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Atommüll-Lagerung
Wie schützt man kommende Generationen?

Ein künftiges Atommüll-Endlager muss die Abfälle nicht nur sicher einlagern, künftige Generationen müssen auch verständlich vor den Gefahren gewarnt werden. Doch wie informiert man Menschen, die erst in vielen 1.000 Jahren geboren werden? Das haben Wissenschaftler auf einer Konferenz in Verdun diskutiert.

Von Suzanne Krause | 18.09.2014
    Der gefährlichste Atommüll wird eine Million Jahre lang strahlen - das entspricht der Lebensspanne von 33.000 menschlichen Generationen. Die Erinnerung an ein atomares Endlager wachzuhalten, bedeutet also eine große Herausforderung. Vor 20 Jahren wurde erwogen, eine 'Atompriesterschaft' zu gründen. Oder Strahlenkatzen zu züchten, deren Fell sich an Orten mit radioaktiver Verstrahlung blau färbt. Pure Science-Fiction, sagt Anne Claudel von der Schweizerischen "Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle". Claudel resümiert den einstimmigen Beschluss der Arbeitsgruppe der NEA, der Nuclear Energy Agency:
    "Früher hieß es: Wir begraben einfach die Abfälle und vergessen sie. Und höchstens muss man jemanden warnen, dass sie die Abfälle nicht ausgraben sollten. Und jetzt heißt es mehr: vom ethischen Standpunkt sollten wir kommende Generation nicht nur warnen, sondern sie informieren, damit sie überhaupt verstehen, was da überhaupt ist. Und dass sie selber entscheiden können, was sie machen oder was sie nicht machen."
    Das dürfte ganz im Sinne von Robert Habeck sein. Der Umweltminister von Schleswig-Holstein verlangte kürzlich, Atomendlager so zu konzipieren, dass der Kernabfall dauerhaft und problemlos rückholbar sei. Schließlich könnten kommende Generationen bessere Entsorgungstechnologien entwickeln. Das setzt voraus, das gesamte Wissen zur Anlage über tausende von Jahren weiter zu vermitteln. Cornelius Holtorf ist Archäologe und beschäftigt sich seit zwei Jahren an der schwedischen Linnaeus-Universität mit der Frage, was sein Fach zum Thema Erinnerungs-Erhalt beitragen kann. Beispiele für ein Modell, wie komplexe Informationen aus grauer Vorzeit so weitergetragen wurden, dass sie auch heute noch verständlich sind, gibt es laut Holtorf keine.
    "Unsere Aufgabe ist es vor allem, die Vergangenheit in der Gegenwart bedeutungsvoll zu machen. Und die Vergangenheit immer wieder neu zu erzählen und neue Bedeutungen von ihr - vielleicht nicht zu schaffen, aber zu untersuchen."
    Internationale Regen für dauerhafte Informationsübermittlung
    Holtorf erwartet, dass auch künftige Archäologen immer wieder neue Ansätze suchen werden, um beispielsweise ein wiederentdecktes Endlager zu verstehen.
    Bislang gibt es weltweit nur ein einziges atomares Endlager: In den Vereinigten Staaten, in der Wüste von Nevada, werden seit 1999 militärische Kernabfälle vergraben. Hier sollen einmal mehrere Meter hohe Granitstelen mit eingemeißelten angstverzerrten Menschen-Gesichtern die Stätte markieren. Doch bei der US-Regierung weiß man heute: Dies wird nicht ausreichen. Eine Lehre für die internationale Arbeitsgruppe der Nuclear Energy Agency. Claudio Pescatore, bei der NEA zuständig für Entsorgungsfragen.
    "Die Kommunikationsstrategie muss integriert sein, verschiedenste Mittel der Informationsübertragung nutzen. Es geht beispielsweise darum, Archive anzulegen oder auch die lokale Bevölkerung als Erinnerungshüter mit einzubeziehen."
    Die Arbeitsgruppe inspiriert sich auch am Abkommen von Den Haag zum Schutz bedeutender Monumente im Kriegsfall: Der Liste der Bauwerke, die auszusparen seien, könnten auch Endlager angefügt werden. Und mit internationalen Regeln will die NEA Maßnahmen für die dauerhafte Informationsübermittlung harmonisieren.
    Stefan Hotzel von der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit entwickelte ein Modell, das die Zukunft in verschiedene Phasen unterteilt: Die mittelfristige beginnt bei der Versiegelung des Endlagers. Die langfristige, wenn das Wissen um Existenz und Funktion des Endlagers erloschen ist. Hotzel sagt: Anhand dieses Zeitschemas lässt sich besser ermessen, wie man heute mit der Zukunft umgehen kann.
    "Es geht nicht darum, Probleme in hundert Jahren zu lösen, auch wenn es manchmal so aussieht, ja, wie können wir in hundert Jahren etwas sicherstellen. Sondern was können wir jetzt machen, um die Bedingungen zu schaffen, dass später die Gesellschaft verantwortlich handeln kann."