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Attentat von London
"Es sieht schon verdammt nach Islamischem Staat aus"

Wenn Ermittler in Großbritannien von internationalem Terrorismus sprechen, sei das ein Codewort für Al-Kaida oder Islamischer Staat, sagt Peter Neumann, Sicherheitsexperte am Londoner King's College, im DLF. Die Briten seien zwar die Besten bei der Anti-Terror-Abwehr in Europa, aber Anschläge mit Messern und Autos könne man nicht verhindern.

Peter Neumann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.03.2017
    Peter Neumann, Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation" am Londoner King‘s College.
    Peter Neumann, Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation" am Londoner King‘s College. (imago / IPON)
    Jasper Barenberg: Drei Passanten und einen Polizisten hat der Angreifer gestern im Zentrum von London getötet, 40 weitere Menschen zum Teil schwer verletzt, bevor er selbst erschossen wurde von einem Sicherheitsbeamten. Das ist die vorläufige Bilanz des Anschlages gestern ganz in der Nähe des britischen Parlaments. Die Polizei glaubt, inzwischen auch die Identität des Attentäters zu kennen und zu wissen, dass der Mann, wie es heißt, vom internationalen Terrorismus inspiriert gewesen ist. – Am Telefon ist jetzt Peter Neumann, der sich am King’s College in London intensiv mit Terrorismus, Radikalisierung und Sicherheitspolitik beschäftigt. Wir erreichen ihn heute Morgen in Brüssel. Einen schönen guten Morgen dorthin.
    Peter Neumann: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Das Anschlagsmuster erinnert an den Islamischen Staat
    Barenberg: Herr Neumann, nach dem, was wir zur Stunde wissen, was bekannt ist, welche Handschrift trägt der Angriff gestern nach Ihrer Einschätzung?
    Neumann: Wir wissen drei Dinge. Erstens: Die Polizei oder die Regierung hat gesagt, es war ein terroristischer Anschlag. Wir wissen zweitens, die Sicherheitsbehörden sagen, es handelt sich um internationalen Terrorismus, was in England Codewort ist für entweder Al-Kaida oder Islamischer Staat. Und drittens: Wir wissen, dass das Muster des Anschlages gestern genau das ist, was wir auch verschiedenen Orts gesehen haben, zum Beispiel in Nizza, in Berlin, in den letzten drei Jahren überall sonst in Europa. Es sieht schon verdammt nach Islamischer Staat oder zumindest dschihadistisch inspiriert aus.
    Sympathisant oder Attentäter mit Auftrag
    Barenberg: Wenn Scotland Yard jetzt sagt oder diese Formulierung benutzt, vom internationalen Terrorismus inspiriert, ist das auch ein Hinweis darauf, dass es möglicherweise oder wahrscheinlich keinen direkten Auftrag etwa vom IS gegeben hat, sondern dass es ein Angriff auf eigene Initiative gewesen ist?
    Neumann: Wenn Sie sagen "inspiriert", dann würde ich das schon als Hinweis darauf nehmen. Allerdings ist das noch nicht klar und ich glaube, die Behörden müssen auch selbst erst mal ein oder zwei Tage abwarten. Das ist ja immer die Choreographie. Diese Anschläge passieren und dann, ein oder zwei Tage später, kommt eine Botschaft von Amaq, der Nachrichtenagentur des Islamischen Staates. Wenn diese Botschaft dann kommt, dann wissen wir mehr. Diese Botschaft sagt dann entweder, das war ein Soldat des Kalifats, oder das war jemand, der war von uns inspiriert, und das gibt dann gewissermaßen den Ton an. Und die Frage ist natürlich auch, ob ein Video existiert, und auch das werden wir in den nächsten ein, zwei Tagen wahrscheinlich herausfinden.
    Barenberg: Das müssen wir noch abwarten?
    Neumann: Genau.
    Niemand kann verhindern, dass sich jemand ein Messer schnappt
    Barenberg: Sicher wissen wir dagegen, dass ein Auto zu einer Waffe gemacht wurde und dass der Täter mit einem Messer unterwegs war. Kann man im Umkehrschluss vielleicht sagen, dass das auch bedeutet, dass die Sicherheitsbehörden mit ihren Maßnahmen mehr als das zu verhindern wussten?
    Neumann: Ja. Das ist ja gewissermaßen die Strategie des Islamischen Staates, dass man gesagt hat, okay, wir passen jetzt die Taktiken, die wir von unseren Anhängern fordern, wir passen die den Gegebenheiten an. Und es ist einfach in Großbritannien sehr, sehr schwierig geworden in den letzten zehn Jahren, einen komplexeren terroristischen Anschlag durchzuführen, weil die Behörden sehr gut sind. Deswegen hat der Islamische Staat nicht nur in Großbritannien, aber überall seit geraumer Zeit gesagt, macht etwas ganz einfaches, etwas, was nicht zu verhindern ist.
    Hilfslosigkeit erzeugen ist das Ziel des Terrors
    Das war vielleicht aus der Not geboren, aber es ist im Prinzip auch eine sehr clevere Strategie, denn bei Terrorismus geht es darum, Terror zu erzeugen, und nichts erzeugt mehr Terror als das Gefühl der Bevölkerung, total hilflos zu sein und etwas ausgesetzt zu sein, was im Prinzip niemand verhindern kann. Es kann niemand verhindern, dass sich jemand ein Auto und ein Messer schnappt. Und das zu wissen und zu wissen, dass das trotzdem diese Art von Terror erzeugen kann, das ist etwas, was auch Terror erzeugt.
    Barenberg: Viele fragen sich jetzt natürlich am Morgen danach, wie war es überhaupt möglich, dass ein Attentäter bis in einen Innenhof des Parlaments vordringen konnte? Sehen Sie da durchaus auch Schwächen, was die Sicherheitsvorkehrungen rund um Westminster angeht?
    Neumann: Das vermag ich jetzt nicht genau zu beurteilen. Ich war häufig schon genau in diesem Innenhof und ich weiß, dass manchmal das Tor zu diesem Innenhof geöffnet ist, weil da Autos rein- und rausfahren. Es kann durchaus sein, dass das kurzfristig geöffnet war und dass der Attentäter dann dadurch reingekommen ist. Aber das ist jetzt von mir reine Spekulation. Ich kann das nicht beurteilen.
    Bei den Gefährdern liegt Deutschland eher im Mittelfeld
    Barenberg: Wir erinnern uns an Nizza, an Berlin, jüngst an Orly, jetzt London. Das ist ja auch ein Zeichen dafür, dass alle Staaten im Westen Ziel der Dschihadisten sind. Gilt das für Großbritannien aber noch einmal in ganz besonderer Weise?
    Neumann: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass Großbritannien zum Beispiel so stark betroffen ist von der derzeitigen Welle wie Frankreich oder Belgien zum Beispiel. Wir wissen das auch, wenn man jetzt mal als Vergleichsgröße nimmt die Leute, die aus verschiedenen europäischen Ländern nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen. Da sehen Sie deutlich, dass Frankreich und Belgien und auch einige skandinavische Länder am aller- allerstärksten betroffen sind, und Staaten wie Großbritannien und Deutschland eher im Mittelfeld liegen, nicht ganz unten, aber eher im Mittelfeld, also nicht ganz so stark betroffen sind. Das hat sich auch gezeigt in den Anschlägen, die wir in den letzten zwei, drei Jahren gesehen haben, und ich glaube, das ist auch Ausdruck der Tatsache, dass einfach die Situation, auch die soziale und politische Situation etwas besser ist in diesen Ländern als zum Beispiel in Frankreich und in Belgien.
    Die Briten sind die besten Sicherheitsbehörden in Europa
    In Großbritannien kommt noch dazu, dass Sie dort Sicherheitsbehörden haben, die in den letzten zehn, zwölf Jahren wirklich sehr, sehr gut geworden sind. Wenn Sie irgendeinen Geheimdienstler in Europa fragen, in Deutschland zum Beispiel, was sind die besten europäischen Behörden, was die Sicherheit angeht, dann wird keiner zögern und sagen, das sind die Briten. Die haben da in den letzten zehn Jahren bei der Anti-Terrorismus-Abwehr wirklich etwas ganz Beeindruckendes auf die Beine gestellt. Ich glaube deswegen, dass das, was gestern passiert ist, natürlich schlecht aussieht, dass das aber keine Reflektion über die Situation in Großbritannien insgesamt ist.
    Geheimdienste konnten 13 Großanschläge verhindern
    Barenberg: Das heißt, es ist durchaus plausibel und nachvollziehbar, wenn die britischen Sicherheitsbehörden sagen, dass man in den letzten Jahren 13 Anschläge vereiteln konnte?
    Neumann: Ja, und diese 13 Anschläge sind zum Teil relativ gut bekannt. Der allergrößte war zum Beispiel 2006 dieser sogenannte Flugzeug-Plot, wo Al-Kaida versucht hat, zwölf Flugzeuge gleichzeitig über dem Atlantik zum Absturz zu bringen. Das waren teilweise richtig große Anschlagspläne, die von den Behörden dort verhindert wurden.
    Viele Täter aus der dschihadistischen, salafistischen Szene
    Barenberg: Jetzt haben Sie auch gesagt, dass man eigentlich nichts tun kann, wenn jemand ein Auto zur Waffe macht und ein Messer in die Hand nimmt. Müssen wir zur Kenntnis nehmen, gegen Einzeltäter wie diesen und Taten wie diesen sind wir schlicht nicht gewappnet?
    Neumann: Na ja. Wenn es dann soweit kommt, dass sie tatsächlich diese Tat durchführen, absolut. Aber es ist nach wie vor so, dass Einzeltäter, sogenannte einsame Wölfe, die überhaupt keine Verbindung zu einer Szene haben, dass das nach wie vor sehr, sehr selten ist. Die allermeisten terroristischen Attentäter kommen nach wie vor aus Szenen, aus der rechtsextremen Seite, aus der rechten Szene, aus der dschihadistischen Seite, aus der salafistischen Szene, sind nach wie vor in Netzwerken mit zum Beispiel radikalen Predigern verbunden. Das sind Leute, die meistens bekannt sind, und ich wäre nicht überrascht, wenn auch in diesem Fall sich herausstellen würde, dass der Attentäter der Polizei bekannt war. Es geht nicht darum, dass das völlig Unbekannte sind, sondern welche Leute man beobachtet und wie man mit dieser Gefahr umgeht.
    Barenberg: Peter Neumann vom King’s College in London. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Neumann: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.