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Auf heißem Pflaster

Wohin steuert die arabische Welt in den nächsten Monaten und Jahren? Der Sammelband "Die arabische Revolution" gibt in elf Artikeln einen Überblick über die diffizile und durchaus unterschiedliche Lage in den verschiedenen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens.

Von Jan Kuhlmann |
    Am Morgen nach den Jubelfeiern über den Rücktritt Hosni Mubaraks geschah in Kairo etwas Einzigartiges: Revolutionäre, die gestern noch gegen den Diktator protestiert hatten, griffen zum Besen und machten die Straßen sauber. Symbolisch nahmen sie wieder Besitz von ihrem Land. Bislang stand die arabische Welt im Westen für allerlei Böses: für Terrorismus, religiösen Fanatismus, Diktatoren und Rückständigkeit. Mit einem Mal aber hat sich der Blick auf den Nahen Osten gewandelt – seit dem Aufstand gegen die Despoten zeigt sich eine Region, die sich genau dasselbe wünscht wie der Rest der Welt: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Sicherheit und Wohlstand. Es ist also Zeit, den oft mystifizierten Orient mit anderen Augen zu betrachten. Genau das tun die Autoren des Sammelbandes "Die arabische Revolution".

    Die Journalisten und Wissenschaftler sehen eine junge Generation, die in der Moderne ankommen will, wie die Herausgeber Frank Nordhausen und Thomas Schmid darlegen:

    "Europa tut gut daran, die arabische Revolution nicht als Gefahr, sondern als Chance zu begreifen. Es hat sich ein historisches Fenster geöffnet, von dem niemand weiß, wann es sich wieder schließt. Gelingt es, die Weichen in Richtung Demokratie zu stellen, kann die Mittelmeerregion ein gemeinsamer Lebens- und Wirtschaftsraum werden und Frieden auch in der bisher so krisengeschüttelten Region einkehren."

    Naiv sind die Autoren dabei nicht. Ihnen ist klar, dass der Weg zur Demokratie ein langer und steiniger sein wird. Der nächste Schlüsselstaat für die weitere Entwicklung der arabischen Welt ist Syrien. Sollte Präsident Bashar al-Assad tatsächlich wie vor ihm der Tunesier Ben Ali und der Ägypter Mubarak stürzen, hätte das weitreichende Folgen für die Machtarchitektur der Region. Der Iran etwa verlöre einen wichtigen Partner, auch die Ausgangslage im arabisch-israelischen Konflikt wäre eine andere. Das Regime in Damaskus aber ist noch härter zu knacken als die Diktaturen in Tunesien und Ägypten. Syrien sei ein Staat im permanenten Ausnahmezustand, schreibt die Journalistin Martina Doering:

    "Die zahlreichen, teilweise konkurrierenden Geheimdienste haben nahezu unbegrenzte Befugnisse, sie verfolgen jede tatsächliche oder vermeintliche Opposition und gehen unerbittlich gegen Abweichler vor, Willkür und Angst werden zu Herrschaftsmitteln: Verhaftungen werden nicht bekanntgegeben, es müssen keine Prozesse stattfinden, in denen Anklagen erhoben werden und Verteidigung möglich ist. Wo sich trotzdem Opposition manifestiert, greift die Armee ein."

    Überhaupt sind es die Militärs, die über Wohl und Wehe der Revolutionen entscheiden. Wo sie, wie in Syrien, eng mit der Politik verbunden sind, treffen die Aufständischen auf einen übermächtigen Gegner. Auch in Algerien war es ein undurchsichtiges Geflecht von Armeeclans, das die Proteste erstickte. In Tunesien dagegen widersetzten sich die Soldaten im entscheidenden Moment dem Schießbefehl und retteten so die Revolution. Kompliziert ist die Situation in Ägypten. Einerseits ließ die Armee Hosni Mubarak fallen; andererseits unterdrücken die Offiziere rücksichtslos kritische Stimmen gegen das Militär – schließlich hätten sie viel zu verlieren, erklärt der Autor Frank Nordhausen:

    "Strukturell hat sich das Regime kaum gewandelt, seit Gamal Abdel Nasser und sein Komitee der Freien Offiziere den von den Briten abhängigen König Faruk 1952 ins Exil schickte. Wie für Nasser, so blieb die Armee auch für seine beiden Nachfolger das Rückgrat der Macht ( ... ) Die ägyptischen Generäle – Herren über die mit 486 000 Soldaten größte Streitmacht Afrikas – sind ( ... ) zu einer enorm organisierten Interessengruppe nationalistischer Geschäftsleute geworden, besitzen riesige Ländereien und kontrollieren rund 45 Prozent der Wirtschaft Ägyptens, vom Suezkanal über Einkaufszentren bis zu Hotelketten und Resorts am Roten Meer."

    Widerstand erleben auch die Reformkräfte in Saudi-Arabien, allerdings aus einem anderen Grund. Zwar spürt der Golfstaat die Echos der Revolution – mit einem Regimewechsel rechnet der Historiker und Arabist Henner Fürtig trotzdem nicht. König Abdullah sei glaubwürdiger und reformbereiter als die meisten seiner Vorgänger, Saudi-Arabien kein Fels in der Brandung, aber zumindest eine bemerkenswerte Anomalie:

    "Trotz des großen Engagements einzelner bleibt der Veränderungsdruck aus der Gesellschaft insgesamt schwach. Das liegt nicht nur an der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten ( ... ), sondern auch an anderen Faktoren: zum einen an der unkomfortablen Mittelstellung demokratisch orientierter, liberaler Reformer zwischen Herrscherhaus und islamistischen Radikalen und zum anderen – wesentlicher – am tiefen Konservatismus der saudischen Gesellschaft, die im Zweifelsfall Bestand dem Wandel vorzieht."

    Mit einer demokratischen Kettenreaktion im Nahen Osten ist also vorerst nicht zu rechnen. Auch ein Scheitern des arabischen Frühlings wollen die Autoren nicht ausschließen. Die Folgen aber wären katastrophal – Profitieren würden Populisten und Islamisten. Europa müsste sich auf noch mehr Flüchtlinge einstellen. Der Appell der Herausgeber ist deshalb deutlich:

    "Europa muss – auch aus Eigeninteresse – Tunesien und Ägypten bei der gewaltigen Aufgabe helfen. Mit Expertise, Beratung und mehr. Es geht um Sicherheit und Partnerschaft auf Augenhöhe, um Abbau von Handelshemmnissen und Visabeschränkungen, um Bildungsangebote, Austauschprogramme, Investitionen. Die Außen- und Entwicklungspolitik der europäischen Staaten und der EU steht vor einer Bewährungsprobe."

    Der Sammelband fasst das Geschehen seit dem Ausbruch der Revolutionen kompakt zusammen. Und er gibt einen ausgewogenen Überblick über den Stand der Dinge in der arabischen Welt. Was fehlt, ist eine genauere Analyse der Probleme, die in den nächsten Monaten auf die Region warten – vor allem auf Länder wie Ägypten und Tunesien, wo erstmals wirklich demokratische Wahlen anstehen. Der Euphorie könnte der Kater folgen – oder aber der nächste Schritt in Richtung Freiheit.

    Thomas Schmid/ Frank Nordhausen (Hg.):
    Die arabische Revolution. Demokratischer
    Aufbruch von Tunesien bis zum Golf.
    Ch. Links Verlag, 216 Seiten, 16,90 Euro
    ISBN: 978-3-861-53640-6