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"Auch wir wollen Klarheit haben"

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, hat den Zeitplan des Bundeskanzlers für die Vertrauensfrage gegen Kritik verteidigt. Wie Schröder die Frage formuliere und ob er sie mit einem Sachthema kopple, sei allein die Entscheidung des Kanzlers. Die Grünen sind mit dem Vorgehen nicht einverstanden.

31.05.2005
    Heinlein: Scheidungen sind in der Regel eine wenig erfreuliche Angelegenheit. Der Schwur ewiger Treue ist Vergangenheit. Der einst so geliebte Partner erscheint plötzlich wenig attraktiv. Wechselseitige Vorwürfe und keine Streicheleinheiten. Auch in der Politik wird bei Trennungen gerne schmutzige Wäsche gewaschen. SPD und Grüne kämpfen mit wachsender Hektik um die Oberhand im Scheidungsverfahren. Die Ehe soll im verflixten siebten Jahr annulliert werden, doch wie das zu geschehen hat, darüber gibt es heftige Meinungsverschiedenheiten. In Berlin in diesen Tagen Sitzungen ohne Ende, doch erst Anfang Juli will der Kanzler den Bundestag über den Weg zu angestrebten Neuwahlen informieren. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt. Herr Schmidt, erst der politische Neuwahlknaller am vergangenen Sonntag, jetzt vier Wochen warten. Warum diese politische Hängepartie?

    Schmidt: Weil es gar nicht anders geht und weil es auch gar nicht anders nötig ist. Ich weiß gar nicht, warum da so viel Hektik verbreitet wird in diesen Fragen und in dieser Angelegenheit. Das Entscheidende ist, dass erstens in der Verfassung alles genau drinsteht im Artikel 68. Wenn man sich den durchliest, dann kann man sich eigentlich ganz entspannt zurücklehnen. Das Zweite ist, dass da viel künstliche Auseinandersetzung hineininterpretiert wird, die es auch gar nicht gibt.

    Heinlein: Aber so einfach ist die Sache doch nicht, denn keiner weiß, wer den letztendlich dem Kanzler das Vertrauen entziehen werden wird.

    Schmidt: Das Entscheidende ist, dass der Kanzler die Frage stellen wird vor dem Hintergrund, dass die Regierungsfähigkeit tatsächlich aus seiner Sicht nicht mehr gegeben ist. Das Entscheidende ist aus unserer Sicht, dass das die Verfassung auch nur fordert. Wenn Sie sich erinnern, wir haben die knappste aller Mehrheiten, die es im Deutschen Bundestag je gegeben hat. Wir haben dagegen gestellt eine große Mehrheit der unionsgeführten Länder im Bundesrat. Also von daher ist das allein schon von diesen Machtkonstellationen her eine relativ normale Situation. Dann kommen die schwierigen Fragen der Zukunft dazu, bei denen wir natürlich jedes Mal uns auch nicht sicher sind, kriegen wir die eigenen Reihen geschlossen? Das wird der Kanzler vor diesem Hintergrund auf den Punkt bringen. Wenn man dann sieht, unabhängig von dieser Ausgangsposition, die den rechtlichen Charakter andeutet, dass nun alle Beteiligten im deutschen Staat von der Opposition angeführt, aber auch von allen anderen Beteiligten, gesagt haben, sie wollen eigentlich Neuwahlen haben, weiß ich gar nicht, warum man eine solche lange Diskussion macht.

    Heinlein: Wenn die Sache so einfach und so normal ist, wie Sie sagen, dann können Sie uns ja auch verraten, wer denn letztendlich dem Kanzler das Vertrauen entziehen wird, die SPD oder die Grünen?

    Schmidt: Es wird überhaupt nicht nötig sein, das zu klären. Es kann ja sein, dass verschieden Beteiligte von sich aus sagen, das ist alles so nicht mehr richtig, und damit ist es dann erledigt. Das wird sich kurzfristig ergeben können, und darüber werden wir dann rechtzeitig informieren. Aber Kohl hat drei Monate vorher seine Vertrauensfrage angekündigt, und da kann ich nur sagen, wir sind mit einem Monat da doch ganz gut drauf.

    Heinlein: Welcher Weg wird es denn sein? Es wird ja durchaus diskutiert, dass vielleicht das Kabinett, also die Minister letztendlich diejenigen sein werden, die im Bundestag sagen, der Kanzler hat das Vertrauen nicht mehr. Wäre das ein Weg, den Sie präferieren?

    Schmidt: Das ist überhaupt nicht zu diskutieren. Der Kanzler stellt erst die Frage, und wir werden vor dem Hintergrund der Frage, wie er sie stellt und in welchen Zusammenhang er sie rückt, entscheiden, ob einzelne in der Fraktion, bei den Grünen oder die Kabinettsmitglieder oder wer auch immer entsprechend so bewertet, wie es erforderlich ist. Ich kann Ihnen nur sagen, das ist eine, wie ich jedenfalls finde, zum Teil übertriebene Debatte, die man auch nicht so zuspitzen muss.

    Heinlein: Also der Kanzler und die Fraktion haben sich noch nicht entschieden, ob es eine offene Vertrauensfrage geben wird oder eben diese Vertrauensfrage an eine Sachfrage gekoppelt wird?

    Schmidt: Nein, das ist auch die Aufgabe des Kanzlers, das selber zu entscheiden. Daran arbeitet er, und dann ist es doch auch gut.

    Heinlein: Einen anderen Weg sehen Sie nicht, etwa den Rücktritt des Kanzlers? Das ist ja durchaus auch noch möglich.

    Schmidt: Ja, wer wollte das denn? Wir wollen doch alle Neuwahlen. Die Union, die bei 49 Prozent in den Umfragen liegt, glaubt ja, dass sie sofort im Handstreich gewissermaßen schnell an die Macht kommt, schneller jedenfalls als sonst. Die SPD und die Grünen glauben und erwarten - ich bin ein Vertreter dieser Richtung -, dass wir das noch mal rumreißen können. Also auch wir wollen Klarheit haben, um den Bundesrat in seine Schranken zu verweisen. Also eigentlich ist das von allen gewollt. Von daher ist der Weg derjenige, der nach sorgfältiger Prüfung beschritten wird, und darauf wird man sich einstellen. Da kann man die paar Wochen noch warten.

    Heinlein: Wird die Sache tatsächlich nur vom Bundeskanzler entschieden im stillen Kämmerlein, mit Müntefering vielleicht, so wie auch die Neuwahlfrage im stillen Kämmerlein entschieden wurde?

    Schmidt: Jedenfalls wird der Bundeskanzler die Aufgabe haben, das zu entscheiden, und welchen Rat er sich dabei noch einholt im Laufe dieser Wochen, die noch zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist auch wiederum seine Entscheidung. Dies ist nun wirklich eine auf ihn zugeschnittene, auf sein Amt zugeschnittene Entscheidung, und da muss man nicht Basisdemokratie versuchen hineinzureden.

    Heinlein: Glauben Sie, dass Ihr Koalitionspartner dies ähnlich sieht? Es gibt ja durchaus Kritik am Vorgehen des Kanzlers in dieser Frage.

    Schmidt: Absolut. Ich habe gestern Abend noch eine Gesprächsrunde mit Vertretern der Grünenfraktion gehabt, und wir haben jetzt gleich unser normales diensttägliches Koalitionsfrühstück, und dann werden wir das in ähnlicher Weise besprechen. Sie sehen mich da relativ gelassen, und das ist auch der Sache genau angemessen. Wir haben viele andere Dinge zu klären, nämlich die Frage, was passiert denn eigentlich, wenn die andere Seite die Regierung übernehmen würde, wo sind die politischen Unterschiede? Also dies alles in dieser Frage so zuzuspitzen und dann noch den einen oder anderen Keil da reintreiben zu wollen, ist ein Ablenkungsmanöver von dem, was wir politisch zu entscheiden haben, und darum lasse ich mich auch darauf nicht ein.

    Heinlein: Also der Gedanke, die Grünen aus der Regierung zu mobben, ist vorerst vom Tisch? Kurt Beck und andere haben ja durchaus mit ihrer Kritik in diese Richtung diesen Verdacht nähern können.

    Schmidt: Also wir haben mit den Grünen immer wieder Konflikte gehabt, und dass sie jetzt in dieser Zeit am vergangenen Wochenende so zugespitzt worden sind, war vielleicht eine gewisse Übertreibung. Aber dass das Ganze konfliktfrei gewesen ist und immer eine Liebesehe, kann man ja bei Leibe nicht sagen. Warum auch? In der Politik gilt es immer, Kompromisse zu schließen und sich auseinanderzusetzen, bevor man eine Mehrheit zusammenschmiedet. Das hatte zum Teil auch dramatische Züge, wenn Sie sich in der Vergangenheit daran erinnern. Auch da gab es schon Vertrauensfragen und Ähnliches. Von daher, glaube ich, ist es eine ganz normale Situation, bei der wir allerdings jetzt auch zum Teil an die Grenzen gestoßen sind. Wenn Kurt Beck, Sigmar Gabriel und andere das auf den Punkt gebracht haben, mag es auch eine Übertreibung sein, die im politischen Geschäft nicht unüblich ist, aber auch eine, die durchaus auch benannt werden musste.

    Heinlein: Der Kanzler wird letztendlich allein entscheiden, haben Sie gesagt. Berät er sich denn mit dem Bundespräsidenten? Denn dieser muss ja letztendlich über das Verfahren entscheiden und es gutheißen.

    Schmidt: Ich bin sicher, dass er den Kontakt zum Bundespräsidenten hält, um das auch entsprechend mit vorzubereiten. Ob und wann das geschieht, kann ich aber nicht sagen. Das ist wieder Sache des Kanzlers.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.