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Asylpaket der Bundesregierung
"Wir spielen die Probleme der Einheimischen herunter"

Sollte die rot-rot-grüne Landesregierung Thüringens im Bundesrat dem Asylpaket zustimmen, würden große Investitionen für den Bahn-Nahverkehr im Land fehlen, sagte die Landrätin des Ilm-Kreises Petra Enders (Die Linke) im DLF. Man würde so die Probleme der einheimischen Bevölkerung direkt mit den Kosten für Flüchtlinge verknüpfen.

Petra Enders im Gespräch mit Dirk Müller | 15.10.2015
    Frisch gewaschene Wäsche hängt auf einer Leine vor einem Asylbewerberheim in Garzau-Garzin nahe Strausberg im Landkreis Märkisch-Oderland (Brandenburg).
    Die Linke will im (dpa/ picture-alliance/ Patrick Pleul)
    Es müsse nachverhandelt werden, wenn es um die Kürzung dieser Bahn-Regionalisierungsmittel gehe, forderte Enders. "Ich nehme etwas von einer Tasche und gebe es in die andere. So funktioniert das nicht", sagte Enders zu einem möglichen Haushaltsdefizit durch die Verknüpfung dieser Bahnmittel mit den neuen Asylgesetzen. "Wir spielen die Probleme der einheimischen Bevölkerung herunter", warnte die Landrätin aus Thüringen.
    Auf die Frage, ob es in der Abstimmungsfrage Diskrepanzen zwischen Kommunalpolitikern und der Linken-Parteiführung gebe, sagteEnders: "Wir sind die, die mit den Menschen vor Ort reden, wir sind die, die auch die öffentlichen Haushaltsdefizite haben."
    Die thüringische rot-rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) will sich bei der Abstimmung zum Asylpaket im Bundesrat enthalten. Ramelow sagte, dass die Mittel für den Bahnausbau - die sogenannten Regionalisierungsmittel für den Schienenverkehr - mit den verschärften Asylgesetzen verbunden worden wären, ohne dass dies mit ihm im Vorfeld besprochen worden sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Auf der anderen Leitung begrüße ich nun Petra Enders, Landrätin der Linken aus dem Ilm-Kreis in Thüringen. Sie würde, wenn sie könnte, dem Gesetz zustimmen. Guten Morgen!
    Petra Enders: Guten Morgen!
    Müller: Frau Enders, sind Sie auf Merkel-Kurs?
    Enders: Vielleicht anders. Wir haben unsere Landesregierung aufgefordert, nicht nur ich, sondern auch meine Kollegin Sojka, die ebenfalls Landrätin der Linken hier in Thüringen ist, dass wir eine Zustimmung oder ein Signal erwarten in Richtung Ja. Allerdings haben wir auch - und das haben wir auch sehr deutlich gemacht - die Landesregierung aufgefordert, alles dafür zu tun, dass die Verwerfungen oder diese Verknüpfungen, die mit den Regionalisierungsmitteln hier vorgenommen worden sind in diesem sogenannten Asylkompromiss, dass diese Verknüpfung herausgenommen werden muss. Wir haben gesagt, wir können keine weiteren Kürzungen gerade im schienengebundenen Nahverkehr uns erlauben. Wenn man diesem Kompromiss so zustimmen würde, dann hätte das natürlich auch die Auswirkungen, dass Thüringen mittelfristig 580 Millionen Euro weniger zur Verfügung hätte bis zum Jahre 2030 für den regionalen Schienen-Personennahverkehr.
    Müller: Weil das im Zusammenhang steht mit den Investitionen für Flüchtlingsunterkünfte und so weiter?
    Enders: Ja, genauso ist das.
    Müller: Noch mal ganz kurz vielleicht zur Erläuterung. Wir reden ja über Thüringen. Wir reden über die rot-rot-grüne Landesregierung. Wir reden über die Ramelow-Regierung, rot-rot-grün, die sich nach jetzigem Stand, das was wir erfahren haben, morgen sicher enthalten wird.
    Enders: Das ist richtig.
    Nachverhandlung bei der Kürzung von Regionalisierungsmittel
    Müller: Deswegen sagen Sie, wir würden zustimmen, und haben Ramelow, den Parteifreund aufgefordert, zuzustimmen.
    Enders: Wir haben ihm gesagt, dass wir Zustimmung erwarten, insbesondere wenn es um die Besserstellung auch der Möglichkeiten für Integration von Flüchtlingen geht, wenn es um die Besserstellung geht, wenn wir finanzielle Mittel mehr erhalten in unseren Landkreisen für die Unterbringung von Flüchtlingen, für die Integration von Flüchtlingen, die außerordentlich wichtig ist. Das ist eine der größten Aufgaben, die wir jetzt in der Zukunft haben. Wenn es dazu führt, dass wir auch eine Entlastung der öffentlichen Haushalte hinbekommen, ja, an diesem Punkt haben wir gesagt, braucht oder muss Thüringen Zustimmung erteilen. Wir haben aber auch gesagt, auch das haben wir gesagt, es muss nachverhandelt werden, nachverhandelt werden insbesondere dann, wenn es um die Kürzung dieser Regionalisierungsmittel geht. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Da kann ich hier Schäuble nicht verstehen, wenn man sagt, ich nehme das von der einen Tasche, ich tue das von der einen Tasche in die andere Tasche. So funktioniert das nicht. Sonst haben wir nämlich Folgendes: Wir spielen dann im Prinzip auch die Probleme, die die einheimische Bevölkerung hier hat, denn das würde ja auch eine Schlechterstellung des öffentlichen Nahverkehrs bedeuten, mit den anderen Problemen, die die Flüchtlinge mit sich bringen, nämlich eine ordentliche Unterbringungsmöglichkeit, eine ordentliche Beschulung, Bildung und so weiter, das verknüpfen wir hier miteinander. Und ich glaube, so geht das nicht, so funktioniert das nicht. Man muss hier wirklich auch Geld in die Hand nehmen.
    Regionalpolitiker stehen vor Ort Rede und Antwort
    Müller: Frau Enders, wir haben nur noch eine halbe Minute. Ich möchte Sie das noch fragen. Das heißt, es gibt auch eine klare Diskrepanz zwischen der Parteiführung der Linken und den Kommunalpolitikern der Linken, die Verantwortung tragen?
    Enders: Sicher. Wir haben die Verantwortung. Wir stehen letztendlich in der Öffentlichkeit. Wir stehen auch in den Bürgerversammlungen. Wir sind diejenigen, die letztendlich dann auch vor Ort sind, die mit den Menschen dort auch sprechen müssen, wenn es um die Unterbringung geht. Und wir sind es natürlich auch, die in unseren öffentlichen Haushalten auch Defizite haben. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben hier im Ilm-Kreis große Defizite, was die Unterbringung von Flüchtlingen anbetrifft. Das sind fast 700.000 Euro, die uns fehlen, unabhängig von den Personalkosten. Wir mussten ja auch aufstocken, um die Verwaltung ...
    Müller: Liebe Frau Enders, jetzt hören wir beide die Musik. Unsere Nachrichten warten. Jetzt haben wir leider keinen Spielraum mehr. Ich danke ganz herzlich, dass sie für uns Zeit gefunden haben. Petra Enders, Landrätin der Linken aus dem Ilm-Kreis in Thüringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.