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Atom-Moratorium schafft "keinerlei Verlässlichkeit"

Justus Haucap wirft der Bundesregierung in der Atomdebatte einen Schlingerkurs vor. Im Dreimonatsrhythmus die Politik zu wechseln sei "nicht gerade förderlich für Investitionsvorhaben" von Kraftwerkbetreibern.

Justus Haucap im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.03.2011
    Friedbert Meurer: In der Präfektur Fukushima steigen die radioaktiven Werte, das ist das Ergebnis von Messungen, die die japanischen Behörden vornehmen, und diese erhöhten Strahlenwerte resultieren, sagte heute Morgen unser Experte Ralf Krauter, aus den Explosionen ganz zu Beginn der Katastrophe und des Unglücks in Japan. Bundeskanzlerin Angela Merkel und mit ihr die Ministerpräsidenten der Länder mit Atomkraftwerken haben gestern zwei Kommissionen beauftragt, die Zukunft der Atomenergie unter die Lupe zu nehmen. Die Reaktorsicherheitskommission gibt es schon, die soll alles Technische prüfen, und neu wird sein eine zweite, eine Ethikkommission. Sie soll sich mit den gesellschaftlichen Fragen befassen. Nach Ablauf von drei Monaten sollen dann Schlussfolgerungen gezogen werden. Justus Haucap ist Vorsitzender der Monopolkommission. Er leitet auch das Institut für Wettbewerbsökonomie an der Universität Düsseldorf. Guten Morgen, Herr Haucap.

    Justus Haucap: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Die vier großen Energiekonzerne, um deren Meiler es geht, bringen sich so langsam in Stellung. Wie groß ist ihre Macht, um sich gegen Sicherheitsauflagen, Kostensteigerungen und Ausstiegsszenarien zu wehren?

    Haucap: Die vier Energiebetreiber spielen natürlich eine bedeutende Rolle in Deutschland, da sie immer noch einen sehr großen Teil der Energieversorgung in Deutschland leisten. Sie halten immer noch so etwa zwei Drittel bis 75 Prozent der Erzeugungskapazitäten in Deutschland, und das ist natürlich nicht gerade vernachlässigbar. Von daher ist sicherlich auch ein gewisser politischer Einfluss gegeben durch die vier Energiekonzerne, zumal wenn sie auch noch im Besitz eines Bundeslandes sind.

    Meurer: Es geht um die Sicherheit, auf der anderen Seite natürlich auch um viel Geld. Um wie viel Geld geht es eigentlich?

    Haucap: Ja, das ist schwer, ganz genau zu beziffern. Aber es ist natürlich so, dass die Atomkraftwerke heute größtenteils abgeschrieben sind, da sie schon relativ alt sind. Die Kosten, die die Unternehmen haben, wenn diese Kraftwerke laufen, sind relativ gering, und mit den Atomkraftwerken kann man sehr viel Geld verdienen im Vergleich zu anderen Kraftwerken. Gas- und Kohlekraftwerke sind sehr viel teurer, von daher sind die Atomkraftwerke für die Unternehmen die profitabelsten Kraftwerke, die sie haben.

    Meurer: Wie groß ist die Möglichkeit für die Energiekonzerne, sich juristisch zu wehren, sich darauf zu berufen, vor einem halben Jahr habt ihr die Laufzeiten verlängert, auf dieser Basis möchten wir bitte schön weiter arbeiten?

    Haucap: Gut, das wird letzten Endes eine Frage sein, die möglicherweise die Gerichte zu entscheiden haben. Es ist natürlich so, dass es vor Kurzem eine Entscheidung der Bundesregierung gab, die Laufzeiten zu verlängern, und sich die Frage stellt, welche neuen Informationen nun gewonnen worden sind durch das Erdbeben in Japan. Dass es ein Risiko immer gibt und gab, ist vermutlich den allermeisten nicht wirklich neu. Die Frage, ob jetzt die Situation in Japan eine fundamental andere Einschätzung der Lage rechtfertigt, ich habe da durchaus eine gewisse Skepsis, muss ich sagen. Aber das wird eine Frage sein, die möglicherweise die Gerichte nachher zu klären haben, da es natürlich schon so etwas wie auch Rechtsschutz für Unternehmen in Deutschland gibt.

    Meurer: Das ist die eine Frage, die juristische. Die andere ist zum Beispiel die steuerliche. Wie schmerzhaft kann das noch für die Bundesrepublik werden, wenn die geplanten Steuereinnahmen nicht kommen?

    Haucap: Ja. Also es gibt zwei Aspekte. Es können natürlich die Steuereinnahmen sinken. Die Brennelementesteuer fällt natürlich aus, wenn keine Brennelemente benutzt werden. Damit hat die Bundesregierung möglicherweise schon geplant, wobei ja jetzt erst mal auch nicht geplant ist, alle Kraftwerke abzuschalten, sondern erst mal die sieben ältesten. Von daher würde auch nur ein Teil der Steuereinnahmen entfallen. Das andere ist, dass zumindest denkbar ist, dass auch Schadensersatzklagen möglich wären, wenn sich herausstellt, dass die Abschaltung unrechtmäßig erfolgt ist.

    Meurer: Die Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner warnt jetzt davor, die Stromkonzerne sollen bitte schön nicht auf die Idee kommen, jetzt im Moment die Strompreise anzuheben, mit der Begründung, es sind ja sieben Meiler stillgelegt worden auf Anweisung der Regierung. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass jetzt die Strompreise im Moment steigen, mit dieser Begründung?

    Haucap: Gut, die Strompreise ergeben sich natürlich an der Börse. Das muss man erst mal so hinnehmen. Wenn an der Börse weniger Angebot vorhanden ist, also wenn sieben Prozent weniger Angebot ist, dann kann das an manchen Tagen überhaupt keinen Einfluss auf den Strompreis haben, weil möglicherweise die Nachfrage nicht so groß ist, dass die Nachfrage nicht gedeckt werden kann zu den bestehenden Preisen. Aber es gibt natürlich auch Tage, an denen vielleicht die Nachfrage dann doch höher ist nach Strom, und dann müssen eben zusätzlich andere Kraftwerke, also Kohle-, Braunkohle-, Steinkohlekraftwerke, zugeschaltet werden, die teurer sind, und das ist dann noch nicht einmal böse Absicht der Energiekonzerne. Wenn diese Kraftwerke einfach teurer sind, dann wird sich auch der Strompreis erhöhen. Nun ist es so, dass der Börsenstrompreis natürlich sich nicht täglich beim Verbraucher wiederfindet. Der Verbraucher zahlt ja nicht jeden Tag einen unterschiedlichen Preis. Von daher ist dann die Frage, wie schnell sich steigende Preise an der Börse in Preise beim Verbraucher niederschlagen. Das kann sicherlich etwas dauern, weil natürlich die Stromkonzerne auch bedenken müssen, dass immer eine solche Preiserhöhung auch Sonderkündigungsrechte bei den Verbrauchern beinhaltet.

    Meurer: Die Verbraucher haben ja das Gefühl – Entschuldigung, Herr Haucap -, die Konzerne machen sowieso was sie wollen und diktieren die Preise, oder sprechen sie ab.

    Haucap: Das ist nicht ganz so trivial. Diese Vermutung gibt es. Es gibt auch die Möglichkeit zumindest der sehr großen Energieerzeuger, die Preise sicherlich zu beeinflussen. Aber das Bundeskartellamt hat ja gerade in jüngster Zeit das sehr, sehr intensiv studiert und doch festgestellt, dass dieser Pauschalverdacht zumindest so einfach nicht zu erhärten ist. Man muss auch ehrlicherweise konzedieren, dass der Markt heute nicht mehr so konzentriert ist, wie er früher einmal war, dadurch, dass E.ON auf Druck der Europäischen Kommission doch eine ganze Reihe von Kraftwerken hat verkaufen müssen. Das heißt also, die Preisbeeinflussungsmöglichkeit, die es vor zwei, drei, vier Jahren noch gegeben hat, ist heute nicht mehr ganz so stark ausgeprägt, wie es mal war, da mittlerweile auch andere, die Stadtwerke etc., durchaus eine gewisse Rolle mitspielen am Markt, auch die erneuerbaren Energien stark ausgebaut sind. Da macht es sich meiner Meinung nach die Politik auch manchmal ein bisschen einfach, die Schuld pauschal an die Energiekonzerne abzuwälzen und zu verschweigen, dass man auch die Steuern zum Beispiel von einem Anteil von 25 Prozent, die sie vor zehn Jahren hatten, mittlerweile auf über 40 Prozent angehoben hat. Also da hält auch der Finanzminister ganz ordentlich seine Hand auf.

    Meurer: Wäre es gut für den Wettbewerb, wenn die Laufzeiten nicht verlängert werden, weil Laufzeiten Marktmacht zementieren?

    Haucap: Das ist richtig so. Die Monopolkommission, wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es gut wäre, wenn wir noch eine weitere Dekonzentration des Marktes bekommen würden, weil natürlich die Laufzeitverlängerung eine Zementierung von Marktstrukturen bewirkt, weil dann niemand Kraftwerke baut, solange es die Atomkraftwerke gibt. Dennoch halte ich es nicht für besonders günstig, im Dreimonatsrhythmus die Politik zu wechseln. Das ist auch nicht gerade förderlich für Investitionsvorhaben, weil das natürlich keinerlei Verlässlichkeit schafft bei jemandem, der ein Kraftwerk bauen kann, wenn nicht irgendwann mal ein Schlussstrich gezogen wird und eine Entscheidung getroffen wird.

    Meurer: Der Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap, nach dem gestrigen Atomgipfel in Berlin. Danke und auf Wiederhören, Herr Haucap.

    Haucap: Ja, vielen Dank.