schon ein kleiner Schubs ausreichen, um solch einen gefährlichen, außerirdischen Gegner von seinem Kurs abzubringen. Ob das wirklich funktioniert, soll nun AIDA klären, das „Asteroid Impact and Deflection Assessment“ – eine Weltraummission, bei der eine Sonde auf einem Asteroiden einschlagen und ihn dadurch von seinem Kurs ablenken soll. 
Das Projekt besteht aus einem europäischen und aus einem US-amerikanischen Teil. Als erstes will nun die NASA ihre Sonde starten – die, die schubsen soll. Mit mehr als 20.000 Kilometern pro Stunde soll sie in genau einem Jahr ungebremst auf dem Asteroiden Dimorphos einschlagen.

ESA soll Wirkung überprüfen

Zwei Jahre nach diesem kosmischen Schubser wird Europas Weltraumagentur ESA ihre Sonde hinterherschicken. Sie soll vor Ort nachschauen, wie sich der Asteroid verändert hat. Wie groß ist der Einschlagskrater? Und wie viel Masse wurde durch den Aufprall aus dem Himmelskörper herausgeschlagen?
„Wir werden die eigentliche Show verpassen. Aber wir kommen nicht zu spät, um Messungen anzustellen. Wir wollen die Auswirkungen des Einschlags untersuchen. Wie stark die Einschlagsonde den Asteroiden von seinem Kurs abgebracht hat, hängt von seiner Masse ab und von seinem Aufbau. Wenn Sie auf einen Schwamm Druck ausüben, ist das nicht das Gleiche, als wenn Sie auf Metall drücken. Wir wollen wissen, ob der Asteroid eher sandig aufgebaut ist oder ob er aus massivem Gestein besteht.“
Die Hoffnung von Patrick Michel vom Observatoire de la Côte d'Azur in Nizza, dem Chef-Wissenschaftler des europäischen Teil von AIDA: Asteroid getroffen, Kurs geändert, Mission geglückt, Erde gerettet. Ob das auch gelingt, das wird sich zeigen, wenn sich wirklich einmal solch ein Brocken aus den Tiefen des Alls der Erde nähern sollte. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei – immerhin – einem Prozent pro Jahrhundert.