Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina pauschal als sichere Herkunftsländer zu erklären, sei nicht richtig, sagte Koenigs im DLF. In allen drei Ländern würden die Roma-Minderheit sowie Schwule und Lesben teilweise noch verfolgt. Dies äußere sich etwa in Diskriminierungen, Beschimpfungen und dem Ausschluss von staatlichen Leistungen. Das Recht der Flüchtlinge aus diesen Länder auf Asyl sei mit der jetzigen Entscheidung der Bundesregierung geschwächt.
Koenigs forderte die Einzelfallprüfung in den Vordergrund zu stellen. "Jeder muss das Recht haben, hier Asyl auch nachzufragen." Dieses Recht sei im Grundgesetz verankert. Für die Asylsuchenden sei es gerade auf dem Klageweg "schwer zu beweisen, dass man persönlich verfolgt wird". Etwa ein Viertel der mehr als 127.000 Asylsuchenden im vergangenen Jahr kam nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Balkan; insgesamt seien zwei Drittel der Asylanträge abgelehnt worden. Eine Besserung der Situation für die Menschen in den drei Balkanländern habe es nicht gegeben. "Den Unmut an denjenigen auszulassen, die die Schwächsten sind, das wäre falsch."
Das Interview mit Tom Koenigs in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Die Bundesregierung will Asylbewerber aus mehreren Balkan-Staaten schneller wieder in ihre Heimat abschieben. Das Kabinett hat deshalb am Vormittag einen Gesetzentwurf beschlossen, in dem Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sogenannte „sichere Herkunftsländer" eingestuft werden. Diese Sprachregelung, die macht es den Behörden möglich, Asylanträge aus solchen Ländern schneller abzulehnen. Menschenrechtsgruppen nennen das unverantwortlich, vor allem, weil aus allen drei Ländern nach wie vor schwere Übergriffe gegen die Roma-Minderheit gemeldet werden.
Mitgehört hat Tom Koenigs, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Angelegenheiten. Schönen guten Tag, Herr Koenigs.
Mitgehört hat Tom Koenigs, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Angelegenheiten. Schönen guten Tag, Herr Koenigs.
Tom Koenigs: Guten Tag, Her Armbrüster.
Armbrüster: Herr Koenigs, wenn wir über diese drei Länder sprechen, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, sind das sichere Herkunftsländer?
Koenigs: Das sind für viele sichere Länder, für wenige, einige wenige aber nicht. Das ist vor allem die Roma-Minderheit, das sind aber auch Schwule und Lesben, die dort teilweise noch verfolgt werden. Das sind Einzelfälle, aber deutsche Gerichte haben ja durchaus festgestellt, dass in Einzelfällen die Verfolgungssituation wirklich besteht. Deshalb finde ich es nicht richtig, die jetzt pauschal als sichere Herkunftsländer zu erklären und damit den Rechtsstatus derer, die hier Schutz suchen, zu schwächen.
Armbrüster: Wenn wir mal dieses abstrakte Wort „Verfolgen" etwas klarer fassen, was verbirgt sich dahinter? Was passiert, wenn Sie sagen, diese Menschen werden verfolgt?
Koenigs: Wenn zum Beispiel Diskriminierungen, Beschimpfungen, auch tätliche Angriffe oder auch Ausschluss von staatlichen Leistungen sich kumulieren und auf einzelne konzentrieren und dann dazu führen, dass ein Leben dort faktisch nicht mehr möglich ist, ohne Angst um Leib und Leben zu haben, das ist eine Situation, die eine Flucht rechtfertigt und die auch eine Person zum Flüchtling macht, wenn er hier herkommt.
Armbrüster: Jetzt sagt die Bundesregierung allerdings, es ist nicht so, dass wir diese Menschen alle pauschal abschieben durch diese neue Bezeichnung „sicheres Herkunftsland", sondern es wird nach wie vor jeder Asylantrag einzeln geprüft.
Koenigs: Es wird aber das Recht des Flüchtlings geschwächt, und der Hochkommissar für Flüchtlinge hat auch zu diesem Gesetzentwurf schon Stellung genommen und gesagt, dass der Rechtsstatus des Flüchtlings extrem geschwächt wird, weil es ihm viel schwerer gemacht wird, Anerkennung zu finden, oder eine abgelehnte Anerkennung rechtlich anzugreifen. Das Verfahren, das jetzt schon ein sehr schnelles Verfahren, fast ein Husch-Husch-Verfahren war, wird noch weiter denaturiert und sozusagen zu einem Pauschalverfahren abgewertet. Das wird auch symbolisch gemacht, dass den Behörden und den Herkunftsländern gesagt wird, na macht ja nichts, ihr seid im sicheren Bereich.
Armbrüster: Ist das dann eine unmenschliche Politik?
Koenigs: Einzelnen gegenüber ja. Einzelnen gegenüber ja und Flüchtlingssituationen, Flüchtlingsschicksale – das wissen wir Deutschen sehr genau – sind auch Einzelschicksale und es wäre richtiger, die Einzelfallprüfung auch in den Vordergrund zu stellen und unabhängig davon, wie viele kommen, jeden einzelnen in sein Recht zu setzen, hier Asyl zu suchen.
"Ich bin für eine rechtsstaatliche, sorgfältige Einzelfallprüfung"
Armbrüster: Aber kann die Lösung denn wirklich darin bestehen, dass jetzt Hundertausende von zum Beispiel Roma einfach ihren Wohnort wechseln und aus diesen Ländern nach Deutschland übersiedeln?
Koenigs: Das ist ja nicht der Fall. Es ist ja auch nicht der Fall, dass unendlich viele anerkannt werden. Es ist aber der Fall, dass ...
Armbrüster: Na ja. Es ist zumindest so, dass 20.000 2013 versucht haben, Asyl zu beantragen.
Koenigs: Und sehr wenige anerkannt worden sind wegen des sehr kurzen Verfahrens. Einige haben das angegriffen, einige auch mit Erfolg. Jeder muss das Recht haben – das steht auch in der Verfassung -, hier Asyl nachzufragen, und hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, und das muss auch ein faires Verfahren sein, gerade Flüchtlingen gegenüber, gerade Flüchtlingen, die aus einer sehr schwierigen Lage kommen. Und wenn man Roma in den Ländern Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina ist, dann ist man ohnehin schon in einer schwierigen Situation. Dann noch hier zu beweisen, wo möglich auf dem Klagewege, dass man auch persönlich verfolgt ist, ist äußerst schwierig. Das Institut für Menschenrechte hat die rechtlich fragwürdige Vorgehensweise ja schon kritisiert und ich finde, man wäre besser bei dem gegenwärtigen Status geblieben. Auch der ist noch verbesserungsfähig und das individuelle Verfahren gibt dem einzelnen Flüchtling sein Recht.
Armbrüster: Aber nur, um das einmal klarzustellen: Sie würden sagen, man sollte wirklich eher auch diesen Tausenden von Roma, die Asyl beantragt haben, lieber ihnen das geben, als diesen Schritt jetzt einzuführen und diese Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären?
Koenigs: Ich bin für eine rechtsstaatliche, sorgfältige Einzelfallprüfung für jeden einzelnen Fall, und das muss auch rechtlich angegriffen werden, denn die Erfahrung hat gezeigt, einige dieser rechtlichen Rückgriffe haben Erfolg gehabt. Wir sollten darauf achten, dass wir nicht Einzelfälle produzieren, wo Leute, die Schutz verdienen, keinen Schutz finden.
Armbrüster: Sollten wir denn nicht viel mehr darauf achten, dass in diesen drei Ländern, die ja nun wirklich nicht für uns am Ende der Welt liegen, sondern die sich alle ja auch Hoffnungen darauf machen, irgendwann in den nächsten Jahren mal Teil der Europäischen Union zu werden, sollten wir nicht diesen Ländern eher klar machen, dass sie so nicht mit ihren Minderheiten umgehen können?
Koenigs: Das sollten wir sehr wohl auch machen. Aber das ist nicht ein entweder/oder. Ich bin auch sehr dafür, dass wir die Roma-Minderheit in Deutschland besser behandeln, und wir sollten uns natürlich darum kümmern, dass zum Beispiel in Mazedonien ganze Stadtteile, die mit Roma besiedelt sind, unter dem Existenzminimum vegetieren. Darum sollten wir uns zweifellos kümmern, wenn wir die als Kandidaten für die europäische Gemeinschaft haben wollen.
Armbrüster: Und sehen Sie da in den letzten Jahren irgendwelche Fortschritte?
Koenigs: Leider nein. – Leider nein, und das führt dann auch dazu, dass viele den Weg in den Asylantrag suchen, und das macht dann hier teilweise auch Unmut. Aber den Unmut an den wenigen auszulassen, die nun die Schwächsten sind, das finde ich falsch.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Tom Koenigs, der Außen- und Menschenrechtspolitiker der Grünen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koenigs.
Koenigs: Danke Ihnen, Herr Armbrüster!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.