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Auf der Suche nach exotischer Materie

Astronomie/Raumfahrt.- Es ist eines der aufwendigsten Experimente an Bord der Internationalen Raumstation ISS: Seit Juni 2011 sucht ein Detektor im Weltall nach Spuren von Antimaterie. Jetzt stellten die Entwickler des Geräts die ersten Resultate vor. Und die haben es in sich.

Von Frank Grotelüschen | 04.04.2013
    Fast 18 Jahre hat es gedauert, bis die Ergebnisse vorlagen. Samuel Ting, Physik-Nobelpreisträger und Professor am MIT in Boston, brauchte einen langen Atem, ebenso sein Team: 500 Experten aus 16 Ländern. Doch die Geduld hat sich gelohnt. Denn die Ergebnisse, die Samual Ting gestern Abend am Europäischen Teilchenforschungszentrum CERN in Genf präsentierte, haben es in sich.

    "Unsere Messungen beweisen die Existenz eines unerwarteten neuen Phänomens. Und wir hoffen bald herauszufinden, was hinter diesem Phänomen steckt."

    Doch um was geht es? Und warum hat es fast 20 Jahre gedauert, um dieses unerwartete Phänomen aufzuspüren? Nun, die Geschichte beginnt 1995 mit einem verwegenen Plan. Samuel Ting schlug damals vor, einen Teilchendetektor, wie man ihn sonst an Großbeschleunigern findet, ins All zu schießen – oder genauer gesagt, an die ISS anzuschrauben, die Internationale Raumstation. AMS, so heißt das Projekt, Alpha Magnetic Spectrometer. 1,5 Milliarde Dollar teuer, ein Gemeinschaftsprojekt von NASA und CERN.

    "AMS ist so groß wie ein Kleinlaster und wiegt siebeneinhalb Tonnen. Verglichen mit den riesigen Detektoren am CERN ist das nichts."

    AMS soll kosmische Strahlung einfangen und präzise vermessen – winzige Teilchen, die mit enormen Geschwindigkeiten durchs All rasen. Speziell hat es AMS dabei auf Teilchen aus Antimaterie abgesehen. Antimaterie ist so etwas wie die gespiegelte Version unserer gewohnten Materie und scheint im Universum lediglich in Spuren vorzukommen. Erzeugt werden kann Antimaterie etwa dann, wenn pfeilschnelle Wasserstoffkerne durch den Weltraum jagen und dabei zufällig auf interstellares Gas treffen. Bei diesen Kollisionen können Positronen entstehen, die Antiteilchen der Elektronen. Und genau nach diesen Positronen sucht AMS, der Teilchendetektor an Bord der ISS.

    Ins All gebracht wurde AMS am 16. Mai 2011 mit dem letzten Flug der Raumfähre Endeavour. Zuvor hatten die Experten den Detektor nicht nur gebaut, sondern über Jahre wieder und wieder getestet. Der Grund: Das Experiment muss extrem zuverlässig sein, schließlich lässt es sich im Weltraum nicht mal eben so reparieren. Und das war für Samuel Ting und seine Leute nicht die einzige Herausforderung.

    "Eines der heikelsten Probleme war die Elektronik: Sie muss zehnmal schneller sein als die Elektronik, die üblicherweise von der NASA im Weltraum benutzt wird. Außerdem muss sie 20 Jahre halten, solange nämlich soll AMS laufen. Aber das ist ziemlich schwierig: Da unser Detektor nicht durch die Atmosphäre geschützt wird, ist er komplett dem Bombardement durch kosmische Strahlung ausgesetzt."

    Da half nur der Einbau einer speziellen, strahlenresistenten Elektronik, die außerdem auch große Temperaturunterschiede verkraften muss. Doch zum Glück für die Forscher funktioniert die Technik. Seit 2011 nimmt AMS zuverlässig Daten. Und diese Daten hat Samuel Ting nun mit sichtlichem Stolz präsentiert:

    "In den ersten 18 Monaten unserer Mission haben wir rund 25 Milliarden kosmische Teilchen aufgefangen. Mehr als 400.000 davon waren Positronen."

    Und das sind deutlich mehr, als zu erwarten wären, wenn man davon ausgeht, dass Positronen im All allein dadurch entstehen, dass schnelle Wasserstoffkerne auf interstellares Gas treffen. Zwar hatten schon frühere Experimente auf diesen Positronen-Überschuss hingedeutet. Aber erst AMS hat nun den schlüssigen Beweis geliefert: Ja, durchs Weltall geistern mehr Positronen als erwartet. Nur: Was verursacht diesen merkwürdigen Überschuss? Die Fachleute halten zwei Mechanismen für möglich. Nummer eins: Es sind Pulsare, rotierende Neutronensterne, die Überbleibsel längst erloschener Sterne, sagt Professor Stefan Schael von der RWTH Aachen, eines der Teammitglieder von AMS.

    "Wir gehen davon aus, dass die Pulsare starke Magnetfelder haben. In diesen Magnetfeldern würden Elektronen Photonen abstrahlen. Und diese Photonen würden konvertieren in Elektron-Positron-Paare. Und das würde zu diesem Überschuss führen können."

    Ein indirekter Mechanismus zwar. Aber er würde dafür sorgen, dass Pulsare beträchtliche Mengen an Positronen erzeugen und wegschleudern. Der zweite Mechanismus klingt sogar noch exotischer:

    "Die andere Möglichkeit ist, dass wir neue Teilchen haben. Wir suchen schon lange nach Dunkler Materie. Eine Möglichkeit ist, dass Dunkle-Materie-Teilchen, wenn die aufeinandertreffen, sich gegenseitig vernichten. Dabei entstehen dann Positronen – was eine andere Möglichkeit wäre, den Positronen-Überschuss zu erklären."

    Dunkle Materie – das ist eine rätselhafte Materieform, von der viele Experten glauben, sie würde die Galaxien zusammenhalten wie ein unsichtbarer Klebstoff. Der Positronen-Überschuss von AMS könnte ein Zeichen dafür sein, dass es diese Dunkle Materie wirklich gibt und dass sie aus neuartigen, ganz und gar exotischen Teilchen besteht. Dafür, und nicht für die Pulsar-Theorie, spricht laut Samuel Ting noch ein weiteres Detail:

    "Wenn der Positronen-Überschuss durch Dunkle Materie verursacht wird, sollten Positronen aus allen Richtungen auf unseren Detektor treffen. Denn wir glauben, dass Dunkle Materie allgegenwärtig ist. Sollten sie hingegen von Pulsaren stammen, müssten aus manchen Richtungen mehr Positronen kommen als aus anderen. Schließlich sind Pulsare nicht gleichmäßig im All verteilt. Unsere Messungen aber weisen bislang darauf hin, dass die Positronen nicht aus bestimmten Richtungen kommen, sondern von überall her."

    Und das scheint für die Dunkle Materie als Ursache zu sprechen – was einer physikalischen Sensation gleichkäme, die Samuel Ting glatt einen zweiten Nobelpreis einbringen könnte. Doch bevor es soweit ist, wird AMS noch deutlich mehr Daten sammeln, sprich mehr Antimaterie aus dem All auflesen müssen. Erst dann werden die Forscher herausfinden können, warum es im All so viele Positronen gibt.