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Attac-Vorstand will Gewalttäter von Demos fernhalten

Nach den Krawallen von Rostock berät das globalisierungskritische Netzwerk Attac über eine Änderung seiner Strategie für Demonstrationen gegen den G8-Gipfel. Vorstandsmitglied Peter Wahl sprach sich dafür aus, künftig gewaltbereite Chaoten aus den Demonstrationen herauszudrängen. Wahl lobte ausdrücklich die in Rostock eingesetzten Polizisten, die sich von einer kurzen Phase abgesehen tadellos verhalten hätten.

Moderation: Silvia Engels | 04.06.2007
    Silvia Engels: Ganz anders als in der gerade gehörten Reportage klingen die Stimmen aus der Hauptstadt. Die gezielten Gewaltausbrüche und das Ausmaß der Brutalität haben im politischen Berlin eine Debatte über die Demonstrationskultur und das Sicherheitskonzept ausgelöst. Daneben wird auch über den grundsätzlichen Sinn der mittlerweile riesenhaften G8-Gipfel debattiert. ( MP3-Audio , Bericht von Michael Groth)

    Am Telefon ist nun Peter Wahl. Er ist Mitglied im Vorstand der Organisation Attac. Diese globalisierungskritische Bewegung ist eine der Hauptveranstalterinnen der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel und war auch Trägerorganisation der Kundgebung in Rostock vom Samstag. Guten Tag, Herr Wahl!

    Peter Wahl: Guten Tag Frau Engels!

    Engels: Haben Sie von Attac mittlerweile Erkenntnisse, wie es dazu kommen konnte, dass so genannte Autonome die Gewalt in Ihre friedliche Demonstration tragen konnten?

    Wahl: Wir hatten im Vorfeld politisch immer wieder versucht, darauf hinzuweisen, dass wir unbedingt eine friedliche Demonstration wollen. Wir haben gleichzeitig mit allen Partnerorganisationen, die den Aufruf unterschrieben haben, in einem langen Vorbereitungsprozess diskutiert. Wir sind alle Einzelheiten durchgegangen, und alle Partnerorganisationen haben sich an diese Vereinbarung gehalten, deren Kern und Grundlage war: Selbstverständlich geht hier alles friedlich.

    Es kam dann als drittes Moment hinzu, dass wir, wie das üblich ist, im Vorfeld der Demonstration mit der Polizei einen regelmäßigen Kontakt hatten, der dann auch während der Demo als permanente Kommunikationsmöglichkeit bestand. Und auch da bekamen wir das Signal, dass auch die Polizei nicht damit rechnet, dass es zu Krawallen kommt. Wir haben gemeinsam mit der Polizei einen kritischen Punkt sehr genau besprochen gehabt. Es gibt ein Hotel auf der Route der Demonstration, in dem Mitglieder der US-amerikanischen Delegation bereits anwesend sind. Auch das ist alles sehr gut gelaufen. Dort gab es kein Problem.

    Als die Demo praktisch vorbei war, hat sich dann ein Block von etwa 500 Personen grosso modo aus dieser Sache herausgelöst. Das sind Personen, von denen wir selbst nicht so genau wissen, wer es ist, die in den Vorbereitungen nicht dabei waren und deswegen völlig losgelöst von uns gehandelt haben.

    Engels: Wir haben es gerade noch einmal gehört. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sagt, Ihre Organisation reicht nicht. Attac sei letztlich mitverantwortlich für die Krawalle zu machen, denn sie hätten nicht genügend Ordner gehabt, und sie haben es dann ja auch nicht durchgesetzt, dass Ihre eigene Demonstration friedlich blieb. Was sagen Sie?

    Wahl: Man kann eine solche Demonstration, wenn sie nicht den Charakter von einer obrigkeitsstaatlichen Veranstaltung haben soll, natürlich nicht vollkommen mit Ordnern und mit Ordnungskräften zustellen. Man muss den Grundgehalt des Demonstrationsrechtes, dass sich hier freie Menschen frei versammeln, um ihre Meinung frei zu äußern, den muss man erhalten. Und deswegen gibt es natürlich Grenzen für einen Einsatz von Ordnern.

    Zweitens sind solche Dinge selbst bei größtmöglichem Einsatz von Ordnern und selbst von Polizei nicht möglich. Bei jedem Bundesliga-Spiel schafft es auch die Polizei nicht, schaffen es auch die Behörden nicht, eine Gruppe von Hooligans davon abzuhalten, Randale zu machen. Gegen solche Dinge gibt es letztendlich keine hundertprozentige Sicherheit. Wovor ich warne und wovor ich Herrn Beckstein auch warnen möchte, ist, nur um eine hundertprozentige Sicherheit zu erzielen, andere rechtsstaatliche Prinzipien derart aufs Spiel zu setzen und das Demonstrationsrecht, die Freiheit der Versammlung und der Meinungsäußerung in einen Rahmen von Sicherheitsdenken hineinzupressen, das das Demonstrationsrecht letztlich pervertiert.

    Wahl: Ihr Vorstandskollege von Attac, Werner Rätz, sagt heute in der "Frankfurter Rundschau", er kritisiere den Einsatz von Wasserwerfern der Polizei als Reaktion auf die Angriffe, und in einer Erklärung von Attac heißt es heute, beide Seiten, Demonstranten wie Polizisten, seien an der Eskalation beteiligt gewesen. Worauf stützen sie das? Verwechseln sie da nicht Ursache und Wirkung?

    Wahl: Nein. Wir haben auch in dieser Erklärung, die Sie zitieren, am Anfang klar geschrieben, ausgegangen ist die ganze Geschichte von der Demonstration. Aus jenem schwarzen Block heraus wurde ein Polizeiauto, in dem zwei Polizisten saßen, angegriffen ohne Grund und ohne Ursache, ohne dass man auch auf die Idee kommen könnte, dass hier eine Provokation oder so etwas vorgelegen hat. Das ist ganz eindeutig von uns gesagt worden. Und als es dann so weit war, hat die Polizei in einer bestimmten Phase die Spielräume, die es für Deeskalationen gegeben hätte, wohl nicht ausgenutzt. Aber sie hat das dann sehr schnell verstanden und die Truppen einer Berliner Polizeieinheit, die dann ziemlich wahllos in die Demo hineingegangen sind, dann auch wieder zurückgenommen und zurückgerufen. Es gab eine Phase im Polizeieinsatz, wo auch bei der Polizei eine gewisse Desorganisiertheit, ein Mangel an Kommunikation und klaren Strukturen erkennbar war. Das ist damit gemeint. Insgesamt hat sich die Polizei tadellos verhalten und hat sich an das Konzept der Deeskalation und der Kooperation gehalten. Das wissen wir zu schätzen.

    Engels: Herr Wahl, Sie haben zu Beginn betont, dass bei der politischen Organisation dieser Demonstration alles friedlich war, alle ihren Frieden bekundet hatten. Aber hat Attac eine Strategie zum Umgang mit Gewalttätern, um diese schon im Vorfeld auszugrenzen?

    Wahl: Wir werden jetzt natürlich aus diesen Ereignissen Lehren ziehen. Wir werden eine Diskussion führen, eine sehr gründliche. Die ist noch nicht abgeschlossen, aber ich glaube, dass es dort in die Richtung geht, dass man im Vorfeld a) politisch noch entschiedener klipp und klar sagt bestimmten Leuten, dass wir sie nicht haben wollen, dass wir sie nicht sehen wollen. Und wir werden zweitens in unseren Demostrukturen dafür sorgen, dass wir die auch fernhalten können, materiell, nicht nur mit Worten da etwas tun, ähnlich wie wir das bei anderen ungebetenen Gästen ja auch tun, von denen wir sagen, die fliegen raus, wenn sie auftreten sollten, etwa Neonazis. Diese konsequente Haltung werden wir auch gegenüber gewaltbereiten Chaoten in Zukunft einnehmen müssen.

    Engels: Da steht offenbar Attac nicht ganz auf einer Linie, denn Ihr Vorstandskollege Werner Rätz sagt heute in der "Frankfurter Rundschau", Ausgrenzungen würden nichts verhindern. Man könne nicht zu einem Teil der Autonomen sagen, wir wollen euch nicht. Dann kämen die erst recht. Was heißt denn das?

    Wahl: Das ist eine Äußerung, die wohl aus der jetzigen Situation geboren ist. Wir sind im Augenblick in der Tat nicht in der Lage, wenn Leute kommen, die physisch sozusagen zu entfernen oder fernzuhalten. So verstehe ich meinen Kollegen. Wir sind da auch noch in der Diskussion. Sie sehen auch an diesen Äußerungen, dass wir noch keine definitive Konsensposition entwickeln konnten. Ich glaube aber, dass für die Zeit danach und für zukünftige Planungen das durchaus in die Richtung gehen wird, die Dinge von Vorneherein auszuschalten.

    Engels: Peter Wahl, er ist Mitglied im Vorstand der Organisation Attac. Wir sprachen mit ihm über die Folgen aus den blutigen Krawallen vom Wochenende. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Wahl.

    Wahl: Bitte schön.