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"Auf jeden Fall mehr Kontrollen"

Joachim Hagen ist der Ansicht, dass die Einführung von sogenannten Nacktscannern an Flughäfen von den USA abhängt. Sollten die Amerikaner darauf bestehen, müssten auch die Europäer die Geräte benutzen.

Joachim Hagen im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.12.2009
    Sandra Schulz: Zum Glück ist es nur ein vereitelter Anschlag, der uns seit den Weihnachtsfeiertagen beschäftigt, denn der 23-jährige Nigerianer an Bord der Maschine im Anflug auf Detroit konnte rechtzeitig überwältigt werden, bevor er den Plastiksprengstoff, den er an sein Bein gebunden hatte, entzünden konnte. Aber die Sicherheitspolitiker und Experten dies- und jenseits des Atlantiks sind alarmiert, denn dass der Plastiksprengstoff überhaupt an Bord eines Flugzeugs mit beinahe 300 Passagieren gelangen konnte, das darf als größter anzunehmender Unfall gelten. Nun sorgt der Fall für eine Renaissance der tot geglaubten Debatte über die sogenannten Nacktscanner. Frage an den ARD-Terrorismusexperten Joachim Hagen: Was kommt da auf die Flugreisenden zu?

    Joachim Hagen: Auf jeden Fall mehr Kontrollen. Im Moment ist es ja schon so, dass USA-Reisende mit längeren Wartezeiten rechnen müssen, dass sie abgetastet werden, dass da möglicherweise auch noch Hunde nach Sprengstoff schnüffeln. Es dauert also schon jetzt länger als früher.
    Wenn Sie auf den Nacktscanner anspielen: Das ist ja immer ganz verräterisch, wie die Sprache ist und welche Sprache Politiker verwenden. Inzwischen ist es ja so, dass nicht mehr vom Nacktscanner gesprochen wird, sondern vom Körperscanner. Das heißt also, es soll nicht mehr über dieses Wort transportiert werden, dass da der nackte Körper gescannt, also abgebildet wird, sondern nur noch der Körper, wobei man sagen muss, das sind mehr oder weniger kosmetische Bezeichnungen.

    Schulz: Und wie viele Chancen räumen Sie dem Körper- oder Nacktscanner ein?

    Hagen: Wenn Sie mich gestern gefragt hätten, hätte ich gesagt, das kommt nicht. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher. Sie haben ja auch in Ihren Nachrichten gemeldet, dass inzwischen einige Politiker gesagt haben, man muss das Ganze noch mal neu überdenken, möglicherweise mit modifizierten Geräten. Aber ich glaube, im Endeffekt wird es davon abhängen, was die Amerikaner sagen. Wenn die Amerikaner sagen, Leute oder Passagiere, die in die Vereinigten Staaten fliegen wollen, müssen durch so einen Nacktscanner oder Körperscanner, wie wir ihn nun nennen wollen, müssen durch so ein Gerät, dann können sich hier die hiesigen Sicherheitspolitiker noch so sehr auf den Kopf stellen, dann wird das Ding kommen.

    Schulz: Rechnen Sie denn auch mit neuen Regeln für das Handgepäck? Das haben wir ja nach dem letzten vereitelten Anschlag gesehen. Seitdem dürfen wir Flüssigkeiten nur noch in kleiner Menge mit an Bord nehmen. Jetzt war dieser Sprengstoff offenbar eine puderige Substanz. Muss dann künftig der Puder auch aus dem Handgepäck?

    Hagen: Ich sehe es im Moment noch nicht so, weil sich ja auch herausgestellt hat, dass die Schwachstelle bei dem jetzigen Fall des 23jährigen Nigerianers eben war, dass er sich die Substanz ans Bein geklebt hat oder in die Unterhose genäht hat. Das scheint insofern das große Problem zu sein. Ehrlich gesagt ich glaube, man kann nicht alle Substanzen aus dem Handgepäck herausnehmen. Insofern wird das sehr schwer sein, dort das Ganze noch weiter runterzufahren. Was bringt es, ob das nun 50 Milligramm oder 100 Milligramm Puder oder Flüssigkeit sind? Ich glaube, da sind die Chancen ausgereizt.

    Schulz: Können Sie sich vorstellen, dass über kurz oder lang das Handgepäck auch komplett verboten werden könnte?

    Hagen: Ja, natürlich. Möglich ist das. Allerdings würde das dann wieder dazu führen, dass Fliegen noch unkomfortabler ist, als es sowieso schon ist, und dann werden sich viele Leute überlegen, ob man nicht irgendwie eine andere Möglichkeit hat, von A nach B zu kommen. Ich glaube, da würden die Fluglinien und die Flughafenbetreiber schon ihr Veto versuchen, zumindest einzulegen. Aber wie gesagt: Wenn die amerikanischen Sicherheitsbehörden sagen, es geht nicht anders, dann werden sie es machen.

    Schulz: Gibt es denn überhaupt übergeordnet so etwas wie eine Zwischenbilanz, etwa nach den verschärften Sicherheitsvorschriften nach dem letzten vereitelten Anschlag, was das überhaupt alles bringt?

    Hagen: Das wird Ihnen nie jemand sagen, was das wirklich bringt, weil jeder Politiker oder jeder Sicherheitspolitiker sagt, wir wissen natürlich gar nicht, was wir alles verhindert haben, weil wir das gar nicht mitkriegen, und das muss man natürlich auch sagen: Diese ganzen Kontrollen wirken ja präventiv. Das heißt, ein mutmaßlicher Terrorist wird es sich, je genauer diese Kontrollen, je schärfer diese Kontrollen sind, umso genauer überlegen, ob er überhaupt so einen Anschlag probiert. Insofern wirken diese ganzen Kontrollen ja so, dass sie abschrecken sollen von einem möglichen Anschlag. Insofern wird jeder Sicherheitspolitiker sagen, wir wissen gar nicht, was wir alles verhindert haben. Aber das Risiko will natürlich auch keiner auf sich nehmen, möglicherweise etwas nicht unternommen zu haben.

    Schulz: Jetzt haben die USA auch angekündigt, die Terrorlisten zu aktualisieren, und darunter gibt es ja auch diese sogenannten No-Fly-Listen. Wird es künftig mehr und mehr Leuten passieren, dass sie einfach nicht an Bord kommen?

    Hagen: Ja, das kann durchaus sein. Diese No-Fly-Listen gab es ja schon früher und das hat man ja dann erst, wenn man kein Visum gekriegt hat, gemerkt, dass man auf dieser No-Fly-Liste steht, wobei das Interessante ist: Durch diesen Fall ist ja herausgekommen, dass es sozusagen Vorgängerlisten gibt, also Leute, die "nur" verdächtig sind, irgendwelche Anschläge zu planen, und wie groß diese Listen sind, nämlich diese 400.000, 500.000 Namen, die darauf stehen, das zeigt ja auch, wie groß die Amerikaner diese Gefahr einschätzen, wobei man auch sagen muss, je größer so eine Liste, umso unhandlicher wird sie, umso weniger kann man damit anfangen, weil im Zweifelsfall, wenn dann ein Name auftaucht, irgendwie bei einem Visumsantrag, ein Name, der auf dieser Liste steht, dann wird ein Beamter einer amerikanischen Sicherheitsbehörde, da das so häufig vorkommt, irgendwann sagen, okay, ich kann auch nicht alle kontrollieren.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch auf die Hintergründe des vereitelten Anschlages blicken: Gestern hat sich ja das Terrornetzwerk El Kaida mit einem Bekennerschreiben gemeldet. Wie schätzen Sie das ein?

    Hagen: Man muss da genau hinschauen. Das ist ja nicht das Terrornetzwerk El Kaida, das sich da bekannt hat, sondern es ist El Kaida auf der arabischen Halbinsel, die dieses Bekennerschreiben abgeschickt hat, wobei ja auch interessant ist, dass sie sich jetzt sozusagen zu einem vereitelten Anschlag bekennen und sagen, der große Erfolg dieses 23jährigen Nigerianers sei gewesen, dass er sich durch die ganzen Sicherheitskontrollen durchgeschmuggelt habe. Sagen wir mal, wenn man das früher mit El Kaida verglichen hätte, das hätte eine frühere El-Kaida-Organisation nicht gemacht, dass sie sich zu einem vereitelten Anschlag bekennen. Insofern zeigt das auch, in welchem Status diese El-Kaida-Organisation ist, die ja in Wirklichkeit kein Netzwerk ist, wie wir sagen, sondern das sind verschiedene kleine Gruppierungen in verschiedenen Ländern, wie eben jetzt im Jemen offenbar, die unter der Flagge von El Kaida segeln, das sozusagen als Franchise-Unternehmen übernommen haben, aber nicht mit der El Kaida, die wir vom 11. September noch irgendwie im Kopf haben, vergleichbar ist.

    Schulz: Einschätzungen des ARD-Terrorismusexperten Joachim Hagen heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön.