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Auf sicheren Beinen

Medizin.- Die tiefe Hirnstimulation, bei der mit einem Schrittmacher verbundene Elektroden ins menschliche Gehirn implantiert werden, ist für die Behandlung von Bewegungsstörungen schon lange erprobt. Jetzt tut sich ein weiteres Einsatzgebiet auf.

Von Remko Kragt | 20.01.2010
    Ziemlich tief im menschlichen Gehirn, etwa neun Zentimeter unter der Oberfläche, liegt der Nucleus pedunculupontinus, kurz PPN. Das Areal spielt unter anderem eine große Rolle bei der Steuerung von Haltung und Bewegung. Fehlfunktionen in diesem Bereich können zum Beispiel bewirken, dass Patienten Körperteile nicht steuern können oder unberechenbare Sturzattacken erleiden. Den genauen Mechanismus dahinter kennen Hirnforscher nicht. Aber sie wissen, dass sie die Probleme mit einer elektrischen Stimulation in diesem tiefen Areal beeinflussen können. Dazu wird eine Hirnelektrode in den PPN platziert, die etwa alle zwei Sekunden einen kurzen Stromstoß setzt, erläutert Joachim Krauss, Leiter der Neurochirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

    "Offensichtlich bewirkt diese Reizung mit einer anderen Frequenz wie üblich, das man ein Störsignal setzt an diesem Punkt und die Signale sendet zum Nucleus subthalamicus und da Veränderungen in diesem Regelwerk verursacht."

    Normalerweise arbeitet die tiefe Hirnstimulation mit einer rund sechs Mal höheren Frequenz. Auch dringt sie normalerweise, etwa bei der Behandlung von Parkinson-Erkrankungen, nicht so tief in das Gehirn ein. Üblich sind etwa sechs Zentimeter. Beim Gang in die Tiefe orientieren die Chirurgen sich an den Abbildungen der Hirnströme im EEG. In jedem Hirnareal zeigt sich ein charakteristisches Muster.

    "Das kann man etwa so beschreiben, wenn man quer durch Europa fährt, von Schweden nach Spanien, und man kommt durch verschiedene Länder, in denen verschiedene Sprachen gesprochen werden. Und daran erkennen wir auch die Subterritorien der einzelnen Zielgebiete."

    Die Patienten sind meist bei vollem Bewusstsein. Sie erhalten lediglich eine lokale Anästhesie an den Stellen, wo die Elektroden durch den Schädel geführt werden. Das Gehirn selbst empfindet keine Schmerzen. So können die Operateure schon während des Eingriffs im Gespräch mit den Patienten beobachten, ob die Elektrode an der richtigen Stelle sitzt. Höchste Präzision ist dabei gefragt: der Zielpunkt ist weniger als einen Millimeter groß.

    Einige Tage lang testen die Ärzte die Funktion der implantierten Elektroden. Danach fixieren sie den Schrittmacher, der etwa so groß ist wie zwei Streichholzschachteln, hinter dem Schlüsselbein. Die Leitung zur Elektrode wird unter die Haut verlegt, der Schrittmacher durch die Haut programmiert. Geheilt sind die Patienten nach dem Eingriff allerdings nicht.

    "Also es ist eine symptomatische Therapie, es ist keine Therapie des Grundleidens an und für sich. Und wenn man den Schrittmacher wieder abstellt, treten die alten Symptome wieder auf."

    Dennoch: Der Eingriff könnte Patienten, für die es bisher gar keine Hilfe gab, eine neue Lebensqualität verschaffen. Erprobt wird er bei speziellen Bewegungs- und Gangstörungen, die nicht – oder nicht mehr - medikamentös beherrscht werden können. Allerdings treten diese besonderen Störungen wie etwa die Sturzattacken relativ selten auf. Meistens werden sie der Parkinson-Erkrankung zugerechnet. Tatsächlich aber sind es eigenständige Krankheitsbilder, sagt Joachim Krauss.

    "Jeder fünfte Parkinson-Patient ist wahrscheinlich ein Kandidat für eine tiefe Hirnstimulation. Und möglicherweise jeder 50. Parkinson-Patient ist ein Kandidat für so eine PPN-Stimulation."

    Die Anwendung der tiefen Hirnstimulation bei diesen Gangstörungen steht erst ganz am Anfang. Bisher wurden zwei Patienten auf diese Weise behandelt. Der Erfolg der Eingriffe gibt aber Anlass zu größeren Hoffnungen. Vor allem für Patienten, bei denen die Symptome früh erkannt werden, könnte die Methode künftig einen Ausweg bieten.

    "Also wenn jemand eine weit fortgeschrittene Erkrankung hat, dann ist die Wirkung oftmals natürlich proportional weniger, als wenn man einen Patienten hat, bei dem die Krankheit noch nicht so lange besteht. Das heißt, wir wollen eigentlich die Patienten operieren, die am meisten davon profitieren, das sind die Patienten, die im mittleren Erkrankungsstadium sind, bei denen Probleme mit der Medikation beginnen, die aber noch nicht gänzlich hilflos sind."