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Atomkraft
EU-Kommission im Dilemma

Deutschland hat den Atomausstieg beschlossen. Doch in Europa ist die Haltung gegenüber der Atomenergie höchst unterschiedlich. In Finnland und Großbritannien werden neue Kraftwerke gebaut, in anderen Ländern alte Meiler weiterbetrieben. Gegen längere Laufzeiten ist die EU machtlos.

Von Jörg Münchenberg | 11.03.2016
    Eine Brachfläche mit einem Warnschild, das einen Bagger und auf englisch den Text "Vorsicht! Planierarbeiten" zeigt
    Der Ort, an dem das Atomkraftwerk Hinkley Point C gebaut werden soll. (AFP / Justin Tallis)
    Viele Länder in der EU setzen noch immer auf die Atomkraft. Allerdings ergibt sich kein einheitliches Bild. 128 Kernkraftwerke waren im vergangenen Jahr in der EU in Betrieb, immerhin ein Drittel aller Atomkraftwerke weltweit. Aber diese Quote verteilt sich sehr uneinheitlich auf die 28 EU-Mitgliedstaaten, sagt der Energieexperte der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Georg Zachmann:
    "Die Atomkraft spielt im gesamten Stromnetz noch eine bedeutende Rolle. Es ist noch etwa ein Viertel des Stromes, der in der EU aus Atomkraft erzeugt wird. Einige Länder in der EU haben überhaupt keine Atomkraftwerke, beispielsweise Österreich oder Italien. Andere Länder sind sehr stark von Atomkraft abhängig, wie beispielsweise Belgien oder Frankreich, die mehr als drei Viertel ihres Stromes aus Atomkraft beziehen."
    Hohe Kosten für Kraftwerke
    Längst hat die Atomenergie auch ihren Ruf als billige Energiequelle, sofern der überhaupt jemals bestanden hat, eingebüßt. Viele Kraftwerke sind erheblich teurer geworden als ursprünglich veranschlagt. Das gilt auch für die aktuellen Projekte - etwa den finnischen Reaktor Olkiluoto.
    Ursprünglich mit 3,2 Milliarden Euro veranschlagt, gehen die Betreiber inzwischen von 8,5 Milliarden aus. Oder auch das neue AKW in Großbritannien, Hinkley Point C. Wurden die Baukosten ursprünglich auf 16 Milliarden Pfund geschätzt, dürften sie nach jüngsten Berechnungen der EU-Kommission bei mindestens 24,5 Milliarden Pfund liegen. Für den Energieexperten Zachmann keine überraschende Entwicklung, bei der auch die Strompreise eine wichtige Rolle spielten:
    "Die Preise sind so stark gesunken, dass sich die Kraftwerke schwer darüber finanzieren können, Atomkraftwerke insbesondere. Darüber hinaus sind auch teilweise höhere Sicherheitsvorkehrungen bei Atomkraftwerken notwendig geworden, die die Kosten der Projekte weiter erhöht haben. Und dadurch, dass es so wenig Atomkraftwerkszubau gibt, gibt es auch kein Kohortensystem mehr. Dass man also eine Art Fertigungsstrecke für Atomkraftwerke hat."
    Grüne kritisieren Kommission als schwach
    Die teuren Baukosten haben deshalb bei den Ländern, die im großen Stil weiter auf Kernenergie setzen, zu einer Ausweichstrategie geführt. Zu beobachten sei dies nicht zuletzt in Frankreich und Belgien, warnt die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms:
    "Die große Problematik, in der die Kommission gemeinsam drin steckt, dass man versucht, durch Laufzeitverlängerung für sehr alte Atomkraftwerke versucht das zu schaffen, was man eigentlich mal anders erreichen wollte. Und da reagiert die Kommission meiner Meinung nach sehr schwach."
    Tatsächlich aber steckt die Kommission in einem Dilemma - der Energiemix ist weiterhin Sache der Mitgliedstaaten. Die Entscheidung über längere Laufzeiten fällt also allein in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten. Die Kommission sei insgesamt aber sehr atomfreundlich aufgestellt, heißt es bei den Grünen. Denn die außergewöhnlich hohen britischen Staatshilfen für Hinkley Point C über einen großzügig berechneten garantierten Stromabnahmepreis hatte Brüssel nach kontroverser Debatte am Ende doch gebilligt. Auch Energiefachmann Zachmann bewertet den Vorgang durchaus kritisch:
    "Da gibt es eine gewisse Inkonsistenz. Weil einerseits die EU danach strebt, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen. Aber andererseits jedes Mitgliedsland die Kraftwerkstypen fördern zu können, die es selber am liebsten mag. Was dann am Ende keine marktgetriebene Entwicklung mehr des Energiemixes ist."
    Doch daran wird sich in der EU, allen Bemühungen zum Trotz, wohl nicht so schnell etwas ändern. Auch wenn die Kommission derzeit einen neuen Anlauf unternimmt, um den Energiebinnenmarkt doch noch zu vollenden.