Sonntag, 26. März 2023

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Atommacht Pakistan ist "ein zerrissenes Land"

Willy Wimmer (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, warnt davor, nach dem Musharraf-Rücktritt zu viel von Pakistan zu erwarten. Der Westen solle sich von der Atommacht jetzt ein nüchternes Bild machen. Der Versuch einer Demokratisierung könne zu Problemen in der Region führen, von denen "wir uns heute noch keine Vorstellung machen können", so Wimmer.

19.08.2008

    Dirk Müller: Neun Jahre lang hat der pakistanische Präsident Pervez Musharraf dem Druck seiner Gegner Stand gehalten. Nun hat er seinen Rücktritt angekündigt. Mit seiner Entscheidung, sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die Seite der USA zu stellen, sicherte sich der frühere General das Wohlwollen des Westens und die dringend benötigten Finanzhilfen. Allerdings hatte er damit auch den Zorn islamistischer Extremisten auf sich gezogen, die immer wieder blutige Anschläge in Pakistan verübten. Er hat lange an der Macht festgehalten und wurde zuletzt von vielen seiner Landsleute verachtet. Die Atommacht Pakistan vor dem Machtwechsel.
    Am Telefon begrüße ich nun den CDU-Außenpolitiker Willy Wimmer, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen!

    Willy Wimmer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Wimmer, war Musharraf schlecht für Pakistan, aber gut für den Westen?

    Wimmer: Das wird man kaum beantworten können, denn wir müssen für Pakistan sehr wohl unterscheiden zwischen der inneren Verfassung und dem, was Pakistan gegebenenfalls leisten konnte in der Auseinandersetzung mit den Kräften, die ja die Nordwestprovinz dominieren und die bei uns im Westen im Allgemeinen als Taliban bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund würde man die Frage vielleicht beantworten können, wenn zwei oder drei Jahre mit einer neuen Spitze in Pakistan vergangen sein werden.

    Müller: Also Sie wollen keine Note geben?

    Wimmer: Das kann man alleine deshalb schon nicht tun, weil am Anfang der Amtszeit von Musharraf ja die offensichtlich auch mit den Vereinigten Staaten abgestützte Operation im nördlichen Indien stand, wo die Taliban versucht haben, von Afghanistan aus in die muslimischen Provinzen Chinas einzusickern und die Inder das gestoppt haben. Vor diesem Hintergrund kann man nur sagen, Musharraf war immer beteiligt an mehr als regionalpolitischen Auseinandersetzungen. Das waren globalstrategische Dinge. Deswegen ist das Urteil so schwer über ihn und so unsicher, was die zukünftige Entwicklung in Pakistan anbetrifft. Wird Pakistan sich daran beteiligen wie unter Musharraf, oder wird Pakistan auf eine innere Stabilisierung setzen, die im Interesse des Landes dringend geboten wäre.

    Müller: Herr Wimmer, Sie kennen sich aus in der pakistanischen Innenpolitik. Sie haben in den vergangenen Monaten, in den vergangenen Jahren immer wieder viele Gespräche auch vor Ort, auch in Islamabad, geführt. Sind die Kräfte, die jetzt darauf warten, ihn zu beerben, die Kräfte, die auch den Westkurs beibehalten?

    Wimmer: Aus meiner Sicht ist etwas anderes für Pakistan problematisch. Pakistan driftet in alle Himmelsrichtungen auseinander. Die Belutschen im Westen wollen nicht mehr zu Pakistan gehören. Die Leute in Karatschi stammen aus Bombay und sind mit Islamabad unzufrieden. Der Punjab möchte eigentlich mit Indien wiedervereinigt werden. Also wenn man das so in Pakistan rumdreht, dann kommt eine Menge zusammen, was sicherstellt, dass das Land eigentlich andere Probleme hat und die Armee, die bisher diese zentrifugalen Kräfte zusammenhalten konnte, scheint ja auch an Bedeutung zu verlieren oder ihre Position im Land selber anders zu sehen. Wer da welchen Kurs auf Dauer fahren kann, das dürfte sehr unsicher sein und der Westen sollte sich ein nüchternes Bild von diesem Land machen und nicht in erster Linie darauf schielen, welche Funktion Pakistan im unsicheren Norden sowieso nicht erfüllen kann, denn die Region ist ohne jede staatliche Kontrolle. Das war sie so schon seit 50 Jahren oder seit 100 Jahren und warum soll ein so zerrissenes Land wie Pakistan das im Norden an der Grenze zu Afghanistan leisten, was man noch nie hat leisten können.

    Müller: Herr Wimmer, habe ich Sie da richtig verstanden oder interpretiere ich Sie richtig, wenn wir da sagen, aus westlicher Sicht können wir im Grunde kein Interesse an einer weiteren Demokratisierung des Landes haben, weil das wiederum die zentrifugalen Kräfte beziehungsweise die Kräfte, die auseinanderstreben, stärken wird?

    Wimmer: Jedenfalls ist das eine schwierige Frage, der wir uns da in Pakistan gegenübergestellt sehen. Damit spreche ich keiner totalitären Linie in Pakistan das Wort, aber die Dinge müssen im Interesse des Landes so gesehen werden, dass das Land eine Überlebenschance hat. Sonst teilt es sich auf. An jedem Morgen ist es eine große Frage, ob man die Zeitung aufschlägt und Pakistan noch existiert. Das macht ja die Unsicherheit aus und damit muss man viele Fragen in Pakistan gleichzeitig beantworten. Das Land ist in so hohem Maße instabil, wie andere Länder es nie in ihrer Geschichte erlebt haben.

    Müller: Herr Wimmer, Sie sind ja ein Politiker, der Fragen nicht ausweicht. Deswegen frage ich die erste Frage noch einmal. Ich stelle sie noch einmal. War deshalb auch vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade ausgeführt haben, Musharraf ein guter Präsident für den Westen?

    Wimmer: Es war jedenfalls jemand, mit dem man gut reden konnte. Aus den Gesprächen mit Präsident Musharraf weiß ich zum Beispiel, dass er einen tiefen Respekt vor alten Freunden aus der Bundeswehr hatte. Man findet das ja in vielen Teilen der Welt, dass Verbindungen dieser Art bestehen, und das ist natürlich eine Gewähr dafür, dass man miteinander reden kann. Was die Leute dann innenpolitisch in der Lage sind umzusetzen, durchzusetzen oder zu entwickeln, das ist eine ganz andere Frage. Die sind aus meiner Sicht vielfach in einer Position wie aufgesetzt auf einem Land wirken zu können, und das limitiert ihre Einflussmöglichkeiten.

    Müller: Wird Washington nach wie vor großen Einfluss haben können auf die politischen Geschicke des Landes?

    Wimmer: Washington wird das jedenfalls versuchen und in Zusammenhang auch mit den Dingen vor der Ermordung von Frau Buttho muss man ja deutlich sagen, dass hier viele Dinge auch im direkten Einflussbereich Washingtons gelegen haben. Washington wird das versuchen und nicht nur wegen der Taliban oder der Paschtunen, die im Norden Pakistans an der Grenze zu Afghanistan leben, sondern wegen der langfristigen Planung, Öl und Gas aus Zentralasien über Afghanistan und Pakistan so nach Indien zu bringen, dass man diese Verbindung auch noch dominiert. Das ist also eine strategische Überlegung größerer Art und da spielt vielleicht eine gute Rolle, wer in Pakistan Präsident oder Ministerpräsident ist - im amerikanischen Interesse.

    Müller: Wir haben in den vergangenen Monaten, Herr Wimmer, ganz oft über Afghanistan gesprochen. Wir haben ganz oft über den Iran gesprochen. Ist Pakistan das große Problem?

    Wimmer: Ja. Pakistan ist das vielleicht größere Problem oder das schwierigere Problem, denn damit sind ja auch direkte Beziehungen zu Indien tangiert. Pakistan ist Nuklearmacht und zwar in einer vielleicht interessanten Operation, die mit dem Namen des Wissenschaftlers Cahn verbunden ist. Damit werden natürlich auch Verbindungen weltweit angesprochen, von denen wir vielleicht in Europa nicht alle die Ahnung haben, die wir eigentlich haben müssten. Wenn uns Pakistan auf die schiefe Bahn gerät und wenn Pakistan auseinanderfliegen sollte, dann haben wir Probleme in einer Region, von der wir uns heute noch keine Vorstellung machen können.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Willy Wimmer. Vielen Dank!