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"Atomenergie ist per se ethisch nicht vertretbar"

Hubert Weiger begrüßt zwar die Bildung der Ethikkommission zur Atomenergie - beklagt aber, dass kein Umweltverband eingeladen wurde. Dabei hätten die Anti-Atom-Organisationen mehr Mitglieder als die Regierungsparteien zusammen und verfolgten - im Gegensatz zu den AKW-Betreibern - keinerlei ökonomische Interessen.

Hubert Weiger im Gespräch mit Theo Geers | 04.04.2011
    Theo Geers: Die Bundesregierung hat bei der Atomenergie bekanntlich eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen und die Weichen auf Atomausstieg umgestellt. Argumentativ absichern soll dies unter anderem die eilends ins Leben gerufene Ethikkommission. In gut zwei Stunden nimmt sie ihre Arbeit auf. Unter dem Vorsitz des früheren Bundesumweltministers Klaus Töpfer geht es im Kern um die Frage, ob der Betrieb von Atomkraftwerken nach Fukushima ethisch noch verantwortbar ist. Der Kommission gehören Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften an, ferner Manager und Politiker, Risikoforscher, Technikwissenschaftler, eine Philosophin, aber zum Beispiel kein Vertreter der Umweltverbände. Kurz vor der Sendung fragte ich deshalb Hubert Weiger, den Vorsitzenden des größten deutschen Umweltverbandes BUND: Ist das eine Fehlentscheidung?

    Hubert Weiger: Wir kritisieren nicht nur zum ersten Mal, dass Umweltverbände gerade bei der jetzigen amtierenden Bundesregierung offensichtlich nur eine marginale Rolle spielen und wenn überhaupt, dann nur Gesprächspartner für das Bundesumweltministerium, aber offensichtlich nicht für das Bundeskanzleramt sind. Wir haben das massiv kritisiert, bereits wo es um die Laufzeitverlängerung gegangen ist, wo ja nur die Lobbyverbände dafür zu Wort gekommen sind, wie sich heute herausstellt zum Schaden letztendlich der gesamten Energiepolitik, und wir kritisieren natürlich auch jetzt massiv, dass gerade diejenigen, die nicht erst seit fünf oder zehn Jahren, sondern seit Jahrzehnten die Atomenergie als letztendlich ethisch nicht vertretbare Energienutzungsform und Energiegewinnungsform kritisieren, dass die wieder einmal außen vor bleiben.

    Geers: Nun könnte man ja spitz gesagt von Waffengleichheit sprechen, Herr Weiger, denn die Betreiber der Atomkraftwerke sind in dieser Kommission auch nicht vertreten.

    Weiger: Die Betreiber sind natürlich zurecht nicht vertreten, weil sie ja ökonomische Interessen haben. Aber wenn gerade Organisationen, welche sich uneigennützig, ohne eigene Interessen ökonomischer Art sich hier damit auseinandergesetzt haben, nicht beteiligt werden, die ja doch wesentliche Teile der Gesellschaft inzwischen vertreten – die Umweltverbände haben mehr Mitglieder als die Regierungsparteien zusammen -, dann ist das mit Sicherheit ein Defizit, welches von Anbeginn an besteht und welches natürlich letztendlich wieder einmal dazu führt, dass man verdeutlicht gegenüber der Gesellschaft, die Umweltorganisationen, sie sind nicht so bedeutend, wie sie sich vielleicht selbst nehmen.

    Geers: Wenn Sie in der Kommission vertreten wären, Herr Weiger, was würde der BUND dort zu Protokoll geben?

    Weiger: Das Wichtigste ist, dass wir der Auffassung sind, die Atomenergie ist per se ethisch nicht vertretbar, und zwar nicht nur wegen der gewaltigen Risiken für die jetzt lebende Menschheit, die damit verbunden sind, sondern für die Risiken, die alle kommenden Generationen, die nach uns kommen, zu tragen haben, die aber überhaupt keinen Nutzen mehr haben, denn wenn die Ägypter schon auf die Idee gekommen wären, vor 3000, 4000 Jahren Atomkraftwerke zu bauen, dann müssten wir heute noch den entsprechenden Atommüll sicher bewachen. Wir hätten schon längst keinen Nutzen mehr, sondern nur die Lasten, und von daher halten wir diese Energienutzungsform für ethisch nicht vertretbar. Sie ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit, denn Nachhaltigkeit heißt ja Denken in Generationen, dass ich so handele, dass kommende Generationen mindestens den gleichen Nutzen haben und die gleichen Entwicklungschancen wie wir, und das Gegenteil ist der Fall, wenn letztendlich Atomenergie genutzt wird.

    Geers: Ist für Sie irgendein Gegenargument denkbar, das dieses Postulat, was Sie gerade aufgestellt haben, zumindest teilweise relativieren könnte? Es ist ja immer die Rede von Arbeitsplätzen, die in Gefahr wären, wenn zum Beispiel Strom zu teuer würde, es ist die Frage der Bezahlbarkeit des Stromes, um nur zwei Beispiele zu nennen. Gibt es irgendwas, wo Sie sagen, dieses Postulat der Sicherheit und der Nachhaltigkeit könnte relativiert werden oder etwas anderes müsste auch mit berücksichtigt werden?

    Weiger: Wir haben uns ja in der Tat intensiv seit Jahrzehnten damit auseinandergesetzt und haben alle Argumente kritisch geprüft, und es gibt kein Argument, welches für den Einsatz der Atomenergie spricht, heute noch viel weniger als vielleicht vor Jahrzehnten, wo die Alternativen noch nicht so Realität waren, wie sie heute Realität sind, denn Stichwort Arbeitsplätze, wir schaffen mit der dezentralen Nutzung der Sonnenenergie, direkt oder indirekt, wesentlich mehr Arbeitsplätze als mit der gesamten Atomenergie. Das Raus aus der Atomenergie heißt auch intelligente Steuerungstechnologien, heißt damit modernste Technik, heißt damit letztendlich auch Schaffung sehr innovativer Arbeitsplätze. Und Stichwort Kostengünstigkeit: Der Atomstrom ist ja nur deshalb scheinbar kostengünstig und führt damit zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, weil er hoch subventioniert ist. Die Tatsachen der Entsorgung für zig Tausende von kommenden Jahren, die sind ja in den Atomstrompreis nicht eingerechnet. Das heißt, er ist nur deshalb so billig, weil die Folgekosten mehr oder weniger auf alle kommenden Generationen abgewälzt werden und weil die Risiken eines Restrisikos, welches offensichtlich ein sehr reales Risiko ist, wie wir dramatisch in Japan erleben, auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Die gesamte Haftpflicht eines Atomkraftwerkes in Deutschland beträgt maximal 0,1 Prozent des Schadens, der monetär eintritt, wenn es zu einem Gau in Deutschland kommt.

    Geers: Wir leben ja jetzt alle in einer hoch technisierten Welt. Das heißt, niemand kann das Rad der Geschichte zurückdrehen, wir sind alle Stromverbraucher und wir werden es auch bleiben. Wie könnte Ihrer Meinung nach ein ethisch korrekter Stromverbrauch aussehen?

    Weiger: Ein ethisch korrekter Stromverbrauch ist ein Stromverbrauch, der bei der Gewinnung nicht dazu führt, dass Umwelt über Maßen belastet wird, der dazu führt, dass vor allem kommende Generationen nicht belastet werden, und das heißt, die direkte oder indirekte Nutzung der Sonnenenergie, das ist der ethisch korrekte Strom, die Stromproduktion und damit auch Stromverbrauch. Und der ethisch korrekte Stromverbrauch hängt auch sehr viel damit zusammen, dass ich nicht Strom verschwende, das heißt, dass ich das mache, was jeder von uns machen kann, nämlich den Standby-Betrieb der elektrischen Geräte beende durch Schalterleisten, durch Ausschalten der Geräte, denn allein damit kann die Atomstromproduktion von zwei AKWs in Deutschland eingespart werden.

    Geers: Wenn jetzt die Ethikkommission wahrscheinlich Mitte Mai ihren Bericht vorlegen wird und möglicherweise auch dann gewichtige Argumente gegen die weitere Nutzung der Atomenergie zu Protokoll geben wird, glauben Sie, dass die Bundesregierung dann noch von diesem Votum herunter kann?

    Weiger: Die Ethikkommission wird sicherlich ein entsprechendes Gewicht haben. Sie ist natürlich auch aus wahltaktischen Gründen kurz vor der Landtagswahl gebildet worden. Allerdings wenn sie zu entsprechenden Ergebnissen kommt, wird keine Regierung daran vorbei gehen können, wenn diese Erkenntnisse eben dazu führen, dass als Erstes alle jetzt vom Netz genommenen AKW dauerhaft vom Netz genommen bleiben müssen.

    Geers: Die Nutzung der Atomkraft ist ethisch nicht verantwortbar, sagt Hubert Weiger, der Vorsitzende des größten deutschen Umweltverbandes BUND.