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Auf HRE kommt eine weitere dreistellige Millionenklage zu

Neben den ab heute verhandelten 200 Millionen Euro Schadensersatz wollen HRE-Geschädigte eine weitere Klage einreichen. Auch diese werde, so der Anwalt des jetzigen Musterklägers, einen "dreistelligen Millionenbetrag" ausmachen.

Andreas Tilp im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Ab heute befasst sich das Münchener Landgericht mit einer Millionenklage gegen die HRE-Bank. Zur Erinnerung: die Hypo Real Estate ist jene Bank, die vor einem Jahr in Schwierigkeiten geriet, die dann immer größer wurden.

    "Der DAX-notierte Konzern erhält eine Risikoabsicherung von 35 Milliarden Euro." – "Bereits Anfang des Monats hatten Bundesregierung und Finanzwirtschaft ein Rettungspaket von 50 Milliarden Euro geschnürt." – "Damit hat die Hypo Real Estate seit Oktober mehr als 100 Milliarden Euro an Kapitalhilfen und staatlichen Bürgschaften bekommen"

    Spengler: So weit kurze Ausschnitte aus unseren Nachrichten zwischen September und Februar. Inzwischen gehört die HRE sogar zum weit überwiegenden Teil dem Bund, also uns Steuerzahlern. – Kommen wir auf den heute beginnenden Prozess zu sprechen. Der Kläger fordert von der Hypo Real Estate 200 Millionen Euro Schadenersatz, weil die Bank falsche oder verspätete Mitteilungen über ihre finanzielle Schieflage vor einem Jahr gemacht habe. – Am Telefon ist nun der Tübinger Rechtsanwalt des Klägers, Andreas Tilp, der sich als Anlegeranwalt einen Namen gemacht hat. Guten Morgen, Herr Tilp.

    Andreas Tilp: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Tilp, es ist ja nicht die einzige Klage gegen die HRE, aber es ist die erste, die verhandelt wird, und es ist ein Musterverfahren. Was heißt das, Musterverfahren?

    Tilp: Unsere Kanzlei strebt hier an, dass dieses Verfahren, konkret diese sogenannte Wefers-Klage, die Klage des Herrn Wefers, die über 200 Millionen Euro an Ansprüchen repräsentiert, so schnell wie möglich zum Oberlandesgericht München zu einem speziellen Senat gelangt. Nicht mehr das Landgericht hat dann über die Klage zu entscheiden, sondern das Oberlandesgericht über eine Reihe von Rechtsfragen, die für alle Kläger, nicht nur für unseren Kläger dann gelten. Zum Beispiel war eine Ad-hoc-Mitteilung vom 5. Januar 2008 falsch? Diese Entscheidung hat dann Bindungswirkung für alle anderen Klagen. Sie kann sehr schnell vom BGH entschieden werden und das dient der Rechtssicherheit für alle Parteien.

    Spengler: Sie haben schon gesagt, Sie vertreten Herrn Wefers. Für wen steht Herr Wefers?

    Tilp: Herr Wefers führt hier eine sogenannte Stellvertreterklage. Ihm wurden von einer Reihe von deutschen und ausländischen Kapitalanlagegesellschaften und anderen institutionellen Anlegern Ansprüche übertragen, damit er sie geltend macht.

    Spengler: Also das sind einzelne Anleger und es sind ganze Fonds zum Beispiel?

    Tilp: Nein, es sind in diesem Fall keine Einzelanleger, keine sogenannten Kleinanleger, sondern ausschließlich institutionelle Anleger, zum Beispiel Fonds.

    Spengler: Und diesen ist nach eigenen Angaben 200 Millionen Euro Schaden entstanden?

    Tilp: Das ist die Summe, die wir bereits bei Gericht hier in München eingereicht haben. Es handelt sich hier um Schäden, die aus Käufen resultieren, die im Zeitraum vom 11. Juli 2007 bis 15. Januar 2008 getätigt wurden. Wir sind aber der festen Rechtsüberzeugung, dass auch Käufe, die nach dem 15. Januar 2008 bis zum 4. 10. 2008 getätigt wurden, schadensersatzfähig sind, und daher beabsichtigen wir, auch diese Ansprüche noch geltend zu machen.

    Spengler: In welcher Größenordnung könnten die liegen?

    Tilp: Darüber darf ich heute aufgrund des mir obliegenden Anwaltsgeheimnisses noch nicht sprechen, aber Sie können auch hier von einem weiteren dreistelligen Millionenbetrag ausgehen.

    Spengler: Was genau werfen Sie der HRE-Bank vor?

    Tilp: Im Wesentlichen, dass die HRE in diesem ganzen Zeitraum von Juli 2007 bis Oktober 2008 ständig hindurch den Markt falsch informiert hat, entweder falsch informiert, indem sie informiert hat, aber halt eben falsch und nicht vollständig, oder indem sie unterlassen hat zu informieren, indem sie also Informationen zurückgehalten hat. Dabei geht es im Wesentlichen um zwei Komplexe: zum einen um Risiken aus von der HRE selber gehaltenen hoch spekulativen Wertpapieren, zum anderen aus Risiken, die aus der sogenannten DEPFA-Übernahme, der Übernahme der irischen DEPFA im Sommer 2007 resultieren.

    Spengler: Könnte es denn sein, dass der HRE-Vorstand von diesen Risiken gar nichts gewusst hat?

    Tilp: Na ja, da möchte ich zitieren, was Herr Jochen Sanio, der Präsident des Bundesaufsichtsamtes, geschrieben hat in einem Schreiben vom 23. Januar 2008 an den Staatssekretär Dr. Mirow. Wörtlich: "die intensive Befragung des Vorstandes führte zur Aufdeckung von Sachverhalten, die der Vorstand bisher selbst in der jüngsten Ad-Hoc-Mitteilung" – das war die vom 15. Januar 2008 – "nicht andeutungsweise aufgedeckt hatte." Das heißt, selbst noch im Januar 2008 hat man wiederum nur den Markt unvollständig informiert.

    Spengler: Und das ist kriminell?

    Tilp: Es geht nicht darum, ob dieses Verhalten strafrechtlich relevant ist. Uns geht es darum, für unsere Kläger, zum einen Herrn Wefers, aber auch für die weiteren Kläger, die wir in München vertreten, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche durchzusetzen, und da kommt es auf die Frage "kriminell oder nicht" nicht an.

    Spengler: Was wäre denn für die Anleger anders gewesen, wenn die früher informiert worden wären?

    Tilp: Wir klagen hier insbesondere auf der Basis eines neuen Gesetzes, das seit Juli 2002 gilt, das geschaffen wurde in Reaktion auf die Schäden am neuen Markt durch Comrow, EMTV Informatic. Sie kennen diese Schadensfälle noch. Damals gab es dieses neue Gesetz nicht, es wurde deswegen geschaffen im Juli 2002 und danach ist eben nur erforderlich, dass der Anleger nachweist, dass hier falsch kommuniziert wurde und dass er dann in diesem Zeitraum gekauft hat. Das Gesetz geht davon aus, dass der Anleger einfach in dem Fall hier zu teuer gekauft hat. Oder anders herum: wären die schlechten Informationen im Markt gewesen, hätte er um einige Euro pro Aktie billiger gekauft, und deswegen ist er geschädigt.

    Spengler: Wenn er überhaupt gekauft hätte?

    Tilp: So ist es.

    Spengler: Haben denn nicht die Aktienfonds – die vermute ich mal hinter Herrn Wefers – hoch bezahlte Spezialisten, die sich Firmen, von denen sie dann Anteile erwerben, ganz genau angucken, auch angucken müssen?

    Tilp: Ja, natürlich! Die Häuser, die hier ihre Ansprüche Herrn Wefers übertragen haben, haben hoch professionelle Personen, die den Markt beobachten. Gerade das ist der Punkt. Gerade diese Personen saugen quasi jede Information im Markt auf und im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens treffen sie dann Anlageentscheidungen, und gerade diese Anlegergruppe hätte eben rascher und schneller reagiert, wenn sie gewusst hätte, was wirklich Sache ist.

    Spengler: Also da gibt es keine Mitschuld der Anleger?

    Tilp: Nein, ganz im Gegenteil. Die Rechtsprechung hat bisher den sogenannten Kleinanlegern immer vorgeworfen, na ja, ihr hättet doch so oder so gekauft, ihr trefft ja euere Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Ganz anders bei den institutionellen Anlegern. Dort wird professionell gehandelt und da ist die Marktrelevanz besonders bedeutsam.

    Spengler: Wer soll denn nun, wenn Sie mal davon ausgehen, dass das Gericht oder dann eben später das Landgericht Ihnen 200 Millionen Euro Schadenersatz zubilligen sollte, die 200 Millionen Euro aufbringen?

    Tilp: Es ist hier so, dass die Kläger, die wir vertreten, nicht zu den Tätern stilisiert werden sollten. Unsere Kläger sind Opfer, nämlich Opfer der Machenschaften der HRE. Unsere Kläger sind auch Steuerzahler. Das Argument, das man jetzt hört, dass quasi die Schadensersatzansprüche, wenn die HRE verurteilt wird, den Steuerzahler treffen, das ist nicht zutreffend, denn die HRE selber kann dieses Risiko abwälzen, indem sie nunmehr ihre Ex-Vorstände in Haftung nimmt und deren Versicherer. Der Staat, der nunmehr die Mehrheit bei HRE bekanntermaßen hat, sollte also auf die HRE einwirken, die wirklich verantwortlichen handelnden Ex-Vorstände in die Haftung zu nehmen.

    Spengler: Also Herrn Funke zum Beispiel, den Vorsitzenden?

    Tilp: Richtig.

    Spengler: Und wenn bei dem nichts mehr zu holen ist?

    Tilp: Diese Ex-Organe verfügten alle über sogenannte DNO-Versicherungen, und da sind nach unseren Informationen durchaus dreistellige Millionenbeträge abgedeckt.

    Spengler: Das heißt Sie gehen nicht davon aus, dass am Ende der Bund, also wir alle, haften muss?

    Tilp: Selbst wenn am Staat wirtschaftlich etwas hängen bleibt, es gibt doch in vielen Fällen Klagen gegen den Staat und bisher kam keiner auf die Idee, dass Behörden und der Staat nicht verklagt werden dürfen, wenn den Klägern das Recht zusteht.

    Spengler: Herr Tilp, wann rechnen Sie mit einem Prozessende?

    Tilp: Wir gehen davon aus, dass hier das Landgericht in dieses Musterverfahren geht, so dass spätestens Anfang 2010 das Oberlandesgericht München mit der Sache befasst werden kann. Dann muss man realistischerweise bis einschließlich Bundesgerichtshof mit einer Prozessdauer von zirka drei Jahren rechnen.

    Spengler: Danke schön! – Das war Andreas Tilp, Anlegeranwalt, der heute in München die Hypo Real Estate auf 200 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Danke schön für das Gespräch, Herr Tilp.

    Tilp: Vielen Dank.