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"Auch Deutschland ist ein möglicher Angriffspunkt."

Berlins Innensenator Ehrhart Körting sieht auch die Bundesrepublik als einen möglichen Angriffspunkt für Terroristen. Deutschland sei Teil der westlichen Welt und gehöre deshalb zu dem, was islamistische Terroristen bekämpften. Die Gefahr eines Anschlags sei hierzulande aber eher abstrakt, sagte der SPD-Politiker.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Der Schock sitzt tief in der Londoner Bevölkerung, aber der Notfallplan lief gestern nahezu routiniert ab und die Fahndung läuft nun mit Hochdruck. Dass auch Deutschland zu den gefährdeten Ländern gehört, bestätigte gestern Abend in unserer Spätsendung der bayerische Innenminister Beckstein mit diesen Worten:

    "Ich bin überzeugt, dass die Anschläge in London uns Grund geben müssen, unsere Sicherheitslage zu überprüfen. Diese Überprüfung ergibt für mich, dass wir auch im Visier des islamistischen Terrorismus liegen. Dort war die Rede davon, dass die Kreuzfahrerregierungen aufgefordert werden, ihre Truppen von Afghanistan und Irak zurückzuziehen. Auch wenn deutsche Truppen im Irak nicht sind, wir sind in Afghanistan sogar stärker als England mit Truppen vertreten. Deswegen sind wir auch mit im Visier, zumal wir natürlich auch ein westliches Land sind, das die Islamisten angreifen wollen. Eine allgemein erhöhte Gefahr hat aber Gott sei Dank keine einzige Sicherheitsbehörde in Deutschland, einen konkreten Hinweis auf eine konkret bevorstehende Straftat."

    Liminski: Der bayerische Innenminister Beckstein gestern Abend hier im Deutschlandfunk und mitgehört jetzt hat sein Kollege in Berlin, Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Körting.

    Ehrhart Körting: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Körting, Sie haben Ihren Urlaub abgebrochen und sind zurück nach Berlin geeilt. Ist hier Gefahr im Verzug? Fürchten Sie auch Anschläge in Berlin?

    Körting: Wir haben keinerlei Hinweise auf mögliche Anschläge in der Bundesrepublik oder in der Bundeshauptstadt. Trotzdem halte ich es schon für sinnvoll, nach einem so schrecklichen Vorgang wie in England mich mit meinen Mitarbeitern noch mal zusammenzusetzen und persönlich mit ihnen durchzudiskutieren, ob wir alles getan haben, was man an Prävention tun kann, wobei ich die Einschätzung von Beckstein teile. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist, wenn auch nachrangig, ein möglicher Angriffspunkt für islamistische Terroristen. Wir gehören zur westlichen Welt. Wir gehören also zu dem, was die islamistischen Terroristen ablehnen und was sie bekämpfen. Insofern besteht auch bei uns eine abstrakte Gefahr, aber eine konkrete Gefahr kann zurzeit möglicherweise keiner sehen.

    Liminski: Abstrakte Gefahr sagen Sie. Konkret gesprochen: wäre so eine Anschlagsserie auch in Berlin möglich?

    Körting: Eine solche Anschlagsserie ist leider überall möglich. Die Terroristen haben ja auch in London sich wieder auf so genannte weiche Ziele konzentriert, das heißt Ziele, die nicht besonders gut schützbar sind. Eine Botschaft kann ich durch entsprechende Maßnahmen auch baulicher Art und durch entsprechende Abstände zum Straßenraum oder ähnliches schützen. Das kann ich bei U-Bahnen oder bei Bussen oder bei sonstigen Einrichtungen, wo viele Leute zusammenkommen, nicht gut tun. Insofern muss man mit solchen Anschlägen theoretisch überall rechnen, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Was wir tun können ist, möglichst viel Informationen im Vorfeld zu bekommen. Das ist nicht so sehr eine Frage, dass ich möglichst viel Polizei in solche Einrichtungen stecke, sondern dass ich aus dem Bereich, aus dem heraus solche Anschläge passieren, rechtzeitig Informationen bekomme. Das hat in Deutschland sage ich jetzt mal positiv bei möglichen Anschlägen funktioniert. Wir haben die Al-Tauid-Gruppe gehabt, die in Nordrhein-Westfalen einen Anschlag verüben wollte. Wir hatten einen möglichen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Allawi. Das hat bisher gut funktioniert, aber es gibt keine Garantie für die Zukunft.

    Liminski: Sie sprechen von Informationen im Vorfeld. Das setzt doch auch eine gewisse Kooperation mit den Verbündeten voraus: USA, Frankreich, Großbritannien, vielleicht auch Israel. Wie läuft diese Kooperation?

    Körting: Seit dem 11. September 2001 läuft sowohl die Kooperation im Bund und zwischen den Ländern wie ich meine auf hohem Niveau gut. Es gibt nichts, was man nicht noch verbessern könnte, aber sie läuft auf hohem Niveau gut. Und auch die Kooperation mit ausländischen Diensten läuft über das Bundesinnenministerium wie ich meine bisher hervorragend. Wir haben eine Vielzahl jeweils von Informationen bekommen, denen man auch nachgehen konnte, die man auch versuchen konnte zu verifizieren. Glücklicherweise haben sie sich alle als nicht gefährlich herausgestellt. Wir kriegen aber Informationen auch von den ausländischen Diensten.

    Liminski: Konnten Sie schon Anschläge vereiteln aufgrund dieser Informationen?

    Körting: Ich habe ja darauf hingewiesen. Es gab die Situation mit der Al-Tauid-Gruppe in Nordrhein-Westfalen. Es gab die Situation mit dem geplanten Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten. Bisher ist es uns gelungen, im Vorfeld so etwas aufzudecken, aber wie gesagt London hat sicherlich ein genauso hervorragendes Sicherheitspaket, wie wir es in der Bundesrepublik Deutschland haben. Es gibt keine Garantie. Sie können nicht in jeden einzelnen Menschen hineinsehen.

    Liminski: Herr Körting, bei den Bildern gestern in London fiel auf, wie gefasst die Menschen waren, so als hätten sie das geübt. Auch haben die meisten eine Wasserflasche dabei, privates Mittel gegen Schockzustände. Der Notfallplan der Briten funktionierte. Gibt es solch einen Plan für Berlin und wie sieht er aus?

    Körting: Wir haben uns natürlich nach den Anschlägen vom 11. September und wiederholt nach dem Anschlag in Madrid bestimmte Szenarien vorgestellt und uns auf bestimmte Szenarien eingestellt. Wir haben glaube ich in der Bundesrepublik und insbesondere auch in den Großstädten wie Berlin eine eingespielte Mannschaft von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, medizinischer Versorgung und ähnlichem, die in der Lage wäre, bei solchen schrecklichen Ereignissen dann den Menschen zumindest zu helfen nach solchen Anschlägen. Wir haben dafür Pläne. Wir haben Evakuierungspläne. Wir haben insofern für Großschadensereignisse oder auch für Katastrophenereignisse durchaus das entsprechende Wissen. Das wird auch geübt durch entsprechende Übungen. Ich glaube wir wären auf solche Dinge vorbereitet. Wir hoffen, dass wir es nie in die Tat umsetzen müssen.

    Liminski: Terroranschläge wie in London haben auch mikropolitische Kollateralschäden. In Madrid konnte man zum Beispiel beobachten, dass die Menschen nach dem 11. März 2004 Gastarbeiter oder Zugewanderte vor allem mit arabischer Prägung oder Aussehen misstrauisch beäugten. Es kam wohl auch zu Auseinandersetzungen. In Berlin gibt es nicht wenig Ausländer. Fürchten Sie solche Kollateralschäden auch für Ihre Stadt?

    Körting: Ich fürchte, dass es natürlich wieder zu entsprechenden Reaktionen kommt. Nur wir müssen eins sehr genau sehen: Es handelt sich um wenige islamistische Terroristen, die zu solchen Mitteln greifen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Wir haben in der Stadt rund 250.000 Muslime. Das sind friedliche Bürger unserer Stadt und wir sollten alles tun, sie nicht in eine Ecke zu stellen, sondern sie sollten mit uns zusammen gegen den Terrorismus kämpfen, wie überhaupt ich glaube dieser Krieg nicht so sehr durch die Sicherheitsdienste, sondern letztlich über die Köpfe zu entscheiden sein wird. Das heißt es muss uns gelingen, auch in der muslimischen Welt, in der arabischen Welt zu einer Ächtung derartiger terroristischer Aktivitäten zu kommen. Erst dann wird man auf Dauer Sicherheit haben.

    Liminski: In Deutschland, Herr Körting, hat eine Diskussion über mehr Sicherheitsmaßnahmen nun eingesetzt. Teilen Sie die Ansicht, dass wir mehr Vorkehrungen brauchen?

    Körting: Ich glaube, wir sind nach dem 11. September und nach Madrid gut aufgestellt. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. Es gibt noch ein paar kleinere Baustellen. Wir haben ein gemeinsames Zentrum von Bundesverfassungsschutz und Bundeskriminalamt in Berlin durch Otto Schily erst vor kurzer Zeit eingeweiht bekommen. Wir sind noch dabei, die Dateien zusammenzuführen. Dazu hat der Bundesinnenminister einen Gesetzentwurf auf der Innenministerkonferenz vorgelegt. Ich glaube nicht, dass es in erster Linie eine Fragestellung der Gesetzgebung ist, was wir machen müssen. Wir müssen sehen, ob das eine oder andere organisatorisch noch besser organisiert werden kann. Ich erinnere an die Debatte Umzug Bundesnachrichtendienst nach Berlin, also Zusammenführung der Dienste am Regierungssitz zur besseren Koordination und zur besseren Kommunikation. Das sind aber glaube ich Schlusssteine. Letztlich ist es eine Frage, dass wir das, was wir an gesetzlichen Möglichkeiten haben, auch ausreizen. Auch da glaube ich sind wir nicht schlecht aufgestellt.