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Atlético gegen Real Madrid
Abschied vom Vicente-Calderón-Stadion

Den Madrider Stadtderby-Klassiker Atlético gegen Madrid wird es noch oft geben. Trotzdem wird alles anders sein: Denn Atlético zieht in ein anderes Stadion um. Das alte wird abgerissen. Das letzte Stadtderby im Vicente-Calderón-Stadion verfolgen viele Fans daher mit Wehmut.

Von Hans-Günter Kellner |
    Fans von Atletico Madrid stehen an den Kassen des Stadions Vicente Calderon nach Karten an. Das Stadion soll schon in wenigen Monaten abgerissen werden.
    Das Vicente-Calderón-Stadion, 50 Jahre lang die Heimat von Atlético Madrid, wird bald Geschichte sein. (picture alliance / dpa)
    Am Manzanares-Strom gehört Madrid wieder den Spaziergängern, Joggern und Radfahrern. Das war nicht immer so. Erst 2007 legte die Stadtverwaltung eine in den siebziger Jahren am Flussufer errichtete Ringautobahn unter die Erde, darüber liegt jetzt ein langgezogener Park. An den Beton von einst erinnert nur noch das 50 Jahre alte Vicente-Calderón-Stadion von Atlético de Madrid. Aber auch das soll jetzt weg, bedauern Spaziergänger:
    "Wenn Atletico spielt, ist hier gute Stimmung. Die Kneipen sind voll, die Händler verkaufen viel. Es tut mir schon leid, dass der Verein wegzieht."
    "Die Leute werden den Umzug bedauern. Dort, wo sie hingehen, ist alles anders. Wir werden Atlético vermissen. Und der Verein wird uns vermissen."
    Viele Anwohner sind traurig
    "Wohlstand, Geld, Stimmung, einfach alles": So fasst Leonor zusammen, was ihr der Verein bedeutet. Seit 35 Jahren steht die 59-jährige mit den roten Haaren hinter der Theke ihrer Kneipe Leonmar, ganz in Sichtweite des Vicente-Calderón-Stadions.
    Zum letzten Derby hier im Madrider Süden werde wieder die Hölle los sein, freut sich Leonor. Doch auch sie ist wehmütig: "Die Spieler sind früher oft hierhergekommen. Haben ihr Bier getrunken. Dann kam Trainer Luis Aragonés und hat geschimpft und die Spieler haben dann das Bier versteckt. Aber das hat sich alles geändert. Die trainieren ja gar nicht mehr im Stadion. Das waren bescheidene Leute. Oft sind sie mit den Frauen zum Frühstück gekommen. Die Frauen blieben hier, die Spieler sind ins Training."
    Atlético hat das "Malocher-Image"
    Das Verhältnis zwischen Atlético und den Menschen in den Stadtvierteln an beiden Seiten des Manzanares-Flusses ist besonders intensiv. Von ihnen hat Atlético das Malocher-Image, das der Liedermacher Joaquín Sabina in der 2003 zum hundertjährigen Vereinsjubiläum komponierten Vereinshymne als ständigen Kreislauf vom "Schuften, Träumen und Sterben" beschrieben hat.
    Ein Gegenentwurf zu Real Madrid, sagt Kneipenbesitzerin Leonor: "Die sind natürlich in einem ganz anderen Viertel. Real Madrid spielt am feinen Paseo de la Castellana, umgeben von Banken. Darum hat der Verein ja auch das Image vom Klub der Reichen. Hier leben hingegen einfache Leute. Ich mag Fußball eigentlich nicht besonders. Aber ich liebe Atlético! Der Verein hat mir alles gegeben. Ich habe ihn nun mal vor der Haustür."
    Im Hintergrund murmelt ein Gast etwas von Spekulanten und Immobilienhaien. Unbestritten ist: Das Grundstück des Stadions ist sehr viel wert. Ursprünglich waren darauf zwei Hochhäuser geplant, doch Umweltschützer haben die bereits von der Stadt genehmigte Umwidmung des Flächenplans gerichtlich gestoppt.
    Kostbares Grundstück
    Nun ist von nur noch rund 1.000 Wohnungen die Rede, aber der Verkauf des Stadions bringe Atlético immer noch rund 170 Millionen Euro ein, berichtet die Tageszeitung "El País". Und die Stadtverwaltung findet endlich eine Verwendung für La Peineta, das in drei gescheiterten Bewerbungen Madrids um die Olympischen Spiele vorgesehene Olympiastadion, heute eine Investitionsruine, die Atlético nun ausbaut. Der spanische Journalist David Ruiz, der ebenfalls ganz in der Nähe des alten Atlético-Stadions wohnt, ist trotzdem skeptisch:
    "Das sind 50 Jahre Geschichte in diesem Viertel. Das ist ein Verein der Leute, ein Arbeiterverein, viel mehr als Real Madrid. Und er spielt dort, wo diese Leute wohnen. Das wird schwierig, diese ganze Identität an einen anderen Ort zu verpflanzen. Die Leute werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihr Calderón nicht mehr nebenan ist. Das Viertel des neuen Stadions ist soziologisch längst nicht so definiert wie wir hier. Ich würde sogar sagen, dass dort mehr Anhänger von Real Madrid leben."
    Und die befürchten nun ein Verkehrschaos und verstopfte U-Bahnen an Spieltagen. Die Anwohner des Vicente-Calderon-Stadions hingegen wollen die Geschichte ihres Vereins im Stadtteil nicht ganz vergessen. Sie wünschen sich für das neue Wohngebiet ein Denkmal und Straßennamen, die an Atlético erinnern.