Dienstag, 30. April 2024

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Vor 30 Jahren
Das Attentat auf Tennisstar Monica Seles

Vor 30 Jahren wurde die damalige Weltranglistenerste Monica Seles bei dem Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum niedergestochen. Ein Schock für die Tenniswelt mit langfristigen Folgen - auch bei den Sicherheitsvorkehrungen.

Von Jutta Heeß | 30.04.2023
Die verletzte Monica Seles wird kurz nach dem Messer-Attentat auf dem Centre Court am Hamburger Rothenbaum ärtzlich versorgt.
Tennisspielerin Monica Seles wurde 1993 Opfer einer Messerattacke bei dem Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum. (picture-alliance / dpa / DB ARD NDR)
Eigentlich läuft dieses Match am 30. April 1993 wie erwartet: Im Viertelfinale des Hamburger Sandplatzturniers am Rothenbaum liegt Monica Seles gegen die Bulgarin Manuela Maleewa im zweiten Satz vorne, den ersten hat sie bereits für sich entschieden. Seit über anderthalb Jahren steht die 19-jährige Serbin auf Platz 1 der Weltrangliste, die Zuschauer hoffen auf ein Finale gegen die große Rivalin Steffi Graf.
Dann passiert etwas Unfassbares: Beim Seitenwechsel wird Monica Seles von einem Mann aus dem Zuschauerraum heraus attackiert, er sticht ein Messer in ihren Rücken. Seles taumelt zum Netz, ihr T-Shirt ist blutverschmiert. Währenddessen überwältigen Zuschauer den Attentäter.

Barbara Rittner: "Für alle schockierend"

„Das war erst mal für alle schockierend, das war ja wie in einem falschen Film, also wenn man das dann im Fernsehen sieht, es ist ja surreal. Also wenn man da selber noch ein paar Tage vorher war. Viele haben dann auch in den Wochen drauf sich über dieses Ereignis unterhalten und waren einfach nur schockiert.“
Die ehemalige Spielerin und heutige Bundestrainerin Barbara Rittner war kurz vor dem Attentat aus dem Turnier ausgeschieden und verfolgt die Ereignisse an dem Tag im Fernsehen. Auch Ex-Profi Eva Pfaff erinnert sich: „Ich wusste, dass ich gespielt habe an dem Tag, an dem das passiert ist, aber als ich davon gehört habe, war ich im Hotel, an der Rezeption irgendwie mit dem Fahrdienst angekommen oder am Auschecken, und das war, es war so was wie so eine Nachricht, die einschlägt, wie ein Blitz, und man wusste überhaupt nicht damit umzugehen.“

Psychisch kranker Täter war ein Verehrer von Steffi Graf

Monica Seles hat Glück - das Messer dringt nur zwei Zentimeter in ihren Körper ein und trifft weder Schulterblatt noch Wirbelsäule. Schlimmer ist die seelische Verletzung. Es stellt sich heraus: Der Attentäter Günter Parche ist ein psychisch kranker Verehrer von Steffi Graf.
Drei Monate nach dem Angriff spricht Monica Seles erstmals im Fernsehsender ABC über den Moment, der ihr Leben verändert: „Ich habe einfach dort gesessen und mich nach vorne gelehnt als ich auf einmal diesen fürchterlichen Schmerz im Rücken gespürt habe. Ich habe mich umgedreht und sah diese Person mit dem Messer in der Hand.“
Steffi Graf (r.) und Monica Seles freuen sich nach dem "Traum-Finale" der US Open am 09.09.95 in New York.
Steffi Graf gewann 1995 das "Traum-Endspiel" der US Open gegen Monica Seles - im August hatte Seles ihr Comeback gegeben. (picture-alliance / dpa / Rehder Carsten)
Steffi Graf besucht ihre Kontrahentin nach der Tat im Krankenhaus. Das Finale verliert sie gegen die Spanierin Sanchez-Vicario überraschend klar. Die Attacke auf Seles geht nicht spurlos an ihr vorüber, auch wenn sie sich nach außen gefasst gibt. Grafs Statement am Rande des Turniers in Hamburg:
„Damit muss man einfach leben. Wir müssen damit leben. Man kann einfach nicht mit der Angst leben. Es ist jetzt für mich etwas einfacher zu sagen, weil es mir nicht passiert ist, aber trotzdem habe ich keine Angst davor.“

Seles: Nie wieder ein Turnier in Deutschland

Monica Seles hingegen kann zwei Jahre lang keine Turniere mehr spielen, sie hat Depressionen und leidet unter Essstörungen. Ex-Profi Eva Pfaff, die heute als Sportpsychologin tätig ist, mit einem Erklärungsversuch:
„Wenn man sich dann ausmalt, was hätte passieren können oder das hätte noch viel schlimmer sein können, das ist absolut ein Trauma, eine posttraumatische Störung, und das kann lange dauern, und das kann sie auch sehr, sehr lange hinziehen, und die Leute, die das erleben, die können jederzeit getriggert werden, und die sind höchst sensibel und auch gefährdet.“

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, Schutz für Spielerinnen

Die Sicherheitsvorkehrungen werden sofort nach dem Vorfall strenger, an den Spielerinnenbänken werden Wachleute postiert. Barbara Rittner ist inzwischen auch Turnierdirektorin des Berliner Profi-Rasenturniers der Women’s Tennis Association, WTA. Hat das Attentat bis heute Auswirkungen auf die Organisation von Tennisturnieren?
„Das wird jetzt nicht so speziell thematisiert, aber die Präsenz der Security hat natürlich enorm zugenommen, gerade auch am Platz und an den unterschiedlichen Eingängen. Und gerade bei den Grand Slams wird jeder Zuschauer durchleutet, also, da bringst du so schnell nicht selbst Glasbehälter mit Getränken auf die Anlage, also bekommst du abgenommen, und man wird gescannt.
Es gibt auch von der WTA eine Liste von Menschen, die unangenehm aufgefallen sind oder die vielleicht auch sogar Verbot haben bei Turnieren oder die man, wenn sie auftauchen, im Umfeld der Spielerin, die man genau beobachtet. Also da wird schon sensibilisiert, so gut es geht. Und als Turnierveranstalter oder auch als Tunierdirektorin selber hofft man natürlich immer, dass nichts passiert in der Turnier-Woche. Ist ja klar!“
Im August 1995 gibt Monica Seles ihr Comeback – mit einem Sieg bei den Canadian Open. Obwohl sie noch 20 Turniere gewinnen kann – darunter die prestigeträchtigen Australian Open – findet sie nicht wieder zu ihrer ursprünglichen Dominanz zurück, kämpft immer wieder mit Verletzungsproblemen. 2008 beendet sie offiziell ihre Karriere. In Deutschland hat die heute 49-Jährige nie wieder ein Turnier gespielt.