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"Auf seine Art ist Peking verlässlich"

Max Otte glaubt, dass China als EU-Investor zu "Multipolarität" im Finanzsektor führen könnte. Ferner könnte Europa unabhängiger werden. Chinas Investitionsbestreben erklärt der Finanzexperte mit den wachsenden Geldforderungen Pekings gegenüber dem Ausland.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 28.10.2011
    Dirk Müller: Noch vor ein paar Jahren haben die Europäer so etwas mit ganz großem Unbehagen gesehen: einen Deal mit den Chinesen. Zwischen Unternehmen ging das relativ geräuschlos über die Bühne, doch die offizielle Politik scheute sich, Finanzgeschäfte mit Peking einzugehen, zumindest offiziell. Jetzt hat sich das alles geändert. China ist auf dem Weg zur Wirtschaftsmacht Nummer eins. Milliarden Dollar von amerikanischen Schuldtiteln haben die Chinesen bereits in ihrem Portfolio. Nun sollen Milliarden aus Europa dazukommen, aus der Eurozone, denn die Eurostaaten suchen nun Investoren für ihr neues Hebelmodell, kombiniert mit dem europäischen Rettungsschirm, so eben jetzt auch in China.

    Bei uns am Telefon begrüße ich nun den Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte, Autor des Buches "Der Crash kommt", und er ist selbst auch Fondsmanager. Guten Tag!

    Max Otte: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Otte, werden Sie als Investor die Chance nutzen?

    Otte: Nein, das nicht, aber ich bin in einer ganz anderen Lage als China, oder China ist viel mehr in einer Zwangslage als ich, denn China hat riesige Handelsbilanzüberschüsse und das heißt, es baut Geldforderungen gegenüber dem Ausland auf. Die Alternative, weniger Handelsüberschüsse zu machen, oder ein Defizit zu fahren, gefällt China nicht, also muss es sich überlegen, wie es diese Geldforderungen anlegt, in Dollar, oder in Euro, oder sonst wo, und da ist der Euro dann durchaus attraktiv.

    Müller: Wenn Sie Chinese wären, würden Sie es machen?

    Otte: Wenn ich der chinesische Staat wäre, würde ich ernsthaft darüber nachdenken, denn die Alternative kann nur sein, weiter in höchst inflationsgefährdete und instabile Dollars zu investieren - das sind sowieso die größten Schuldner Chinas -, und da ist es doch besser, die Eier etwas zu verteilen in verschiedene Körbe.

    Müller: Wie groß ist das Risiko dieser Anleihe?

    Otte: Ich würde sagen, es ist nicht sehr groß. Es ist in gewisser Weise geringer als das amerikanischer Staatsanleihen, weil amerikanische Staatsanleihen ziemlich inflationsgefährdet sind durch die inflationäre Politik der FED. Natürlich gibt es bei allen Staatsanleihen der Industrienationen mittlerweile erhebliche Risiken, aber noch einmal: China ist in einer Zwangsjacke. China muss in irgendwelche Anleihen investieren, und dann ist das Risiko der europäischen Anleihe vergleichsweise geringer.

    Müller: Dann bleiben wir aber, Herr Otte, noch mal bei diesem Risiko der europäischen Anleihe. Diese Versicherungssumme beziehungsweise die Garantiesumme, die übernommen wird für eine Summe X, wenn wir das richtig verstanden haben, wird 20, 25 Prozent sein. Ist das nicht zu wenig?

    Otte: Das kommt darauf an. Also bei Griechenland wäre es zu wenig gewesen. Auch der jetzige Schuldenschnitt deckt ja noch nicht alles ab, der ist ja nur 50 Prozent auf einen Teil der Anleihen reduziert worden. Griechenland braucht 50, 60 Prozent über alles. Aber Italien, da wären 20 Prozent wahrscheinlich vollkommen okay, falls es mal in diese Situation käme, Spanien ähnlich. Also ich glaube, dass das schon sehr attraktiv ist.

    Müller: Demnach könnte dieses Hebelmodell ein Erfolgsmodell werden?

    Otte: Insofern ja. Zumindest nach außen und für den Euro kann es schon ein Erfolgsmodell werden. Ich verstehe sehr gut, dass Herr Regling jetzt nach China reist. Überrascht hat mich die Geschwindigkeit, mit der das passiert. Aber es bringt natürlich einen neuen Spieler in das Währungsspiel. Was sich auch positiv auswirken wird: Es sind nicht immer nur Dollar und Euro, sondern es ist eben jetzt auch China, und zwar auf der Investorenseite.

    Müller: Ist das wünschenswert aus europäischer Sicht, zunehmend abhängig von den Chinesen zu werden?

    Otte: Ich denke, es ist sehr wünschenswert, denn bis jetzt sind wir abhängig von den amerikanischen Ratingagenturen, die ja nicht immer ganz objektiv und fair raten. Wenn man Italien herunterratet, ist das in Ordnung, aber Amerika selber fasst man nicht an. Also von daher glaube ich, dass etwas mehr Multipolarität in diesem Spiel durchaus zu mehr Unabhängigkeit Europas führen kann.

    Müller: ... , weil Peking - meine Frage - ein verlässlicher Partner ist?

    Otte: Auf seine Art ist Peking verlässlich. Es gibt natürlich die Knackpunkte, aber im außenwirtschaftlichen Bereich haben sie eigentlich immer verlässlich gespielt. Sie schützen natürlich auch sehr massiv ihre Interessen. Wo sie nicht verlässlich sind, das ist die Rechtssicherheit bei Patenten und so weiter. Aber das ist eher die Firmenebene. Auf staatlicher Ebene haben sie eigentlich immer sehr verlässlich gespielt.

    Müller: Jetzt haben wir uns, Herr Otte, Gedanken gemacht über das Risiko, was die Chinesen möglicherweise eingehen. Reden wir über das Hebelrisiko für die Steuerzahler, für die deutschen Steuerzahler. Wie ist es da?

    Otte: Ja das sehe ich natürlich sehr viel negativer. Im Prinzip wird wieder Zeit gekauft. Die Beschlüsse weisen zwar einige positive Ansatzpunkte auf, also den Schuldenschnitt Griechenlands, die teilweise Rekapitalisierung der Banken, die mir nicht weit genug geht. Also das sind alles richtige Schritte in die richtige Richtung. Aber natürlich haben wir jetzt eine Billion Schulden mehr sozusagen, die wir machen können, und wir bauen den Schuldenberg weiter auf. Ich habe meine Befürchtungen, dass es dabei nicht bleiben wird. Wir haben jetzt die Kiste ein Stückchen weiter aufgemacht und mal sehen, wenn wir da an die Schuldengrenze kommen, ob es das gewesen ist.

    Müller: Wir haben in den vergangenen Monaten häufig ja über das Wort "alternativlos" geredet. Jetzt sagen die europäischen Politiker, ja auch die deutsche Opposition, auch die Sozialdemokraten, auch die Grünen, es hat dazu keine Alternative gegeben, zu diesem Hebelmechanismus, zu dieser einen Billion, vielleicht wird es ja auch mehr. Stimmt das?

    Otte: Aus meiner Sicht nein. Man hätte sofort und man müsste eigentlich sofort die Ratings der amerikanischen Agenturen aussetzen, oder sofort eine europäische Ratingagentur ins Leben rufen, die dann etwas Objektivität in dieses Spiel hineinbringt. Wie gesagt, die Agenturen messen mit zweierlei Maß, und das führt natürlich dazu, dass Länder wie Italien immer weiter unter Druck gesetzt werden können. Wenn sie die immer weiter herabstufen, müssen die immer mehr Zinsen zahlen und dann geraten die irgendwann notwendigerweise unter Druck. Und diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen, und das schaffen sie nicht allein, indem sie den Ratingagenturen hinterherlaufen und die Länder nur zum Sparen ermahnen, sondern da muss auch eine Entlastung auf der Zinsseite her, oder eine faire Bewertung der Staatsschulden, und da sind wir ein Stückchen von weg.

    Müller: Das hört sich, Herr Otte, jetzt so an, als seien an allem die Ratingagenturen schuld.

    Otte: Nein, natürlich nicht. Aber sie sitzen natürlich im angelsächsischen Raum, es ist ein Kartell und sie messen halt mit zweierlei Maß. Natürlich gehört auch dazu, dass die Länder Sparanstrengungen unternehmen, aber die Sparanstrengungen alleine können es nicht sein. Wenn sie gleichzeitig eben die Länder immer weiter herunterstufen, dann müssen die trotz Sparanstrengungen immer höhere Zinsen zahlen, dann kommen sie aus dieser Spirale nicht heraus. Also irgendwie muss man diese Spirale durchbrechen, und das kann nicht nur das Sparen sein.

    Müller: Jetzt stehen die Ratingagenturen, gerade die im angloamerikanischen Raum - aber wir haben ja noch keine europäische, Sie haben es erwähnt -, seit Monaten unter Beschuss. Da stellt sich doch langsam die Frage, wenn dieses System permanent kritisiert wird, ist es tatsächlich noch so, dass die Ratingagenturen massiven Einfluss auf die Märkte haben?

    Otte: Selbstverständlich haben sie den, denn in vielen Anlagerichtlinien sind ja diese Ratings quasi Voraussetzung dafür, dass man ein Papier in die Bilanzen nimmt oder in die Bankbilanzen. Es gibt ja auch eine chinesische Ratingagentur, und die kann ja unter Umständen zu ganz anderen Schlüssen kommen, was zum Beispiel italienische Staatsschulden angeht, sodass damit jetzt das Spielfeld etwas erweitert wird und dass damit Meinungs- und Bewertungspluralität herrscht, und das würde, glaube ich, der Sache durchaus gut tun.

    Müller: Die Forderung, eine europäische Ratingagentur in Szene zu setzen, zu entwickeln, gibt es auch schon seit Monaten. Warum ist das so schwer, beziehungsweise wer verhindert das?

    Otte: Die gibt es seit zweieinhalb bis drei Jahren, Herr Müller, und die gibt es auch zum Teil relativ lautstark. Sogar Herr Westerwelle hat es vor eineinhalb Jahren mal gesagt. Das ist mir auch ein Rätsel. Es soll ja eine öffentlich-rechtliche kommen irgendwann. Aber es scheint mir doch, dass die Finanzlobby da wieder sehr stark mitmischt, und es kommt ja immer auch auf die Ausgestaltung an, und wahrscheinlich wird da hinter den Kulissen noch massiv gerungen und das ganze ist noch im vorpolitischen Raum, und vieles wird ja heutzutage leider durch die Lobbys im vorpolitischen Raum entschieden, gerade was Finanzmarktregulierung angeht. Da müssten die Ministerien und die Politiker doch mal ein Stück Souveränität zurückgewinnen, wie sie es jetzt ansatzweise mit der Zwangsrekapitalisierung der Banken gemacht haben.

    Müller: Und mit London sollten wir als Euroland gar nicht reden?

    Otte: Na ja, reden schon, aber man muss immer sich bewusst sein, dass London ganz andere Interessen verfolgt, dass sie bestenfalls zum Schein mitspielen, dass sie aber letztlich natürlich Kasinokapitalismus befördern und betreiben, auch mit den Kanalinseln, auch mit den Kaimanen. Also die können sie nicht in eine Koalition der Vernünftigen hineinbringen, das wird nicht funktionieren.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Otte: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.