Udo Steinbach: Guten Tag.
Probst: Bei den diversen Geiselnahmen und Erpressungsversuchen, die wir im Irak ja schon erlebt haben, gleich mit welchem Ausgang, ging es immer meist direkt oder zumindest indirekt auch um den Irakkrieg. Entweder waren es Staatsbürger aus Ländern, die Truppen im Irak haben oder hatten oder die mit den Besatzungsmächten oder der irakischen Übergangsregierung kooperiert haben. Nun sind es Bürger eines Landes, das strikt gegen den Irakkrieg war und immer noch ist, es betrifft auch in gewisser Weise französische Innenpolitik. Muss man hier von einer neuen Qualität politisch-religiöser Erpressungsversuche sprechen?
Steinbach: Ich wäre da sehr zögerlich. Wir können ja eigentlich kaum noch unterscheiden, was Teil eines anti-amerikanischen Befreiungskampfes ist, was mit Religion zu tun hat, was mit Ideologie. Es ist ja praktisch heute kaum noch etwas, was nicht in der ein oder anderen Weise wirksam gemacht werden kann, um es dann in Form eines Erpressungsversuches hervorzuholen. Wir haben ja auch erlebt, dass es um Afghanistan ging, Osama bin Laden soll ein Ultimatum gestellt haben, für alle, die in Afghanistan sind, sich bis zu einem bestimmten Punkt zurückzuziehen. Wir haben erlebt, dass Muslime dran sind, diese Türken sind bereits ermordet worden, ein Pakistani, das Argument war, dass die irgendwie mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Die Türkei hat nun mit dieser ganzen Irakgeschichte wirklich auch nichts zu tun, mindestens so wenig wie Frankreich. Ich wäre da sehr vorsichtig. Was die Sache selber betrifft, so spüren wir doch im Augenblick, wenn ich das so richtig lese, in die arabischen Zeitungen hineinschauend, spüren wir doch einen ziemlich breiten Widerstand gegen diese Form von Argumentation, wie sie von den Geiselnehmern jetzt in Sachen der französischen Journalisten vorgetragen wird.
Probst: Wie soll man denn aber die Tat und die Argumentation einordnen? Eine gewisse Wahllosigkeit und ein Motiv wird sich dann schon finden lassen?
Steinbach: So ist es. Es ist der Kampf gegen den Westen, das ist ein Westen, der unmittelbar präsent ist in Form der Truppen und Besatzungsmächte, aber das ist auch ein Westen in Form einer ideologischen Größe. Wieso kommt es, dass in der Türkei Attentate stattgefunden haben, in Istanbul gegen Moscheen vor dem britischen Konsulat? Die Türkei hat mit dem Irak nichts zu tun. Aber sie wird eben hineingemischt in ein diffuses und krudes antiwestliches Argument. Natürlich, diese Kopftuchfrage in Frankreich hat eine gewisse Aufmerksamkeit in der arabischen Presse erfahren, aber keineswegs durchweg feindselig. Der Sheikh der berühmten Al-Azra-Moschee hat sogar mit dem französischen Innenminister darüber gesprochen und hat es gut und richtig geheißen, dass die Franzosen hier ihre eigenen Regelungen treffen und das gilt im übrigen auch für Deutschland. Auch die Kopftuchdebatte hier bei uns ist bereits in den Gazetten in der arabischen Welt anhängig geworden. Aber das hat noch nichts mit einer Feindseligkeit zu tun und ich glaube, es ist einfach ein neues Argument, das hier hervorgeholt wird, eines, das die islamische Welt vielleicht bewegen könnte, dass die Radikalen dann aber zuspitzen, in diesem Falle gegen Frankreich. Deswegen würde ich diese Form von Geiselnahme noch nicht hineintun in das, was man vielleicht als Kampf der Kulturen bezeichnen könnte.
Probst: Es könnte genauso gut sein, wenn es gegen die gesamte westliche Zivilisation geht, dass demnächst vielleicht auch Deutsche betroffen werden und dann heißt es: Ihr müsst die Asylpolitik ändern, oder?
Steinbach: Das ist völlig richtig. Wenn dieser Fall etwas zeigt, ist es, das durchaus auch Mächte betroffen werden können, Länder betroffen werden, die eigentlich mit der Angelegenheit nichts zu tun haben, mit Argumenten, die ziemlich willkürlich zusammengezimmert werden. Hier ist es die Kopftuchfrage gewesen. Natürlich bedeutet das auch, dass unter Umständen, wenn es denn im Irak Radikale gibt, die sich die französische Kopftuchfrage angelegen sein lassen, dann kann man nicht ausschließen, dass es Ableger davon auch in Frankreich gibt, die das eine oder andere tun, wenn dieses Gesetz erst einmal in Kraft getreten ist und ich sage es noch einmal: auch Deutschland ist in diesem Kontext, wenn auch marginal und am Rande, mitgefährdet.
Probst: Die einhellige Verurteilung der Tat und dieser Erpressungsversuch von gemäßigten islamischen Gruppierungen, den muslimischen Franzosen in Paris - da wurden Stimmen laut. Bis hin in die arabische Welt, sogar zu fundamentalistischen Gruppierungen. Diese Gruppe, die sich zu dieser Tat nun bekannt hat - islamische Armee im Irak, eine obskure Gruppe, heißt es - man fragt sich natürlich: sind die dann solchen Appellen und Argumenten überhaupt zugänglich?
Steinbach: Es hat sich schon im ein oder anderen Falle gezeigt, dass sie zugänglich sind, ob da gelegentlich auch Geld fließt, weiß ich nicht. Aber ich glaube, der französische Außenminister macht es völlig richtig, er geht in die islamische Welt und versucht innerhalb derer einen Widerstand wach zu machen. Das mag die Geiselnehmer nicht unbedingt berühren, aber es lässt sie vielleicht auch nicht unberührt. Jedenfalls ist das der richtige Weg, nicht nur von Paris aus zu protestieren und die Faust zu heben, sondern ganz subtil die Strukturen zu nutzen, die da sind über die Muslime selbst, über Staatsoberhäupter, aber auch über irakische Strukturen selbst. Denn wenn es sich tatsächlich um irakische Geiselnehmer handelt (und genau das wissen wir eben nicht, ob sie nicht doch von außen kommen), stehen die natürlich in diesen inner-irakischen Strukturen, sind nicht isoliert und dann kann man versuchen, etwas über diese Strukturen zu unternehmen.
Probst: Würden Sie so weit gehen, zu sagen, wenn das Irakproblem dann gelöst ist, dies ist nur ein vorübergehendes Phänomen?
Steinbach: Das Irakproblem wird nicht heute und morgen nicht gelöst sein, es verbindet sich ja mit anderen Probleme, Tschetschenien haben wir gerade erlebt, diese Frage tritt immer deutlicher in den gleichen Gewaltkontext hinein, wie der Irak. Palästina und Kaschmir kennen wir schon seit langem. Wenn das Irakproblem gelöst wäre, würde das die Situation entspannen, aber ich glaube, nach wie vor gibt es genügend Radikale, die dann Palästina oder Kaschmir oder Tschetschenien zum Aufhänger nehmen würden, um ähnlich abstruse Erpressungsversuche vorzunehmen.
Probst: Das war Udo Steinbach, Direktor des deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Danke.
Steinbach: Bitte.
Probst: Bei den diversen Geiselnahmen und Erpressungsversuchen, die wir im Irak ja schon erlebt haben, gleich mit welchem Ausgang, ging es immer meist direkt oder zumindest indirekt auch um den Irakkrieg. Entweder waren es Staatsbürger aus Ländern, die Truppen im Irak haben oder hatten oder die mit den Besatzungsmächten oder der irakischen Übergangsregierung kooperiert haben. Nun sind es Bürger eines Landes, das strikt gegen den Irakkrieg war und immer noch ist, es betrifft auch in gewisser Weise französische Innenpolitik. Muss man hier von einer neuen Qualität politisch-religiöser Erpressungsversuche sprechen?
Steinbach: Ich wäre da sehr zögerlich. Wir können ja eigentlich kaum noch unterscheiden, was Teil eines anti-amerikanischen Befreiungskampfes ist, was mit Religion zu tun hat, was mit Ideologie. Es ist ja praktisch heute kaum noch etwas, was nicht in der ein oder anderen Weise wirksam gemacht werden kann, um es dann in Form eines Erpressungsversuches hervorzuholen. Wir haben ja auch erlebt, dass es um Afghanistan ging, Osama bin Laden soll ein Ultimatum gestellt haben, für alle, die in Afghanistan sind, sich bis zu einem bestimmten Punkt zurückzuziehen. Wir haben erlebt, dass Muslime dran sind, diese Türken sind bereits ermordet worden, ein Pakistani, das Argument war, dass die irgendwie mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Die Türkei hat nun mit dieser ganzen Irakgeschichte wirklich auch nichts zu tun, mindestens so wenig wie Frankreich. Ich wäre da sehr vorsichtig. Was die Sache selber betrifft, so spüren wir doch im Augenblick, wenn ich das so richtig lese, in die arabischen Zeitungen hineinschauend, spüren wir doch einen ziemlich breiten Widerstand gegen diese Form von Argumentation, wie sie von den Geiselnehmern jetzt in Sachen der französischen Journalisten vorgetragen wird.
Probst: Wie soll man denn aber die Tat und die Argumentation einordnen? Eine gewisse Wahllosigkeit und ein Motiv wird sich dann schon finden lassen?
Steinbach: So ist es. Es ist der Kampf gegen den Westen, das ist ein Westen, der unmittelbar präsent ist in Form der Truppen und Besatzungsmächte, aber das ist auch ein Westen in Form einer ideologischen Größe. Wieso kommt es, dass in der Türkei Attentate stattgefunden haben, in Istanbul gegen Moscheen vor dem britischen Konsulat? Die Türkei hat mit dem Irak nichts zu tun. Aber sie wird eben hineingemischt in ein diffuses und krudes antiwestliches Argument. Natürlich, diese Kopftuchfrage in Frankreich hat eine gewisse Aufmerksamkeit in der arabischen Presse erfahren, aber keineswegs durchweg feindselig. Der Sheikh der berühmten Al-Azra-Moschee hat sogar mit dem französischen Innenminister darüber gesprochen und hat es gut und richtig geheißen, dass die Franzosen hier ihre eigenen Regelungen treffen und das gilt im übrigen auch für Deutschland. Auch die Kopftuchdebatte hier bei uns ist bereits in den Gazetten in der arabischen Welt anhängig geworden. Aber das hat noch nichts mit einer Feindseligkeit zu tun und ich glaube, es ist einfach ein neues Argument, das hier hervorgeholt wird, eines, das die islamische Welt vielleicht bewegen könnte, dass die Radikalen dann aber zuspitzen, in diesem Falle gegen Frankreich. Deswegen würde ich diese Form von Geiselnahme noch nicht hineintun in das, was man vielleicht als Kampf der Kulturen bezeichnen könnte.
Probst: Es könnte genauso gut sein, wenn es gegen die gesamte westliche Zivilisation geht, dass demnächst vielleicht auch Deutsche betroffen werden und dann heißt es: Ihr müsst die Asylpolitik ändern, oder?
Steinbach: Das ist völlig richtig. Wenn dieser Fall etwas zeigt, ist es, das durchaus auch Mächte betroffen werden können, Länder betroffen werden, die eigentlich mit der Angelegenheit nichts zu tun haben, mit Argumenten, die ziemlich willkürlich zusammengezimmert werden. Hier ist es die Kopftuchfrage gewesen. Natürlich bedeutet das auch, dass unter Umständen, wenn es denn im Irak Radikale gibt, die sich die französische Kopftuchfrage angelegen sein lassen, dann kann man nicht ausschließen, dass es Ableger davon auch in Frankreich gibt, die das eine oder andere tun, wenn dieses Gesetz erst einmal in Kraft getreten ist und ich sage es noch einmal: auch Deutschland ist in diesem Kontext, wenn auch marginal und am Rande, mitgefährdet.
Probst: Die einhellige Verurteilung der Tat und dieser Erpressungsversuch von gemäßigten islamischen Gruppierungen, den muslimischen Franzosen in Paris - da wurden Stimmen laut. Bis hin in die arabische Welt, sogar zu fundamentalistischen Gruppierungen. Diese Gruppe, die sich zu dieser Tat nun bekannt hat - islamische Armee im Irak, eine obskure Gruppe, heißt es - man fragt sich natürlich: sind die dann solchen Appellen und Argumenten überhaupt zugänglich?
Steinbach: Es hat sich schon im ein oder anderen Falle gezeigt, dass sie zugänglich sind, ob da gelegentlich auch Geld fließt, weiß ich nicht. Aber ich glaube, der französische Außenminister macht es völlig richtig, er geht in die islamische Welt und versucht innerhalb derer einen Widerstand wach zu machen. Das mag die Geiselnehmer nicht unbedingt berühren, aber es lässt sie vielleicht auch nicht unberührt. Jedenfalls ist das der richtige Weg, nicht nur von Paris aus zu protestieren und die Faust zu heben, sondern ganz subtil die Strukturen zu nutzen, die da sind über die Muslime selbst, über Staatsoberhäupter, aber auch über irakische Strukturen selbst. Denn wenn es sich tatsächlich um irakische Geiselnehmer handelt (und genau das wissen wir eben nicht, ob sie nicht doch von außen kommen), stehen die natürlich in diesen inner-irakischen Strukturen, sind nicht isoliert und dann kann man versuchen, etwas über diese Strukturen zu unternehmen.
Probst: Würden Sie so weit gehen, zu sagen, wenn das Irakproblem dann gelöst ist, dies ist nur ein vorübergehendes Phänomen?
Steinbach: Das Irakproblem wird nicht heute und morgen nicht gelöst sein, es verbindet sich ja mit anderen Probleme, Tschetschenien haben wir gerade erlebt, diese Frage tritt immer deutlicher in den gleichen Gewaltkontext hinein, wie der Irak. Palästina und Kaschmir kennen wir schon seit langem. Wenn das Irakproblem gelöst wäre, würde das die Situation entspannen, aber ich glaube, nach wie vor gibt es genügend Radikale, die dann Palästina oder Kaschmir oder Tschetschenien zum Aufhänger nehmen würden, um ähnlich abstruse Erpressungsversuche vorzunehmen.
Probst: Das war Udo Steinbach, Direktor des deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Danke.
Steinbach: Bitte.