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Atommacht Nordkorea

Die verrauschte Botschaft kam über Kurzwelle: Am Montagmittag Ortszeit verkündete das nordkoreanische Staatsradio, das kommunistische Land habe erfolgreich und sicher eine Atombombe gezündet. Aus dem Versuchsgelände sei keine Radioaktivität ausgetreten. Das unterirdische Experiment sei mit einheimischer Weisheit und Technik erfolgt, hieß es in der typischen Prosa der nordkoreanischen Propaganda. Dieses historische Ereignis mache das Volk und das Militär glücklich und werde zu Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und in der Region beitragen. Nordkorea habe sich stets eine so mächtige und zuverlässige Waffe gewünscht, um sich selbst zu verteidigen.

Von Martin Fritz | 11.10.2006
    Erst einige Zeit nach dieser offiziellen Mitteilung bestätigten Erdbebenwarten in verschiedenen Ländern, dass es gegen halb vier Uhr morgens deutscher Zeit tatsächlich eine unterirdische Explosion in Nordkorea gegeben habe. Als Ort ermittelten sie Hadä bei Gildschu in den Bergen an der nordkoreanischen Ostküste, etwa 300 Kilometer nördlich der südkoreanischen Hauptstadt Seoul und 100 Kilometer östlich der Grenze zu China. Südkoreanische Stationen maßen ein Beben der Stärke 3,6 auf der Richterskala, deutsche Seismographen ein Beben der Stärke 4, amerikanische der Stärke 4,2. Nur russische Experten gehen bisher davon aus, dass es sich ganz sicher um eine atomare Explosion gehandelt habe. Alle übrigen Forscher verlangten bis zu zwei Wochen Zeit, um ihre Daten auszuwerten und daraus auf den Auslöser und Charakter des seismischen Ereignisses zu schließen.

    Doch das ist eine schwer lösbare Aufgabe, denn über die Testumstände ist fast nichts bekannt. In Südkorea geht man von einer sehr kleinen Bombe aus, mit der Kraft von 500 bis 1000 Tonnen gewöhnlichen Sprengstoffs. Das wäre 15 bis 30 Mal schwächer als die Atombombe von Hiroshima. Japanische Experten errechneten eine Energie von bis zu 3000 Tonnen Sprengstoff. Russische Forscher schlossen dagegen auf eine Wucht von 5 bis 15 Tausend Tonnen. Das wäre ungefähr so mächtig wie die Hiroshima-Bombe. Die großen Abweichungen hängen damit zusammen, dass der Untergrund, in dem der Sprengsatz gezündet wurde, je nach Beschaffenheit einen Teil der freigesetzten Energie aufnehmen kann. Explodiert die Bombe etwa in einer Höhle, verursacht sie ein schwächeres Erdbeben, als wenn sie in einem engen Tunnel zündet.

    Einige Experten meinten, Nordkorea habe eine kleinere Bombe gezündet, um Spaltmaterial zu sparen. Andere behaupteten, die Explosion einer kleineren Bombe sollte den hohen technischen Stand von Nordkorea demonstrieren, weil kleinere Mengen von Spaltmaterial eine größere Präzision beim Zünden erforderten. Wieder andere erklärten, Nordkorea habe womöglich nur eine größere Menge gewöhnlichen Sprengstoffs explodieren lassen, um einen Atomtest vorzutäuschen. Allerdings sollen chemische Bomben andere Erdbebenwellen auslösen als eine unterirdische Atomexplosion. Ein nordkoreanischer Offizieller wurde mit dem Satz zitiert, die Bombe sei weniger stark gewesen als man erwartet habe.

    Trotz der fehlenden Bestätigung ging die internationale Staatengemeinschaft in ihren Reaktionen davon aus, dass Nordkorea tatsächlich einen atomaren Sprengsatz zur Explosion gebracht hatte. Weltweit erntete Nordkorea Empörung und Verurteilungen. Politiker und Medien äußerten sich vielfach pessimistisch zu den Folgen des unterirdischen Knalls. Die Welt sei unsicherer geworden. Ostasien stehe ein Wettrüsten bevor, womöglich ein nukleares Wettrüsten, Japan und Südkorea könnten ebenfalls nach der Bombe greifen. Die Politik der Nichtverbreitung habe einen herben Rückschlag erlitten. Mit Nordkorea verfügten nun neun Staaten über Atomwaffen. Wenn auch noch der Iran eine Atombombe entwickele, sei der Sperrvertrag gescheitert. Nur der Vertreter Nordkoreas bei den Vereinten Nationen, Botschafter Pak Gil Yon, vertrat eine ganz andere Meinung:

    " Ich bin sehr stolz auf unsere Wissenschaftler und Forscher, die diesen sehr erfolgreichen atomaren Untergrundtest durchgeführt haben. Es wäre besser, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Wissenschaftlern und Forschern zu diesem Erfolg gratulieren würde."

    Doch ausnahmsweise waren sich in diesem Fall alle fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates einig. Sie wollten ein Zeichen gegen den Trend zur Verbreitung von Nuklearwaffen setzen, weil dadurch ihr bisheriges Monopol untergraben wird, und verurteilten den Test einstimmig. Auch China und Russland, die beide vergleichsweise enge Beziehungen zu Nordkorea unterhalten, erklärten sich bereit, das Land für seine Aktion zu bestrafen. Der amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, meinte deshalb nach der ersten Sitzung des Gremiums am Montag zufrieden:

    " Die ganze Diskussion, an der sich alle 15 Mitglieder beteiligten, dauerte nur 30 Minuten. Und das ist für den Sicherheitsrat bemerkenswert, wie einige von Ihnen sicher wissen, diese einstimmige Verurteilung des nordkoreanischen Tests. Niemand hat den Test verteidigt, nicht einmal ansatzweise."

    Doch so überrascht dürfte die Weltgemeinschaft von der Atomexplosion eigentlich nicht gewesen sein. Beinahe zwangsläufig hatte sich die Krise um das nordkoreanische Atomprogramm auf diesen Punkt hin entwickelt. Vier Jahre lang zündelte Kim Jong-il mit der Bombe und verfolgte konsequent eine atomare Salami-Taktik. Am Ende des Jahres 2002 warf er die Atom-Inspektoren der Vereinten Nationen aus dem Land, danach verließ er den Sperrvertrag für Atomwaffen. Artikel 10 erlaubt dies, wenn ein Land "seine höchsten Interessen gefährdet" sieht. Dann fuhr Kim seinen einzigen Atomreaktor hoch, arbeitete dessen Brennstäbe auf, häufte waffenfähiges Plutonium an. Im Februar vergangenen Jahres erklärte sich Nordkorea schließlich zur Atommacht, allerdings ohne zu beweisen, dass es tatsächlich Nuklearwaffen besitzt.

    Diesen Beweis blieb diese Militärdiktatur mit kommunistischem Mäntelchen lange absichtlich schuldig. Denn das atomare Säbelrasseln sollte Washington dazu bringen, Pjöngjang politisch anzuerkennen und wirtschaftlich zu unterstützen. Die nordkoreanische Führung will auf Augenhöhe mit den USA verhandeln, sozusagen von Atommacht zu Atommacht. Deshalb verlangt sie ständig direkte, zweiseitige Gespräche und gibt sich nicht mit Vieraugen-Treffen am Rande der Sechs-Nationen-Atomgespräche in Peking zufrieden. Kim Jong-il will vor allem eine Sicherheitsgarantie für seine Herrschaft. Kim träumt zudem davon, einem amerikanischen Präsidenten in Pjöngjang den roten Teppich auszurollen. Als ultimative Gegenleistung hätte Genosse Kim Jong-il, der Große General, wie man ihn in Nordkorea nennt, die Bombe womöglich eingemottet. Zumindest hatte das Regime dies erst im Herbst vergangenen Jahres bei den Sechs-Nationen-Verhandlungen in Peking schriftlich zugesagt. Die Strategie von Führer Kim sei langfristig angelegt, meint Kim Myong-chol vom Zentrum für Koreanisch-Amerikanischen Frieden in Tokio. Der gebürtige Koreaner gilt als inoffizieller Sprecher von Nordkorea. Er sagt:

    " Nordkoreas Ziel, Kim Jong-ils Ziel, ist nicht ein Friedensvertrag, auch nicht diplomatische Beziehungen mit den USA, nein. Kim Jong-ils Absicht ist es, den amerikanischen Faktor in der Region zu neutralisieren, das heißt den Abzug der US-Truppen aus Südkorea zu erreichen. Ein Friedensvertrag, ein Nichtangriffspakt, diplomatische Beziehungen - das sind alles nur Mittel zu diesem Zweck."

    Doch der Diktator mit der Sonnenbrille verkalkulierte sich, weil er für die Atomkrise ein Drehbuch aus den neunziger Jahren wählte. Damals hatten sein Vater Kim Il-sung und er auf die gleiche Taktik gesetzt und ebenfalls Atompoker mit den USA gespielt. Damals mit großem Erfolg: Die atomaren Provokationen veranlassten Washington dazu, Pjöngjang mit zwei Atomkraftwerken und politischen Zugeständnissen dafür zu belohnen, seine Bombenproduktion einzufrieren. Der Atomreaktor von Yonbyon wurde stillgelegt und unter internationale Überwachung gestellt. Präsident Clinton verhandelte mit Pjöngjang danach auch über die Aufgabe der Raketenrüstung. Die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright traf Kim Jong-il in Pjöngjang. Am Ende der Annäherung sollten die beiden Länder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Doch Clintons Nachfolger in Washington hatte an dieser Entspannungspolitik kein Interesse mehr. George W. Bush beurteilte das Regime lieber nach moralischen Maßstäben. Im Januar 2002 erklärte Bush vor dem Kongress den Irak, den Iran und Nordkorea zu seinen Feinden:

    " Nordkorea ist ein Regime bewaffnet mit Raketen und Massenvernichtungswaffen, während seine Bürger hungern. Staaten wie diese und ihre terroristischen Verbündeten konstituieren eine Achse des Bösen. Sie rüsten sich, um den Weltfrieden zu bedrohen."

    Ein dreiviertel Jahr nach dieser Rede ließ seine Regierung die Katze aus dem Sack. Die USA warfen Nordkorea vor, die Atomabmachung von 1994 gebrochen und heimlich Uran angereichert zu haben. Der Vorwurf steht bis heute mehr oder weniger unbewiesen im Raum. Kim Jong-il quittierte diesen politischen Kurswechsel Washingtons auf seine Weise. Amerika warf ihm den Fehdehandschuh hin, seine Herrschaft über Nordkorea schien bedroht. Kim beschloss deshalb, sein Atomprogramm erneut als politisches Instrument zu benutzen, zum einen um sich gegen den neuen amerikanischen Druck zu wehren, zum anderen, um seine Herrschaft auch nach innen abzusichern und auszubauen. Anders als sein Vater setzt Kim nämlich nicht auf die Partei, sondern auf das Militär als Machtbasis. Der Aufstieg zur Atommacht sollte ihm auch die Unterstützung seiner Offiziere einbringen.

    Wie sich inzwischen herausstellt, schätzte Kim zumindest die Wirkung seines Vorgehens auf die Vereinigten Staaten falsch ein. Denn der Amateurregisseur und Hollywoodfan Kim wählte als Drehbuch der neuen Atomkrise dasselbe Skript wie in den neunziger Jahren, als Nordkorea seine Interessen gegen die USA durchsetzte. Doch Kims neuer Gegenspieler Bush interpretierte seine Rolle ganz anders als sein Vorgänger Clinton. Bush ließ jede Drohung des nordkoreanischen Führers ins Leere laufen und verhängte vor einem Jahr sogar neue Sanktionen, die die nordkoreanische Elite offenbar ins Mark getroffen haben. Nach der Logik des alten Drehbuches musste Kim deshalb seine nuklearen Provokationen immer weiter steigern und kam schließlich auch an der letzten Stufe, dem Atomtest, nicht mehr vorbei. Ein Happyend dürfte er trotzdem nicht so bald bekommen. Denn die USA nehmen Nordkorea einfach nicht mehr ernst.

    Mit dem Atomtest hat Nordkorea sein Drohpotenzial nämlich endgültig aufgebraucht. Dieser Zwergstaat ist pleite, völlig abhängig von ausländischer Hilfe. Seine Armee mag die fünftgrößte der Welt sein, aber viele ihrer Geschütze und Panzer stammen noch aus dem Korea-Krieg. Die nordkoreanischen Raketen können Amerika nicht erreichen. Anfang Juli dieses Jahres scheiterte der zweite Test einer Langstreckenrakete binnen acht Jahren. Diesmal explodierte sie nach nur vierzig Sekunden im Flug. Pjöngjangs Atomwaffen sind wahrscheinlich zu groß und zu schwer, um sie als Gefechtsköpfe auf Raketen zu montieren. Für militärische Zwecke sind sie damit ungeeignet. Im Kriegsfall müsste man sie per Schiff oder Flugzeug transportieren, keine sehr zuverlässige Methode, sie ins Ziel zu bringen. Das Land dürfte zudem nur wenig Spaltmaterial haben, es reicht vielleicht nur für ein Dutzend Bomben. Außerdem liegt Nordkorea nicht im Nahen Osten und hat kein Öl. Der Iran und Al Kaida sind Washingtons Gegner. Im Vergleich dazu erscheint der kleine Diktator mit der Föhnfrisur vielen in der Bush-Administration wie eine Witzfigur.

    Dennoch kann sich niemand in Washington auf die Schulter klopfen. Denn Präsident Bush hat keines seiner politischen Ziele erreicht. Er konnte nicht verhindern, dass Nordkorea zur Atommacht aufstieg, weil er nie wirklich ernsthaft mit Pjöngjang verhandelt hat. Obwohl alle militärischen Optionen ausscheiden, hat Washington die Diplomatie nicht ausgereizt. Bushs Politik hat auch nicht zum Sturz von Kim Jong-il geführt oder die erbarmungswürdigen Lebensumstände seiner Bevölkerung verbessert. Die amerikanische Blockadepolitik gegenüber Nordkorea ist damit gescheitert. Andererseits hat die Bush-Regierung nur konsequent gehandelt. Sie wollte sich nicht erpressen lassen, zudem Führer Kim kaum zu trauen ist. Dennoch hat die feindselige Haltung der USA letztlich ganz Ostasien tief in eine politische Sackgasse geführt.

    In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul verbrannten Demonstranten nach der Nachricht vom Atomtest voller Wut Bilder von Nordkoreas Führer Kim Jong-il auf der Straße. Der Ärger sei weit verbreitet, meint die südkoreanische Politologin Un-dschung Yii in Seoul:

    " Man hatte erwartet, wenn Nordkorea tatsächlich Atomtest durchführen würde, dass in Südkorea richtig Panik losbrechen würde, dass die Leute Hamsterkäufe machen könnten, solche Angst hatte man. Nur erstaunlicherweise war das gar nicht der Fall gewesen, das Leben ging weiter seinen Gang. Andererseits waren die Leute verärgert, dass die nordkoreanische Regierung so weit gegangen war überhaupt."

    Der Hintergrund: Seit sieben Jahren verfolgt Südkorea eine Sonnenscheinpolitik gegenüber Nordkorea, der frühere Präsident Kim Dae-jung bekam dafür sogar den Friedensnobelpreis. Entspannung sollte die Kriegsgefahr auf der waffenstarrenden koreanischen Halbinsel verringern, Annäherung den brutalen Charakter der Diktatur im Norden mildern, wirtschaftliche Hilfen den Lebensstandard der Menschen verbessern. Praktisch ohne Bedingungen zu stellen, beschenkte der Süden den kommunistischen Bruderstaat im Norden mit Reis, Getreide, Zement, Devisen, Fabriken und Arbeitsplätzen. Der Gesamtwert wurde nie ermittelt, dürfte aber im zweistelligen Milliardenbereich liegen. Auslöser dieser Politik war die Erkenntnis, dass eine schnelle Wiedervereinigung Südkorea ruinieren würde, deshalb müsse man Nordkorea vorher helfen, sich dem südkoreanischen Niveau zu nähern. Doch nach Ansicht vieler Südkoreaner ist diese Politik gescheitert: Der Norden hat sich nicht nur als Fass ohne Boden erwiesen, sondern suchte zudem bewusst die Konfrontation. Politologin Un-dschung Yii:

    " Es ist höchstwahrscheinlich, dass die südkoreanische Regierung (den Norden) nicht so wie in dem Maße bis jetzt unterstützen kann."

    Südkoreas Präsident Noh Muu-yon kündigte bereits unmittelbar nach dem Atomtest eine politische Vollbremsung an. Wir können dem Nachbarn nicht mehr alles geben, sagte der Präsident wörtlich, ohne selbst etwas dafür zu verlangen. Erstes Zeichen für dieses Umdenken: Ein Schiff mit 4.000 Tonnen Zement für Nordkorea darf nicht mehr auslaufen. Zwar will Südkorea die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Norden nicht ganz einstellen, um das Erreichte abzusichern. Aber Seoul musste auf schmerzhafte Weise lernen, dass guter Wille allein die innerkoreanischen Beziehungen nicht voranbringen wird.

    Ganz anders die Reaktion in Japan. Dort fährt man seit einigen Jahren einen harten Kurs gegenüber Nordkorea, weil das Regime in der siebziger und achtziger Jahren mindestens ein Dutzend Japaner entführt hatte. Der Atomtest ist Wasser auf die Mühlen der Nationalisten um den neuen Premierminister Shinzo Abe. Seine Regierung kündigte an, den Handel mit Nordkorea demnächst komplett einzustellen, egal was der Sicherheitsrat an Sanktionen beschließen wird. Außerdem kündigte Abe neue Abwehrmaßnahmen gegen die Bedrohung aus Nordkorea an:

    " Aus der Sicht der Sicherheitspolitik soll Japan noch stärker mit den USA zusammenarbeiten. Etwa bei der Raketenabwehr, um die Verlässlichkeit der Abschreckung des japanisch-amerikanischen Bündnisses zu stärken."

    Entgegen einigen Spekulationen im Westen wurde in Japan aber nicht die Forderung laut, selbst Atomwaffen zu besitzen. Denn eine solche Forderung ist zum einen in Japan ohnehin nicht mehrheitsfähig, zum anderen braucht Japan - ähnlich wie Deutschland - keine eigene Atomwaffen, weil es unter dem nuklearen Schutzschild der USA steht. Das gilt auch für Südkorea. Solange dies der Fall ist, ist ein Wettrüsten in Ostasien nicht zu befürchten.

    Mit seinem Atomtest hat Nordkorea schließlich auch seinen einzigen Verbündeten China in eine Zwickmühle gebracht. Zehn Jahre lang hatte Peking der Welt versichert, man müsse nur mit Pjöngjang sprechen, um Provokationen zu verhindern. China versuchte, zwischen den USA und Nordkorea zu vermitteln und hob dafür die Sechs-Nationen-Gespräche aus der Taufe. Doch sein Einfluss auf Pjöngjang war geringer, als der Westen es bis zuletzt vermutet hatte. Nordkorea kalkulierte den Ärger mit China von vornherein mit ein, rechnet aber weiter mit Unterstützung. Eine Strategie, die langfristig vermutlich sogar aufgeht, vermutet Michael Levi vom amerikanischen Rat für Auswärtige Beziehungen:

    " China will seine Glaubwürdigkeit behalten, nachdem Nordkorea alle chinesischen Warnungen ignoriert hat. Also muss es jetzt einige substantielle Schritte unternehmen. Aber es wird im Sicherheitsrat nichts unterstützen, was das Regime in Pjöngjang kippen könnte. China will keine Flüchtlingsströme aus Nordkorea auslösen und auch keine provokanten Aktionen zulassen, die eine militärische Antwort von Pjöngjang verursachen könnten. Dazwischen muss China einen Mittelweg finden."

    Die im Sicherheitsrat diskutierten Handelssanktionen gegen Nordkorea werden nur wirken, wenn China sie unterstützt: Nordkorea wickelt 40 Prozent seines Außenhandels mit China ab, doppelt so viel wie mit Südkorea und sechs Mal so viel wie mit Japan. Die Einfuhren aus China erreichten im letzten Jahr 1 Milliarde US-Dollar. Mehr als vier Fünftel aller Waren in Nordkorea sollen inzwischen Made in China sein. Seinen Zahlungsverkehr wickelt Nordkorea ebenfalls vor allem über Banken in China ab, nachdem wegen der US-Finanzsanktionen viele andere Banken ihre Geschäfte mit Nordkorea aufgegeben haben. China ist auch der größte Investor in Nordkorea. Vorzeigeprojekt ist eine 25 Millionen Dollar teure Fabrik für Glasscheiben, zu deren Eröffnung vor einem Jahr Chinas Präsident Hu persönlich anreiste. Bei dem Besuch gewährte China Nordkorea 2 Milliarden US-Dollar an Investitionen und Handelskrediten. China baut für Nordkorea Autobahnen und Hafenkais und schult Tausende Nordkoreaner in Software und Informationstechnik. Kenner bezeichnen Nordkorea inzwischen als Chinas vierte nordöstliche Provinz. Ein wichtiges Motiv für diese gezielte Entwicklung: China spekuliert darauf, dass die wirtschaftliche Förderung Nordkorea auch politisch verändern wird, getreu dem alten Motto "Wandel durch Handel". Das Entwicklungsprojekt Nordkorea wird Peking daher trotz des Atomtests nicht aufgeben, egal welchen Sanktionen es im Sicherheitsrat zustimmen wird.