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"Auf der ersten Seite steht nicht die Rede der Bundeskanzlerin"

"Es war für das amerikanische Publikum wichtig, diese Anerkennung der Rolle der amerikanischen Seite von Frau Merkel zu hören", sagt Charles King Mallory, Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Es sah Zustimmung der demokratischen Seite für Merkels Ansätze der Klimapolitik - hält aber verbindlich Regeln auf diesem Feld für "unerreichbar".

Charles King Mallory im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Konrad Adenauer hat als bislang einziger Bundeskanzler getrennt vor US-Senat und US-Abgeordnetenhaus eine Rede gehalten. Die noch höher einzuschätzende Ehre, vor beiden Kammern des Kongresses gleichzeitig sprechen zu dürfen, erfuhr gestern Bundeskanzlerin Angela Merkel. Kurz vor dem 20-jährigen Jubiläum der Maueröffnung brachte die Kanzlerin auch ihre ganz persönliche Geschichte ein, um die besondere Bedeutung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses herauszuheben.

    O-Ton Angela Merkel: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, es war für mich lange Jahre meines Lebens das Land der unerreichbaren Möglichkeiten. Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, sie begrenzten meinen Zugang zur freien Welt. Und dann am 9. November 1989, da fiel die Mauer und die Grenze, die ein Volk für Jahrzehnte in zwei Welten teilte, sie war jetzt offen. Deshalb ist heute für mich zuerst einmal die Stunde des Dankes.

    Engels: Am Telefon ist nun Charles King Mallory, Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Das ist einer der renommiertesten US-amerikanischen Think Tanks. Guten Morgen, Herr Mallory.

    Charles King Mallory: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wir haben Frau Merkel gerade gehört. War das der stärkste Teil der Rede speziell für ein amerikanisches Publikum?

    Mallory: Ja, ganz bestimmt. Ich glaube, vor allem war für das amerikanische Publikum wichtig, diese Anerkennung der Rolle der amerikanischen Seite von Frau Merkel zu hören.

    Engels: Schauen wir auf die Inhalte: Unterstützung für Israel, Kritik am Iran, Einsatz für die Freiheit. Diese Aussagen sind von Angela Merkel bekannt, sie hat sie gestern wiederholt. Damit kann man in den USA immer punkten. War denn für Sie ein neuer, ein überraschender außenpolitischer Ansatz in der Rede dabei?

    Mallory: Es war interessant für mich zu hören, wie stark die Bundeskanzlerin die Unzulässigkeit eines atomaren Irans betont hat, und es stellt sich die Frage, ob das gestern mehr oder weniger die Tür für Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zugemacht hat und damit Obamas Versuch, Verhandlungen einzuleiten, mehr oder weniger gescheitert ist.

    Engels: Vergleichsweise wenig Applaus gab es gestern in der Rede für Merkels Aufforderung, die Finanzkrise zur Aufstellung globaler Regeln zu nutzen. Ist in diesem Bereich der Einigungsdruck zwischen den USA und Europa schon wieder Geschichte?

    Mallory: Ich glaube, es gibt einfach völlig andere Ansichten dort und die stammen von der Psychologie, die auf beiden Seiten anders ist. Die deutsche Seite hat einen langen Weg vom Abtreten von Souveränität an multilaterale Institutionen im Namen der Sicherheit, einen erfolgreichen Weg gemacht. Das haben die Amerikaner nicht. Deswegen stehen die Amerikaner mit Abneigung diesem Ansatz gegenüber. Sie zerschlagen lieber die größeren Banken, die systematisch eine Gefahr darstellen.

    Engels: Überraschend war dagegen der Applaus für die Forderung nach mehr Klimaschutz. Ist da vielleicht doch noch ein US-Angebot auf der Klimakonferenz in Kopenhagen zu erwarten?

    Mallory: Ja, aber da muss man ganz genau zuschauen, weil nur eine Hälfte des Saals ist aufgestanden und hat geklatscht. Die andere Hälfte, die republikanische Seite, blieb fest sitzen und hat nicht geklatscht. Die Forderung, dass es verbindliche Verpflichtungen geben sollte, ist leider, glaube ich, unerreichbar. Die Meinung herrscht eher, dass man verbindliche Verpflichtungen nicht in Kopenhagen erreichen wird. Da, würde ich sagen, war die Botschaft eine gute. Sie hat natürlich auch über technologische Entwicklungen geredet, was bei den Republikanern auch gut ankam, aber so eindeutig war die Zustimmung dort überhaupt nicht.

    Engels: Heute vor genau einem Jahr, Herr Mallory, um auf ein anderes Thema zu kommen, wurde mit Barack Obama erstmals ein Afroamerikaner zum US-Präsidenten gewählt, eine historische Wahl. Wie sieht es ein Jahr später aus? Ist er in den Mühen der Ebene angekommen?

    Mallory: Ich glaube, er hat viele positive Leistungen zu verzeichnen. Er hat das Ansehen der Vereinigten Staaten repariert, er hat Problemstellen wie Guantanamo und die versteckten Gefängnisse und Folter beseitigt, er hat versucht, die Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen, aber leider nicht mit Erfolg, er hat seine Hand in den Iran ausgestreckt, die leider gerade von Herrn Khamenei gebissen wurde, aber er hat eine sehr wesentliche Änderung im Ton geschafft. Allerdings, muss man sagen, gibt es eine Reihe von Orten, wo er einfach nicht das erreicht hat, was die Leute erwarten. Man hat wirklich nur sehr wenige Häftlinge in Europa genommen, die Situation in Afghanistan wird schlimmer, nicht besser, um nur ein paar Punkte zu erwähnen.

    Engels: Es ist ja Barack Obama gelungen, Europa und die USA zumindest stimmungsmäßig wieder näher zusammenzubringen, aber wie steht es um sein selbsterklärtes Ziel, die Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft zu mildern?

    Mallory: Da, glaube ich, muss man eindeutig sagen, dass es ihm nicht gelungen ist. Die amerikanischen Schlagzeilen heute: auf der ersten Seite steht nicht die Rede der Bundeskanzlerin, sondern die Tatsache, dass die Republikaner die Gouverneur-Posten in Virginia und in New Jersey zurückgewonnen haben. Das Ansehen von Herrn Obama liegt in Deutschland bei 92 Prozent, in Amerika bei 50 Prozent, und die Wahlen hat die demokratische Partei verloren, weil die unabhängigen Wähler, die dem Herrn Obama die Präsidentschaft gegeben haben, die Seite gewechselt haben. Also es sieht gar nicht so rosig aus in diesem Zusammenhang.

    Engels: Im deutsch-amerikanischen Verhältnis gibt es seit heute Morgen auch ein neues Thema: die Entscheidung von General Motors, Opel doch nicht zu verkaufen. Sie sorgt gerade hier in Deutschland für helle Aufregung, auch für Unverständnis der Bundesregierung. Wird dies das deutsch-amerikanische Verhältnis auch auf Regierungsebene belasten?

    Mallory: Kann sein. Man muss einfach schlichtweg sagen, dass in Amerika eher ein neoliberaler Ansatz herrscht und dass die Einmischung der Regierung in Angelegenheiten von individuellen Firmen nicht besonders gut angesehen wird. Auch das deutsche Unverständnis, als ein Verhandlungspartner von Amerika hier herkam, der wirklich nicht die Vollmacht hatte, irgendetwas zu vereinbaren, wird nicht besonders gut angesehen. Ich glaube, es wird da noch einen Brocken geben, der zu überwinden ist.

    Engels: Charles King Mallory, Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.

    Mallory: Gerne geschehen.