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Aufgaben eines Antiterror-Koordinators der EU

Friedbert Meurer: Erst zwei Wochen liegen die Anschläge von Madrid mit rund 200 Toten zurück. Gestern schon haben die Staats und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Brüssel ein Aktionsplan verabschiedet gegen den Terrorismus. Diesen Plan hatten die Innenminister der EU letzte Woche ausgearbeitet. Unter anderem soll der Informationsaustausch der europäischen Polizei- und Geheimdienste verbessert werden. Und es wird einen EU-Koordinator für den Kampf gegen den Terrorismus geben. Die Wahl fiel auf den Niederländer de Vries. Eine andere Meldung sorgt heute morgen allerdings für noch mehr Schlagzeilen: Die Polizei hat in Darmstadt eine Wohnung eines Marokkaners untersucht. Der soll in Spanien verhaftet worden sein. Damit würde eine Spur der Terroranschläge von Madrid nach Deutschland führen. In den Medien heißt es, dass der Verdächtige von Darmstadt sich im Wintersemester 2003 an der Universität Darmstadt im Fach Elektrotechnik eingeschrieben haben soll. Das wäre dann noch eine weitere Parallele zum Fall Mohammed Atta in Hamburg. Am Telefon begrüße ich nun den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Peter Frisch. Herr Frisch, haben Sie fatale Erinnerungen an Hamburg, wenn man die Nachrichten von heute morgen hört. Was sagen Sie zu der Durchsuchungsaktion und der Spur nach Darmstadt?

Moderator: Friedbert Meurer |
    Peter Frisch: Diese Durchsuchungsaktion war sicherlich von der Polizei zu recht durchgeführt worden. Es sind, nach dem was ich gehört habe, auch noch andere Durchsuchungen vorgenommen worden. Das zeigt, dass Deutschland nicht nur ein Ruheraum ist für manche Islamisten, sondern dass hier auch durchaus Vorbereitungen für andere Anschläge durchgeführt werden. Allerdings muss ich eins sagen: Das wird nicht nur in Deutschland der Fall sein. Der Islamismus, also diejenigen fundamentalistischen Muslime, die die Weltherrschaft mit Gewalt erringen wollen, die sind auch in anderen Ländern aktiv. Wir werden entsprechende Feststellungen wahrscheinlich auch in anderen Ländern gewinnen.

    Meurer: Aber fällt es nicht doch auf, dass der 11. September in Hamburg geplant worden ist, in der Marienstrasse in einer Wohnung, und jetzt deutet alles darauf hin, dass hier in einer Darmstädter Wohnung geplant und vorbereitet wurde?

    Frisch: Ob dieser Anschlag in Madrid total in Darmstadt geplant worden ist, das werden noch die weiteren Ermittlungen ergeben. Ich weise darauf hin, dass das in Europa überall der Fall sein kann. Wenn hier besonders günstige Voraussetzungen für manchen gefunden werden, muss das berücksichtigt werden. Ich meine, was jetzt festgestellt worden ist, bestätigt die Richtigkeit der von vielen geschmähten Rasterfahndung. Man muss sich anhand bestimmter Punkte mit manchen Kreisen intensiver befassen. Das hat dieses Ereignis gezeigt.

    Meurer: Würde die Rasterfahndung nur dann als Erfolg gewertet werden, wenn man tatsächlich auch den in Darmstadt lebenden Marokkaner auf diese Art und Weise gefunden hat? Es war ja wohl eher so, dass der Hinweis aus Madrid kam.

    Frisch: Das ist richtig. Aber man soll das eine nicht lassen, was auf Dauer gesehen ebenfalls Erfolg versprechen kann. Denn so zeigt es sich ja, dass sich aus der Zusammenkunft von verschiedenen, beispielsweise als fundamentalistisch bekannten Muslimen durchaus Gefahren entwickeln können. Das ist ein zusätzliches Zeichen dafür, weiterhin genau festzustellen: Wer kommt hier zusammen? Wo gibt es Zusammenkünfte von Personen, die nach ihren sonstigen Umständen - beispielsweise bestimmtes Alter, bestimmte Studienrichtung, häufige Fahrten ins Ausland - zu dem Kreis der Gefährlicheren gehören. Das heißt nicht, dass diese Personen von vorne herein als Täter genannt werden müssen. Man kann nicht gleich etwas gegen sie unternehmen. Aber man kann sie beobachten. Das ist erforderlich.

    Meurer: Sie haben eingangs gesagt, es habe Ihrer Kenntnis nach noch weitere Durchsuchungen heute Nacht oder gestern Abend gegeben. Wissen Sie da Näheres?

    Frisch: Nein, noch nicht. Es gibt Pressemeldungen, die darauf hinaus laufen. Ich bin nicht mehr tätig, ich muss mich hier auch auf die Presse verlassen. Aber ich halte das nicht für ausgeschlossen.

    Meurer: Reden wir nun über den EU-Gipfel in Brüssel. Da ist jetzt der Aktionsplan beschlossen worden. Wie sehr werden denn Ihrer Meinung nach die EU-Länder bereit sein, tatsächlich auch ihre Informationen von der Polizei und den Geheimdiensten auszutauschen beziehungsweise der neuen EU-Koordinationsstelle vorzulegen?

    Frisch: Ich könnte mir vorstellen, dass es eine besondere Aufgabe dieses EU-Koordinators wäre, dafür zu sorgen, dass die Länder Informationen, die sie über bestimmte Personen und bestimmt Personenkreise haben, an betroffene Länder weiterleiten oder EU-weit weitergeben, damit man nicht etwa sagen kann, dass sich jemand einfach in ein anderes Land verzieht und dort ruhig weiterarbeiten kann. Hier ist es dann Aufgabe des Koordinators, die EU-Staaten, die Verantwortlichen zusammen zu rufen und mit ihnen festzulegen, unter welchen Umständen welche Informationen an andere Staaten weitergegeben werden können und müssen. Das ist so einheitlich, nach bestimmten Regeln noch nicht geschehen. Das muss jetzt passieren.

    Meurer: Gibt es in Europa eigentlich zwischen den Geheimdiensten Eifersüchteleien, dass der eine Geheimdienst dem anderen nicht mitteilen möchte, was er in Erfahrung gebracht hat?

    Frisch: Das sind keine Eifersüchteleien im üblichen Sinne. Es sind oft Erwägungen über den so genannten Quellenschutz. Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man eine Meldung von jemandem bekommen hat, der in seiner Person gefährdet ist, weil er zu nahe dran ist an bestimmten gefährlichen Gruppen. Hier muss beispielsweise im Bereich der Sicherheitsdienste noch etwas intensiver zusammengearbeitet werden. Man kann nicht alles in eine große Datei geben, zu der dann jedermann Zutritt hat. Hier kann man durchaus auch innerhalb der Sicherheitsbehörden mehr Vertrauen zueinander haben. Das muss auch noch etwas ausgelotet werden. Hier wäre es die Aufgabe eines Koordinators, das mit zu verwirklichen.

    Meurer: Welche Möglichkeiten wird dieser Koordinator Ihrer Einschätzung nach haben?

    Frisch: Die Möglichkeiten, hier bestimmte Weisungen zu erteilen, die erachte ich gerade aufgrund der Eigenständigkeit der einzelnen Staaten für äußerst gering. Aber er kann Anregungen geben, er kann dafür sorgen, dass in regelmäßigen, erforderlichen Zeitabständen, die Staaten oder die jeweiligen Sicherheitsbehörden zusammenkommen. Es ist schon möglich, durch Vorschläge ein System zu entwickeln, dass dazu führt, dass man Informationen besser als bisher zusammenbringt.