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"Auf einen Schlag wird unser Haftungsrisiko mehr als verdoppelt"

Die großen Probleme seien, "dass die Eigentümer und die Geldgeber der maroden Banken, "mit dem blauen Auge davon kommen und der große Schaden von der Allgemeinheit bezahlt werden muss", sagt Walter Krämer Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik in Dortmund.

Silvia Engels im Gespräch mit Walter Krämer | 06.07.2012
    Christoph Heinemann: Rund 170 deutschsprachige Ökonomen laufen Sturm gegen die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels zur Überwindung der Euro-Krise. In einem offenen Brief an die "lieben Mitbürger" rufen die Wirtschaftsprofessoren um Ifo-Chef Hans-Werner Sinn die Bevölkerung auf, die aus ihrer Sicht falschen Beschlüsse nicht mitzutragen, da deutsche Steuerzahler sonst für ausländische Banken mithaften müssten. Auch der Bundesverband der deutschen Industrie warnte vor Fehlentscheidungen. Kanzlerin Angela Merkel wies die Sorgen zurück: "Es geht hier überhaupt nicht um irgendwelche zusätzlichen Haftungen", sagte sie in Berlin, "Daher sollte sich jeder die Beschlüsse wirklich gut anschauen und dann auch das berichten, was in diesen Beschlüssen steht. Die Haftungen für Banken seien genauso verboten nach den jetzigen Regelungen, wie es für die Haftung von Staaten gilt." –

    Meine Kollegin Silvia Engels hat mit einem der Autoren des Aufrufs gesprochen, mit Professor Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Dortmund. Auch er richtet sich in erster Linie gegen die Idee, dass der Euro-Krisenfonds ESM demnächst wo möglich direkt Kapital an angeschlagene Banken geben kann. Frage: Was ist daran problematisch?

    Walter Krämer: Nun, die Verschuldung der privaten Banken in den Krisenländern Südeuropas ist viel höher als die der Staaten, in denen diese Banken ansässig sind. Das heißt, damit wird auf einen Schlag unser Haftungsrisiko mehr als verdoppelt werden, und das ist den meisten Leuten gar nicht bewusst.

    Silvia Engels: Laut EU-Gipfel soll es daneben ja auch eine gemeinsame Bankenaufsicht und eine europäische Einlagensicherung der Sparer geben – allerdings mittelfristig. Das wären Schritte in Richtung Bankenunion. Ist das nicht zwangsläufig nötig, wenn die Union immer enger zusammenrückt?

    Krämer: Das ist schon richtig, und diese Bankenaufsicht wäre auch eine tolle Sache. Ich wünschte mir, wir hätten die schon. Meine Bedenken sind nur die, dass dann wieder einmal gute Vorsätze am Schluss abgeschwächt und fast sogar ins Gegenteil verkehrt werden. Eine Bankenaufsicht, die funktioniert, wäre in der Tat wünschenswert. Ich bezweifele nur, dass sie funktioniert.

    Engels: Hätten Sie also Angela Merkel geraten, hart zu bleiben – auch vor dem Risiko, dass dann der ganze Gipfel scheitert?

    Krämer: Nun, sie hat ja jetzt noch Gelegenheit, Härte zu zeigen, denn diese Möglichkeit der Mittelvergabe soll ja erst dann eröffnet werden, wenn diese Bankenaufsicht existiert, und da kann sie ja mal zeigen, ob sie es ernst meint mit dieser Bankenaufsicht.

    Engels: Das heißt, dass sie dann im Detail noch mal vor diesen Beschlüssen ein paar Schritte zurückgeht, die sie jetzt eigentlich schon gegeben hat?

    Krämer: Nein. Es ist ja beschlossen worden, diese Mittelvergabe an Privatbanken wird dann ermöglicht, sobald die Bankenaufsicht steht, und dann kann man ja gucken, ob die Bankenaufsicht wirklich ihren Namen verdient, oder ob das nur ein kaschierter Mechanismus ist, um weiterhin die Kassen der EU anzuzapfen.

    Engels: Sie sagen kurz zusammengefasst, Banken müssen scheitern dürfen. Statt des Staates sollen die Gläubiger, also die Investoren und die Aktionäre einer Bank, für die Verluste haften. Schön und gut, aber wenn eine Bank kippt, dann sind auch die Spareinlagen der Kunden betroffen und nicht nur die Aktionäre, oder?

    Krämer: Die sind ja zum Glück gesichert und werden das auch in Zukunft bleiben. An wen ich hier denke, das sind Leute so wie ich, die zum Beispiel griechische Staatsanleihen gekauft haben oder Aktien von Wackelkandidaten-Banken in Südländern. Ich dachte mir, mach dir mal den Spaß und guck, was damit passiert. Das Geld ist vermutlich weg, wenn Frau Merkel hart bleibt. Wenn sie nicht hart bleibt, habe ich sehr viel Geld gewonnen und freue mich für mich selber, aber nicht für den Rest unserer Republik.

    Engels: Die Einlagensicherungen, die Sie beschreiben, mit denen die ganzen Spargroschen der Kunden aufgefangen werden sollen, wären die dann in der Tat groß genug? Es gibt ja auch die Warnung, dass durch einen Dominoeffekt das ganze System dann scheitern könnte, wenn eine Bank scheitert.

    Krämer: Nun, in der Tat: Wir haften dann ja nicht nur für die Einlagen der deutschen Sparer, sondern auch für die Einlagen der italienischen oder spanischen Sparer. Das ist schon ein bisschen kritisch, weil ja dann auch unsere Sicherheit verwässert wird dadurch. Aber da sehe ich nicht die großen Probleme. Die großen Probleme sehe ich dadurch, dass die Leute, die wirklich für marode Banken zahlen müssten, nämlich die Eigentümer und die Geldgeber der Banken, dass die mit dem blauen Auge davon kommen und der große Schaden von der Allgemeinheit bezahlt werden muss.

    Engels: Die Warnungen, die Sie jetzt äußern, die ja auch von Herrn Sinn und Herrn Starbatty auch schon früher geäußert worden sind, sind ja nicht neu. Dennoch hat die Kanzlerin ihren Kurs nicht geändert, das Volk begehrt auch nicht auf. Wie erklären Sie sich das?

    Krämer: Nun, das Volk weiß ja eben nicht – das war ja der Grund unseres Aufrufes -, was ihm da zugemutet wird. Die meisten Leute, denen ist überhaupt nicht klar, dass mit einem Federstrich die Haftungssummen, für die wir in Deutschland mit gerade und vor allem geradestehen müssen als das wirtschaftlich stärkste europäische Land, mit einem Federstrich mehr als verdoppelt worden sind. Das ist den Leuten überhaupt nicht klar und das war ja auch der Grund unseres Aufrufes, den Bürgern mal vor Augen zu führen, auf was man sich da einlässt.

    Engels: Dann müsste doch eigentlich das Bundesverfassungsgericht, das ja Grundsatzentscheidungen demnächst zumindest über diesen ESM, diesen permanenten Sicherungsfonds berät, da in irgendeiner Form drauf eingehen, oder nicht?

    Krämer: Es müsste mindestens mal der Regierung die Vorschrift machen, diese Gelder erst dann zu bewilligen, wenn wirklich etwa diese Bankenaufsicht glaubwürdig funktioniert und nicht nur als Papiertiger dasteht.

    Heinemann: Professor Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Dortmund, einer der Mitunterzeichner des Aufrufs von rund 170 deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaftlern. Die Fragen stellte meine Kollegin Silvia Engels.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.