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"Auf keinen Fall wird hier das Licht ausgemacht"

Horst-Dieter Brähmig, Oberbürgermeister im sächsischen Hoyerswerda, hat davor gewarnt, den Bevölkerungsverlust in ostdeutschen Städten als Grundlage für Einsparungen zu betrachten. Für eine Kommune bedeute ein Abriss von Häusern und Straßen zunächst einmal Kosten, sagte Brähmig. Zugleich verwies das Stadtoberhaupt aber auf städtebauliche Chancen durch eine abnehmende Einwohnerzahl.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Daran wird man sich gewöhnen müssen in Deutschland: Mehr Baren als Wiegen. Die Zahl der Toten übersteigt seit 1972 die Zahl der Geburten, im vergangenen Jahr gleich um 144.000. Aber der damit einhergehende Schrumpfungsprozess ist nicht das Drama, insgesamt weniger Menschen in Deutschland sind keine Katastrophe. Auch, dass wir älter werden, muss kein Desaster sein. Nur als älterer Mensch lebt man anders, denkt man anders, konsumiert man anders. Und das ist schon relevant für die Wirtschaft und die Versicherungsbranche. Und wenn der demografische Wandel besonders schnell vonstatten geht, dann ergeben sich richtig Probleme. Und die sind nicht nur finanzieller Art. Wie geht eine Kommune mit diesem Problem um? Am Telefon begrüße ich den Oberbürgermeister von Hoyerswerda, Horst–Dieter Brähmig. Guten Morgen, Herr Brähmig.

    Horst-Dieter Brähmig: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Brähmig, zurzeit läuft in Berlin ein Kongress über den demografischen Wandel, auch Prominenz ist zugegen. Für Sie ist dieser Wandel mit seinen Problemen Alltag, Ihre Stadt ist in wenigen Jahren von 70.000 Einwohnern auf rund 40.000 gesunken. Die Stadt hat weniger Einnahmen, muss aber auch vermutlich weniger ausgeben. Wo sind die Probleme?

    Brähmig: Wir haben natürlich dann in erster Linie die Probleme in der Anwanderung der Bevölkerung, weil vor allen Dingen die jungen Menschen der Arbeit nachziehen. Wir haben die Probleme deshalb, weil wir nicht die selbst verschuldet haben, sondern sie sind durch die neue wirtschaftliche Ausrichtung in der Bundesrepublik seit 1990, die wir ja gewollt haben, durch den Rückgang der Braunkohleförderung entstanden. Wir sind eine Stadt, die nur gewachsen ist einmal von 7000 auf 70.000 Einwohner, weil hier das Gaskombinat Schwarze Pumpe aufgebaut wurde. Damit sollte ja die Braunkohle als einziger zur Verfügung stehender großer Rohstoff auch für die DDR-Wirtschaft genutzt werden und deswegen dieser Einwohnerzufluss.

    Jetzt erleben wir genau das andere. Das ist das Problem. Wir müssten eigentlich die ganze Neustadt, die entstanden ist, um diese übrigen 63.000 Einwohner unterzubringen, wieder zurückbauen. Die Häuser stehen leer, wir haben dadurch höhere Kosten. Wir haben nicht geringere Kosten, sondern höhere Kosten. Wir haben natürlich auch in der Bevölkerung keine gute Stimmung, wobei ich davon ausgehe, dass der Stadtrat und auch die Verwaltung und alle gesellschaftlichen Kräfte etwas getan haben, um hier einen sozialen Frieden insofern zu halten, dass wir eine gute Infrastruktur entwickelt haben, dass wir trotzdem den Mittelstand entwickelt haben. Der Mittelstand alleine hat 13.600 Arbeitsplätze geschaffen seit 1990. Also es gibt hier Licht und Schatten, so ist es. Die Probleme sind aber nicht wegzuwischen. Sie sind ja nicht nur in Hoyerswerda so mit dem demografischen Wandel, sondern es ist ja eigentlich auch europaweit, ich will aber bei uns bleiben.

    Liminski: Bleiben wir mal in Hoyerswerda. Sie sagen gute Infrastruktur, kein Gedränge. Kann man nicht vielleicht mit Hilfe des Landes oder des Bundes in manchen Vierteln ein Erholungsgebiet anlegen, entsprechend einrichten? In Spanien werden ganze Dörfer für Einwanderer zur Verfügung gestellt. Das ist ja billiger Wohnraum auch.

    Brähmig: Also wir haben ja nicht im Trüben gefischt, sondern wir haben uns sehr verantwortungsbewusst mit unserer Zukunft beschäftigt und was man jetzt aus dem machen kann, was man hat. Wir sagen, auf der einen Seite muss es natürlich eine gute Infrastruktur geben, darüber habe ich gesprochen. Das zweite ist, wir müssen wieder Wirtschaft entwickeln. Da haben wir uns traditionell auf das besonnen, das wir eigentlich mal waren, ein Energiestandort. Es ist eine Entwicklungsgesellschaft mit umliegenden Gemeinden gebildet worden. Wir haben Schlüsselprojekte, die wir umsetzen. Zwei sind schon im Gang, also eine Pilzzucht, eine Algenzucht, eine Windkraftreparaturwerkstatt, eine Papierfabrik auf dem alten Industriegebiet von Schwarze Pumpe, ein neues Kraftwerk in Schwarze Pumpe. Wir haben jetzt vor, in der Solartechnik noch in meiner Amtszeit, die endet Ende Oktober, vorwärts zu kommen.

    Und das ist das eine, und das andere ist, Erholungsgebiete war das Stichwort, das ist tatsächlich auch ein Mutmacher, denn durch die alten Kohlengruben, die hier um uns herum liegen, sind ja auch Seen entstanden. Und diese alle sind saniert worden durch die LMBV, das ist die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Es werden diese Seen zu dem größten künstlichen zusammenhängenden Seenland Europas entwickelt, und dies ist ein Erholungsgebiet. Und Hoyerswerda wird dabei die zentrale Stadt sein, die infrastrukturell dieses Erholungsgebiet versorgt.

    Liminski: Das sind Wünsche so zu sagen. Sie diversifizieren und modernisieren. Kommen dadurch auch mehr Leute wieder zu Ihnen? Aber sie sagen, wir gehen eher.

    Brähmig: Ich kann diesen Hoffnungsschimmer, ich bin immer vorsichtig, aber auch Optimist, ich kann diese Hoffnung tatsächlich verbreiten. Diese Leute kommen jetzt schon, da nämlich schon alleine das Radwegenetz hier so ausgezeichnet ist, dass die Berliner und die Dresdner und alles, was so um uns erreichbar herum ist, und sogar aus Mecklenburg auch die Urlauber hierher kommen und die Hotels bessere Auslastung haben.

    Liminski: Die Robert Bosch Stiftung hat neulich davon geschwärmt, Herr Brähmig, dass weniger Kinder eine demografische Rendite bedeuteten. Man spare Millionen und Milliarden. Auch Sie können doch jetzt eine oder mehrere Schulen dicht machen oder für andere Zwecke verwenden. Was machen Sie mit der demografischen Rendite?

    Brähmig: Nun, diese demografische Rendite ist für mich eigentlich ein Unwort. Die Wahrheit ist, dass Schrumpfung für die Kommunen Mehrkosten, Mehrbelastungen, völlig neue Aufgaben auslöst. Es ist so, nehmen wir doch bloß mal das, was ich schon angesprochen habe: Wenn die Wohnungssiedlung unserer beiden Gesellschaften, eine städtische, eine Genossenschaft, leer stehen, dann sind das eigentlich mehr Kosten. Die erhöhten Zuschüsse fallen weg, zum Beispiel für den örtlichen Personennahverkehr. Wenn wir keine Kinder haben, dann arbeiten wir eigentlich an den Krediten der Zukunft. Was soll denn werden? Die alten Menschen sterben ja auch einmal. Das ist nun mal so. Wir sind ja genuin angelegt. Anfang und Ende steht zwar nicht genau fest, aber es ist doch ungefähr so. Also das einfach und allein ökonomisch zu sehen, ist falsch, das ist aus meiner Sicht auch sehr, sehr kurzsichtig, das ist mehr als kurzsichtig. Demografische Rendite ist vielleicht auf den Tag ausgelegt, aber nicht auf die Zukunft.

    Liminski: Können Sie denn die Gebäude oder Kanalisationen, die nun sozusagen nicht mehr benutzt werden, nicht einfach auch vergammeln lassen?

    Brähmig: Um Gottes Willen, das ist ja das allerschlimmste. Dann ist ja der Anarchie Tor und Tür geöffnet. Vergammeln lassen bedeutet ja, wir begeben uns dann in solche Geschichten, wie sie früher mal in den Goldgräbergebieten waren. Ehemalige Hütten stehen dann leer da. Nein, die Stadt ist doch ein lebendiges Organ, und hier leben ja nach wie vor Menschen. Es leben ja immerhin noch über 40.000 Menschen hier. Und ein Gebäude, dass also so marode dasteht, ist immer ein negativer Ausgangspunkt für weitere Zerstörung, für Vandalismus und so weiter und ist natürlich auch kein Ausdruck der Lebensfreude. Wir haben eine ganz hervorragende Sanierung in Hoyerswerda schon betrieben. Es sind über 30 Millionen eingesetzt worden dafür. Die Neustadt ist so schön geworden, wie sie eigentlich vorher nicht war, trotz der Abrisse. Und die Altstadt ist ohnehin schön. Ich lade alle ein, mal in die Altstadt und überhaupt nach Hoyerswerda zu kommen, um zu sehen, dass es eine immerhin 800 Jahre alte Stadt ist. Also wir…

    Liminski: Sie sind also nicht der Letzte, der das Licht ausmacht.

    Brähmig: Auf keinen Fall wird hier das Licht ausgemacht. Das wird überhaupt in keiner Stadt ausgemacht. Die Städte sind ja meiner Meinung nach doch die Kernkräfte überhaupt des Lebens in jedem Staat.

    Liminksi: Okay, das Licht soll weiter brennen in Hoyerswerda. Das war der Oberbürgermeister der Stadt, Horst-Dieter Brähmig. Danke für das Gespräch, Herr Brähmig.

    Brähmig: Ich bedanke mich auch.