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Asylverfahren
Warum die Niederländer aufs Tempo drücken

In den letzten zwei Jahren haben mehr als 11.000 Syrier Asyl in den Niederlanden beantragt. Seit einer Reform der Asylgesetzgebung 2010 werden die Anträge weitaus schneller bearbeitet. Viele Fälle werden jetzt innerhalb von acht Tagen abgehandelt - obwohl sie eigentlich mehr Zeit erfordern.

Von Kerstin Schweighöfer | 07.01.2015
    Eine Frau mit Kopftuch mit Kind auf dem Schoß - sie gehörten zur ersten syrischen Flüchtlingsgruppe, die im September 2013 in Hannover gelandet ist.
    Auch in den Niederlanden hoffen viele Syrer auf Asyl (imago/epd)
    Ein friesisches Dorf in den Schlagzeilen: Rund 500 Flüchtlinge aus Syrien sollte das kleine Rijs im Nordosten der Niederlande aufnehmen. 500 Flüchtlinge - obwohl das Dorf selbst nur ganze 160 Einwohner zählt. "Unmöglich!" fanden diese – und gingen Ende letzten Jahres auf die Barrikaden:
    Rijs ist kein Einzelfall. Die Flüchtlingswelle aus Syrien droht auch den Niederländern über den Kopf zu wachsen. Nur mit Mühe und Not kann für Unterbringung gesorgt werden, die zuständige Behörde, das COA, war völlig überfordert und versuchte, so wie in Rijs, unverhältnismässig viele Flüchtlinge in viel zu kleinen Gemeinden unterzubringen.
    Stattdessen müssen die Flüchtlinge nun umverteilt werden. Denn überall haben die Bürger gegen ihr Kommen protestiert. Auch das niederländische Flüchtlingswerk rügte das Auftreten des COAs als kopflos und übereilt:
    "Die Behörde müsse die Flüchtlinge besser verteilen", so Vizedirektor Jasper Kuipers. Auch, damit sich diese angemessen auf ihre Asylprozedur vorbereiten könnten.
    Diese Prozedur läuft dank einer Reform der Asylgesetzgebung 2010 weitaus zügiger und schneller ab als zuvor. Vor dieser Reform konnte es Jahre dauern, bis ein Asylbewerber wusste, woran er war. Nun dauert es im Durchschnitt nur noch drei Monate.
    Und das, obwohl die Standard-Asylprozedur in den Niederlanden verlängert statt verkürzt wurde. "Beschleunigen durch Entschleunigen" lautete das Motto der Reform. Denn bis 2010 wurde innerhalb von nur 48 Stunden festgestellt, ob ein Asylbewerber für eine Aufenthaltsgenehmigung in Frage kam oder nicht. Für Zweifelsfälle, die sich nicht in 48 Arbeitsstunden eindeutig klären liessen, gab es eine zweite längere Prozedur.
    Doch mit dieser 48-Stunden-Regelung zog sich Den Haag nicht nur herbe Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zu: Die Regelung hatte auch nicht den gewünschten Effekt. Denn Folge war, dass sich 80 Prozent aller Fälle nicht innerhalb von 48 Stunden klären ließen – und in der längeren Prozedur landeten. Deshalb wurden 2010 aus den 48 Stunden acht Tage. Und in diesen acht Tagen lassen sich nun weitaus mehr Asylanfragen behandeln – inzwischen über 70 Prozent.
    Rechtspopulisten wollen strengere Vorgaben
    Doch die Zahl der Berufungs - und Folgeverfahren bei einem abgelehnten Asylantrag hat sich nicht verändert. Denn die acht Tage–Regelung reicht nicht aus, um jeden einzelnen Fall sorgfältig zu prüfen. Und so kommt es, dass abgelehnte Asylbewerber nach wie neue Asylanträge stellen – bis zu fünfmal. Insgesamt geht es bei 15 Prozent aller Asylanträge um Folgeverfahren.
    Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten: Ihnen ist die niederländische Asylgesetzgebung, obwohl sie zu den strengsten Europas gehört, immer noch nicht streng genug.
    Der zuständige Staatssekretär Teeven lasse immer noch jeden herein, schimpfte Geert Wilders im letzten Herbst, um sich dann wieder einmal im Ton zu vergreifen: Teeven, so Wilders, habe das Wort "willkommen!" groß und unübersehbar in sein Brusthaar rasiert.
    Zwei von drei Anträgen werden nach wie vor abgelehnt, daran hat die Reform nichts geändert. So mancher Antrag zu unrecht. Denn, so beanstanden sowohl Asylanwälte als auch das Flüchtlingswerk: Viel zu viele Fälle würden in der acht-Tage-Prozedur abgehandelt, obwohl sie eigentlich mehr Zeit erforderten - etwa um Dokumente wie medizinische Gutachten vorlegen zu können. In einem zweiten Asylantrag werden diese Dokumente dann oft nicht mehr anerkannt – und der Antragsteller zu unrecht abgelehnt.
    Für Menschenrechtsorganisationen ist das eine Folge des Beschleunigens: Wo das Tempo erhöht werde, leide in der Regel die Sorgfalt. Dass sich beides jedenfalls nur schwer vereinbaren lässt, hat auch die Radbout-Universität in Nimwegen der Regierung in Den Haag soeben bescheinigt, in einem ersten Bericht über die Auswirkungen der Asylreform von 2010: Zwar habe die Sorgfalt nicht nachgelassen, mit der Asylanträge behandelt werden. Aber grösser geworden ist sie auch nicht.