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Auch wenn es Nacht ist

Auch wenn es Nacht ist erzählt die Geschichte einer jungen Frau auf der Flucht. Es ist Winter am Ende des zweiten Weltkrieges, die Russischen Truppen überrollen den deutschen Osten und Tausende müssen aus den belagerten Städten flüchten - so auch Martha. Ihre Eltern und Geschwister haben im Morgengrauen das westpreußische Städtchen Schneidemühl mit dem letzten Zug verlassen. Nachdem Martha gewissenhaft die Abrechnungen in der Firma erledigt hat, gehört sie mit wenigen Kollegen zu den Letzten, die Arbeitsplatz und Stadt verlassen. Sie versucht ihrer Familie in den Norden nach Swinemünde zu folgen. Doch das gute Mädchen ahnt noch nicht, was sie auf der Flucht erwartet.

Bettina Hesse |
    In einer knappen dialogreichen Sprache werden die große Unsicherheit, Not und Strapazen, die menschlichen Tragödien geschildert. Martha erlebt unmittelbar den Tod eines Arbeitskollegen. Auf der Flucht mit anderen stirbt ein kleines Mädchen vor Erschöpfung. Ein junger Pole aus ihrer Gegend hilft Martha. Er hat ein Fahrrad, sie lösen sich von der Gruppe und gehen alleine weiter. Aber als die beiden Rast machen, will er Martha dann doch als Frau. Von dem Nachtlager in bitterer Kälte gelingt es ihr zu fliehen. Am Ende ihrer Kräfte und halb erfroren wird sie aufgegriffen und mit auf ein rauschendes Fest geschleift.

    Die einzige Chance in dieser Nacht noch den nächsten Bahnhof zu erreichen ist ein Wagen voller Gäste, der in die Stadt fährt. Martha wird mitgenommen. Doch es sind SS-Offiziere. Als sie einen geblendeten Hasen überfahren wollen, zeigt Martha Mitleid mit dem Tier, und die SS-Männer werfen die ohnehin politisch Verdächtige aus dem Auto. Mit letzter Kraft erreicht sie den Zug nach Norden, in dem sie hohes Fieber bekommt. Schwer krank liegt sie dann in einem Bunker in Stettin, wo der Zug auf dem Weg zur Küste stehen geblieben ist. Es wimmelt von Flüchtlingen, jeder ist mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt. Ausgerechnet der Pole findet sie da wieder. Er pflegt sie, besorgt ihr einen Platz im Lazarett und tut alles, damit sie sich zu ihren Eltern durchschlagen kann. Er hat sich auf der Flucht in Martha verliebt und will sie heiraten, doch als er einmal allein unterwegs ist, wird er für einen Deutschen gehalten und von den eigenen Landsleuten erschossen. Martha ahnt es - sie ist an Verlust gewöhnt. Wieder zu Kräften gekommen, macht sie sich unbeirrbar auf den Weg und gelangt endlich ans Ziel: sie kann ihre Familie wieder in die Arme schließen.

    Auch wenn es Nacht ist zeigt die grausamen Widersprüche des Krieges. Dennoch hat auch in dieser Welt das Poetische Platz, weil Martha es sehen kann. Es ist eine ergreifende Geschichte, einfach und klar erzählt, und damit ähnelt sie dem geraden Charakter der jungen Heldin.

    Jo Milahy kämpfte zeitlebens mit künstlerischen Mitteln für die Unterdrückten und Außenseiter, auch durch aktiven politischen Einsatz. Sie leitete mit Hans Mayer die Exil-Zeitschrift "Über die Grenzen. Von Flüchtlingen - Für Flüchtlinge". Nach Kriegsende war sie im Stadtparlament von Frankfurt/a.M. und als Gründerin der "Freien deutschen Kulturgemeinschaft" tätig. Aus Krankheitsgründen kehrte sie 1946 in die Schweiz zurück und ließ sich später endgültig im Tessin nieder, wo sie 1989 starb. Ein Leben voller Mut und Zivilcourage.

    In ihrem bekanntesten Roman Hüter des Bruders aus dem Jahre 1942 erzählt die Autorin vom Schicksal eines politischen Flüchtlings, der bei Zigeunern Schutz findet. Zigeuner faszinierten sie schon als Kind, und so nahm sie den Namen Jo Milahy an, der ihr Künstlername wurde - eigentlich hieß sie Elfriede Kuhn.