Liminski: Herr Merz, wie sieht Ihr Einwanderungskonzept aus? Streben Sie eine Kontingentierung oder Einwanderungsquote wie in den USA an?
Merz: Zunächst einmal möchte ich gerne darauf hinweisen: Wir schwenken hier nicht das Ruder um 180 Grad herum, sondern ich habe den Kollegen Bosbach gebeten, einen unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, einmal ein Papier zu erstellen, in dem die gegenwärtige Lage der Einwanderer in die Bundesrepublik beschrieben wird. Was für Einwanderer haben wir, was sind die Probleme der Einwanderung, die wir haben, und wie könnten Lösungen aussehen. Daraus ist ein sehr umfangreiches Papier geworden. Kollege Bosbach hat das Papier gestern vorgelegt. Wir sind ja noch in Luckenwalde in Brandenburg zu einer Klausurtagung des geschäftsführenden Vorstandes zusammen. Er hat einfach mal aufgeschrieben, welche Probleme wir gegenwärtig haben und wie die Lösungen aussehen könnten. Dabei ist eine sehr umfangreiche Analyse herausgekommen, die, um es auf einen kurzen Nenner zu bringen, sagt, wir haben gegenwärtig unverändert ein hohes Maß an Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland, aber wir haben Problemgruppen und wir können diejenigen, die wir in Deutschland eigentlich brauchen, gegenwärtig aus vielen Gründen nicht gewinnen. Darüber haben wir intensiv diskutiert. Dieses Papier wird der Bundestagsfraktion in der nächsten Woche als Diskussionspapier zur Verfügung gestellt, und daraus werden wir weiter diskutieren. - Kein Schwenk, sondern eine Analyse, und die Konsequenzen daraus werden sein, dass wir die Einwanderer, die wir brauchen, gewinnen müssen. Wir werden Bedingungen schaffen müssen, dass wir Menschen für die Bundesrepublik Deutschland gewinnen, die wir dringend brauchen, in Wissenschaft und Forschung, auf vielen Arbeitsplätzen. Wir werden die ungeregelte Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere bei den Problemgruppen, weiter zurückdrängen müssen, denn wir wollen im Ergebnis keine höhere Zuwanderung, sondern in der Zusammensetzung der Zuwanderer eine andere, und dies wird uns noch lange beschäftigen.
Liminski: Das Konzept von Herrn Bosbach sieht in diesem Sinne eine institutionelle Garantie an Stelle des Artikel 16 Grundgesetz vor. Für eine Änderung des Asylgesetzes brauchen Sie aber die Stimmen der SPD. Werden Sie auf anderen Gebieten etwas anbieten?
Merz: In der Tat ist die Frage des Asylrechts mit ein Bestandteil des Diskussionspapiers, wobei wir noch einmal ausführlich auch mit Fachleuten darüber sprechen wollen, ob wir denn mit einer Änderung des Grundrechts auf Asyl hin zu einer institutionellen Garantie wirklich etwas bewirken können. Das materielle Asylrecht wird dadurch nicht in Frage gestellt, wohl aber die sehr lange dauernden Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, denn unverändert ist es so, dass die Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, nur zu drei Prozent als Asylbewerber anerkannt werden, weitere drei Prozent in den gerichtlichen Verfahren. Das heißt im Ergebnis, 94 Prozent der Asylbewerber, die hier herkommen, haben keinen Asylgrund, sind aber zum Teil wegen der lang andauernden Verfahren für viele Jahre in Deutschland. Das müssen wir ändern, und ich glaube nicht, dass die Sozialdemokraten sich dem widersetzen werden, wenn man darüber nüchtern und ohne Emotionen diskutiert und die Frage stellt, wie können wir auch dieses Problem lösen. Es gehört aber in einen Gesamtzusammenhang, in einen Gesamtkontext der Zuwanderungssteuerung, der Zuwanderungsbegrenzung und eben auch der attraktiven Bedingungen für Menschen aus anderen Ländern, die wir in Deutschland gerne hätten.
Liminski: Herr Merz, nach Agentur- und Presseberichten heißt es aus der CSU, der Plan sei noch unausgegoren. Haben Sie ihn vorher nicht mit der Schwesterpartei abgesprochen?
Merz: Wir haben keinen Plan, Herr Liminski, sondern wir haben ein Diskussionspapier. Dieses Diskussionspapier ist gestern einhellig von allen, auch von den Kolleginnen und Kollegen der CSU, im geschäftsführenden Vorstand als eine gute und in die richtige Richtung zielende Grundlage für unsere weiteren Diskussionen angenommen worden. Ich kenne Meldungen, dass das als unausgereift oder, wie Sie gesagt haben, unausgegoren von der CSU kommentiert worden ist, nicht. Die Kollegen der CSU, die an der Diskussion gestern teilgenommen haben, haben übereinstimmend gesagt, das ist genau die richtige Richtung, in die wir weiter diskutieren müssen.
Liminski: Das Papier müsste auch auf europäischer Ebene abgeklärt werden. Wird das geschehen? Wäre dies auch nicht mal eine Gelegenheit, über das Europäische Parlament eine allgemeine Regelung zur Einwanderung in die EU zu beschließen?
Merz: Ich bin ja nun selber einige Jahre Mitglied des Europäischen Parlaments gewesen und weiß, dass das Thema Asyl- und Ausländerrecht auf europäischer Ebene schon lange eine Rolle spielt. Wir werden - und das ist auch ein Bestandteil dieses Papiers - langfristig eine europäische Regelung des Asyl- und Einwanderungsrechtes brauchen. Innerhalb der Europäischen Union haben wir es bereits durch die Freizügigkeit, aber wir brauchen es natürlich auch gegenüber Drittstaaten-Angehörigen. Darüber müssen wir uns allerdings in Deutschland dann auch im klaren sein: Auf der Basis des deutschen Grundrechts auf Asyl wird es eine europäische Einigung, eine europäische Lösung nicht geben, denn es gibt kein Mitgliedsland der Europäischen Union, das bereit ist, das Grundrecht der Bundesrepublik Deutschland auf Asyl zu übernehmen. Es gibt aber viele, die bereit sind, auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention eine gemeinsame Regelung zu treffen. Deswegen ist der größte Veränderungsbedarf in der Bundesrepublik Deutschland selbst, und genau darüber haben wir gestern diskutiert.
Liminski: Der Druck zur Änderung des Einwanderungsgesetzes ist zweifellos von der Debatte um die "Greencard" ausgegangen. Diese wiederum hat mit Defiziten zu tun, die auf den demographischen Wandel zurückzuführen sind, eine Ursache, die auch für Probleme in anderen Bereichen sorgt, etwa bei der Rente. Einwanderung löst das Problem nur partiell. Deutschland bleibt nach aller Erfahrung ein älter werdendes Land. Das Rentenproblem wird sich verschärfen, die Innovationskraft schwindet, Arbeitskräfte werden Mangelware, der Generationsverfall siecht dahin, nach Biedenkopf ist er längst aufgekündigt. Ist es nicht an der Zeit, Herr Merz, ähnlich wie in Skandinavien oder in Frankreich auch eine Familienpolitik zu betreiben, die die alten historischen Komplexe und Vorurteile ablegt und auch geburtenfreundlich ist und sein will?
Merz: Sie haben völlig zurecht den Zusammenhang hergestellt zwischen der demographischen Entwicklung in Deutschland, der Einwanderungspolitik und der Rente. Ich glaube nun allerdings, zwei Grundbedingungen werden wir kaum ändern können. Wir werden erstens über eine höhere Zuwanderung das Problem der Rentenversicherung nicht lösen. Wir werden zweitens mit einer noch so guten Familienpolitik - und wir haben gute Familienpolitik in den letzten Jahren gemacht und sie muss weiter verbessert werden - das grundsätzliche Verhalten der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht ändern, das nämlich darin besteht, von Generation zu Generation weniger Kinder zu bekommen. Damit ist die Grundlage der Rentenversicherung gefährdet. Das ist der Grund dafür, dass wir schon seit langer Zeit über die Rentenpolitik diskutieren und wir in der letzten Legislaturperiode auch eine Rentenreform gemacht haben, die die rot/grüne Bundesregierung zurückgenommen hat. Jetzt stehen wir wieder genau da, wo wir 1997/98 in der rentenpolitischen Debatte standen, und sprechen darüber, wie man das Problem lösen kann. Wir haben in der Bundestagsfraktion vor zwei Wochen konkrete Vorschläge dazu unterbreitet und diskutieren mit der Bundesregierung in den Rentenkonsensgesprächen über gemeinsame Lösungen. Diese gemeinsamen Lösungen können nur darin bestehen, dass die private Vorsorge gestärkt wird und dass gleichzeitig das Rentenniveau über einen langen Zeitraum nicht mehr so stark steigt wie die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Darüber sind wir uns zwischen Regierung und Opposition im Grundsatz wohl einig. Wir haben aber natürlich noch eine ganze Reihe von Streitpunkten, unter anderem den, dass das Beitragsniveau für die Versicherten, also für die jüngeren Menschen in Deutschland, nicht weiter steigen darf. Die Bundesregierung schlägt einen Beitrag von 22 Prozent vor. Heute haben wir 19,3 Prozent. Diese 22 Prozent sollen langfristig sein plus vier Prozent für die private Vorsorge. Das heißt im Klartext 26 Prozent Beitrag, und das ist etwas, was wir nicht bereit sind zu akzeptieren, weil das die Beitragsbelastung der jüngeren Generation noch weiter steigen lässt. Darüber muss diskutiert werden. Ich sage allerdings auch, bevor wir weitersprechen: Wir erwarten, dass die rot/grüne Bundesregierung ihrerseits intern klärt, welche Vorschläge denn nun von ihr wirklich kommen, denn wir haben ja in den letzten Tagen mehrfach hören müssen, dass es einen zunehmenden Streit innerhalb der rot/grünen Koalition gibt über die Rentenpolitik. Deswegen erwarten wir, dass zunächst einmal die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen klären, was sie denn jetzt wirklich gemeinsam vorschlagen wollen. Dann müssen wir Anfang Juli sehen, wie es weitergeht. Ich bin verhalten optimistisch, dass es uns gelingt, eine gemeinsame Lösung zu finden, aber wir sind davon noch relativ weit entfernt.
Liminski: Herr Merz, muss diese Frage nicht auch in der CDU selber noch geklärt werden? Vor 20 Minuten hat in dieser Sendung Herr Ahrentz von den Sozialausschüssen Widerstand gegen einen Trend angemeldet, nämlich den Rentenbeitrag festzuschreiben. Das würde dazu führen, dass die Rentenleistung über die Jahre sinkt und man schließlich doch bei der Grundrente oder Sozialrente für alle landet, eine Idee, die Herr Biedenkopf zum Beispiel ja befürwortet. Wo ist da die Kompromisslinie in der CDU?
Merz: Wir haben im Präsidium und im Vorstand der Bundespartei - und Hermann-Josef Ahrentz ist Mitglied des Präsidiums der Partei - mit seiner Zustimmung beschlossen, dass die Beitragsbelastung der jüngeren Generation in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht weiter steigen darf. Das ist sozusagen die Grundannahme und Grundvoraussetzung für weitere rentenpolitische Beschlüsse und auch für rentenpolitische Gemeinsamkeiten mit der Regierung. Wir wissen, dass das schwierig ist. Wir wissen, dass wir eine Rentenformel brauchen, die dies auch mit aufnimmt und die dann dafür sorgt, dass Rentenversicherungsbeitrag und Leistungen aus der Rentenversicherung zusammen passen und die Leistungen nicht so niedrig werden, dass sie die Sozialhilfegrenze erreichen oder sogar unterschreiten. Das wird sehr schwierig, aber wir müssen darüber sprechen auch im Zusammenhang mit der privaten Vorsorge und mit der Steuerfreistellung der privaten Vorsorge. Das sind Grundannahmen, die in der Union von niemandem in Frage gestellt werden, und das ist genau das Konzept, was wir auch in der Bundestagsfraktion einstimmig, übrigens in Gegenwart von Norbert Blüm, mit allen 245 Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschlossen haben. Wir sind in dieser Frage ein ganzes Stück weiter als die SPD und die Grünen, die in den Bundestagsfraktionen noch kein Konzept beschlossen haben.
Liminski: Das war Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im deutschen Bundestag. - Besten Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio