Christiane Kaess: Die neuen Bundesländer haben beim wirtschaftlichen Wachstum offenbar deutlich aufgeholt, so meldete das Institut der Deutschen Wirtschaft gestern, mit einem Anstieg des Bruttoinlandproduktes in Ostdeutschland um 2,4 Prozent im Gegensatz zu 2,1 Prozent in den alten Bundesländern. Dennoch ist die wirtschaftliche Bilanz, die der für die neuen Länder zuständige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee in der vergangenen Woche zog, gemischt. Die Wirtschaft im Osten zeige immer noch Nachteile, die einen selbst tragenden Aufschwung verhinderten, so heißt es.
Am Telefon ist Rüdiger Pohl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Halle-Wittenberg und ehemaliger Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Guten Morgen!
Rüdiger Pohl: Guten Morgen Frau Kaess!
Kaess: Herr Pohl, es wird viel über die wirtschaftlichen Fehlentscheidungen bei und nach der Wiedervereinigung diskutiert. Wo lagen denn Ihrer Meinung nach die Hauptfehler?
Pohl: Also zunächst mal muss man sagen, ist es eine schwierige Aufgabe gewesen, in einer Region, die völlig zusammengebrochen ist, eine Wirtschaft aufzubauen. Es ist ja so gewesen, dass das, was man in Ostdeutschland verbrauchen will, man auch spielend hätte im Ausland oder in Westdeutschland produzieren können. Also es war sozusagen ein Aufbau gegen den Wind, und ich glaube, das Hauptproblem für den Osten ist, er ist in eine schlechte Phase geraten. Wissen Sie, wenn heute ein Unternehmer über Investitionen nachdenkt, dann denkt er weniger an Chemnitz oder Castrop-Rauxel, mehr an China oder Indien. Das heißt, die dynamischen Schwerpunkte liegen heute in der Welt nicht mehr in Europa.
Kaess: Man hatte auch damals falsche Erwartungen und dachte, man könne die Wiedervereinigung durch ein Wirtschaftswachstum finanzieren, das aber dann nicht kam. Würde die Situation denn heute anders aussehen, hätten wir dieses Wachstum gehabt, oder wäre es selbst dann wirtschaftlich sehr schwierig geworden?
Pohl: Na ja, also mehr Wachstum wäre natürlich sehr gut gewesen, bloß dann ist die Frage, was ist die Voraussetzung? Und da sehen Sie, da mangelt es uns eben an Investitionen. Wir haben in Ostdeutschland immer noch eine Investitionsschwäche, das heißt, die Unternehmen, die am Markt sind, insbesondere in der Industrie, sind durchaus dynamisch, aber es sind zuwenig. Also man bräuchte mehr Investitionen. Das gilt aber für Westdeutschland auch. Und was wir in den letzten 15 Jahren, 16 Jahren erlebt haben, ist, dass die Investitionsquote in Deutschland runter gegangen ist und die Sozialleistungsquote hoch gegangen ist, und das ist natürlich eine falsche Entwicklung. Also im Grunde genommen lautet die Frage, wie kriegen wir in Deutschland und damit auch in Ostdeutschland mehr Investitionen hin?
Kaess: Sie haben sich ja immer wieder dafür ausgesprochen, dass man die Wirtschaft im Osten nicht losgelöst von der im Westen sehen kann. Profitiert denn Ostdeutschland auch von den etwas besseren Gesamtwirtschaftszahlen derzeit?
Pohl: Also ich denke, man muss die Konjunktur in einem Jahr, sie geht mal hoch, mal runter, das ist nicht so sehr das Wichtige, sondern wichtig ist der mittlere Trend, und da muss man sagen, wir haben eben in den letzten fünf, sechs Jahren in Westdeutschland unter einem Prozent gehabt, in Ostdeutschland etwas über einen Prozent, Sie sehen, etwas schneller als im Westen, aber das ist ein Aufholprozess im Schleichgang, und ich denke, bei den niedrigen Wachstumsraten werden wir auf Dauer einen wirtschaftlichen Leistungsrückstand haben mit allen Problemen, die damit verbunden sind.
Kaess: Sie haben die Investitionen angesprochen. Ein Problem ist zum Beispiel auch, dass viele Unternehmen ihren Hauptsitz nicht in Ostdeutschland haben. Warum ist das so trotz zum Beispiel niedriger Lohnkosten in Thüringen? Da müsste man doch davon ausgehen, das Bundesland wäre für Unternehmen attraktiv.
Pohl: Ja, das ist auch so. Ich meine, es gibt ja auch eine Reihe von Unternehmen, die dort hingegangen sind. Da spielen nicht nur die Löhne eine Rolle, da spielt die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, von Know-how eine Rolle. Aber es ist heute so, wenn Sie in die Zeitung gucken oder Rundfunk hören, dann sehen Sie, bei BenQ wird abgebaut, Allianz baut ab, das heißt, der Trend geht zur Verlagerung ins Ausland und nicht zur Verlagerung innerhalb von Deutschland, und das ist ein Riesenproblem. Solange wir nicht im internationalen Wettbewerb unsere Standortqualitäten verbessern, wird dieses Problem uns weiter beschäftigen.
Kaess: Und wie sollten diese Standortqualitäten verbessert werden?
Pohl: Ja, wissen Sie, da gibt es eigentlich eine lange Diskussion drüber. Natürlich brauchen wir niedrigere Unternehmenssteuern, natürlich brauchen wir einen viel flexibleren Arbeitsmarkt, natürlich müssen wir die Umverteilung einschränken, wir müssen dynamische Märkte schaffen, beispielsweise im Gesundheitswesen, also alles das, was als Reformpolitik diskutiert wird und was beispielsweise ja auch mit der Agenda 2010 mal angefangen hat, das muss weitergehen, und wenn wir das dynamisch machen, denke ich, werden wir auch gute Zukunftsaussichten haben. Bloß im Moment haben wir den Gipfel des Berges noch nicht überwunden.
Kaess: Wenn wir mal davon ausgehen, dass Deutschland wettbewerbsfähiger werden würde, so wie Sie das vorschlagen, und damit tatsächlich einen wirtschaftlichen Aufschwung auslösen würde, würde sich dann die Schere zwischen Ost und West auch schließen, oder wird es da in absehbarer Zeit bei einem Ungleichgewicht bleiben?
Pohl: Also es wird bei einem Ungleichgewicht bleiben. Schauen Sie, wir haben heute eine wirtschaftliche Leistungskraft in Ostdeutschland, die liegt bei 70 Prozent des westdeutschen Niveaus. Das waren vor fünf Jahren mal 65 Prozent. Also Sie sehen, es ist ein leichter Aufschwungprozess, ein Aufholprozess. Bloß wenn es in dem Tempo weitergeht, braucht man noch, weiß ich was, 40 Jahre. Also es wird schon weitergehen, nur, wir sollten uns auch nicht reich rechnen, wir kriegen natürlich keine Wachstumsraten mehr hin wie am Anfang der 90er Jahre, also insofern bleibt es ein schwieriger Kurs, und man muss sich darauf einstellen. Das heißt zum Beispiel auch für die öffentlichen Haushalte, dass die Finanzen knapp bleiben, dass man die Haushalte konsolidieren muss, hier sind noch Riesenaufgaben zu erledigen.
Kaess: Es geht ja nicht allen Regionen im Osten Deutschlands schlecht, zum Beispiel der Raum Dresden boomt geradezu. Was wurde denn dort anders beziehungsweise richtig gemacht?
Pohl: Es ist ja ganz natürlich, dass sich wirtschaftliche Aktivitäten nicht gleichmäßig über die Region verteilen. Also wenn Unternehmen sich ansiedeln, gehen sie dahin, wo schon was ist, wo Hochschulen sind, wo eine gute Infrastruktur ist, und das ist in den städtischen Bereichen natürlich eher der Fall als in den ländlichen Bereichen, und dann ist natürlich die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern, also mit Gesundheitsleistungen und ähnlichem, in den Städten besser, das heißt, die Städte sind ganz natürliche Wachstumszentren, und das haben wir ja hier im Osten auch gesehen. Es gibt zwar eine Abwanderung nach Westdeutschland, aber es gibt auch eine Wanderung innerhalb von Ostdeutschland aus den ländlichen, peripheren Räumen in die Wachstumszentren, und insofern hat man dieses Ungleichgewicht, was man übrigens ja aber auch in Westdeutschland hat. Dort ist ja auch nicht in allen Regionen die Wirtschaftsleistung gleich.
Kaess: Stehen denn die wirtschaftlichen Erfolge im Osten im Verhältnis zu den mehr als 250 Milliarden Euro, die durch Transferzahlungen von West nach Ost gegangen sind?
Pohl: Also es waren noch viel mehr Transferzahlungen. Aber Sie müssen zwei Sachen auseinander halten: Zum einen haben diese Transferzahlungen eine Altlastensanierung bedeutet. Die DDR war zusammengebrochen, sie hat nichts hinterlassen an Infrastruktur, an Wohnungseigentum, was auf dem Stand der Zeit war, also hier war sozusagen Geld für die Sanierung zu erledigen. Der zweite Punkt ist, dass man in die Investitionen finanziert hat, und ich möchte daran erinnern, dass wir eine sehr erfolgreiche ostdeutsche Industrie haben, die sich sehr gut an den Weltmärkten orientiert, die hohe Wachstumsraten hat, hier sehen Sie die Erfolge, und die dritte Komponente ist, dass ein Teil dieser Transferzahlungen einfach auch eine soziale Dimension hat, denn die Leute, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, die in eine schwierige Situation gekommen sind, werden natürlich auch von diesen Transferzahlungen finanziert, und solche konsumtiven Transferzahlungen sind natürlich kein Wachstumsprogramm, aber sie sind sozial einfach unvermeidlich.
Kaess: Inwieweit können Sie nachvollziehen, dass Transferzahlungen und der Länderfinanzausgleich, bei dem die neuen Bundesländer auch einen beträchtlichen Teil bekommen, dass das in manchen alten Bundesländern kritisiert wird beziehungsweise manche diesen Beitrag schon gar nicht mehr leisten wollen, weil sie selbst so große Haushaltsprobleme haben?
Pohl: Das ist, glaube ich, jetzt eine Kernfrage, die sich auch in Zukunft stärker stellt, wie wollen wir Deutschland betrachten, wollen wir Deutschland betrachten als eine Ansammlung von 16 Bundesländern, wo praktisch jeder für sich macht und sozusagen Ausgleichszahlungen über die Landesgrenzen klein geschrieben werden, das ist natürlich die Idee, die Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gerne haben, oder wollen wir die Bundesrepublik als ein gemeinsames Land ansehen, wo wir auch regionalen Ausgleich machen? Das ist eine politische Wertaussage. Ich bin für das Zweite, denn ich muss Ihnen auch sagen, die Länder, die heute Zahler sind, was passiert denn, wenn sie die Zahlung einstellen? Dann werden die Leute aus den schwachen Regionen in diese Länder wandern und sind dann wieder da und müssen finanziert werden, also man gewinnt da nicht. Ich denke, wir sollten Deutschland als ein Gesamtwerk ansehen, und das heißt, dass wir auch regionale Unterschiede bis zu einem gewissen Grade ausgleichen.
Kaess: Im Jahr 2019 sollen die Transferzahlungen eingestellt werden. Können denn die neuen Länder bis dahin wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen?
Pohl: Also ich bin da sehr skeptisch, muss ich sagen, und man hat jetzt ja schon ab 2009 eine Reduktion der Leistungen im Rahmen des Solidarpakts II, das wird die ostdeutschen Länder schon schwer belasten, und ich denke, es ist natürlich noch nicht der Zeitpunkt, über die Zeit nach 2019 zu sprechen, aber nach allem, was man an Trends sich vorstellen kann, wird nach wie vor ein Riesengefälle da bleiben. Ich möchte noch mal daran erinnern, das haben wir im Westen auch, Rheinland-Pfalz hat immer noch eine Wirtschaftsleistung, die liegt bei 75 Prozent von Hessen, also solche Unterschiede können offenbar sehr lange anhalten. Und deswegen ist dieser Zeitpunkt, 2019 Auslaufen des Solidarpakts, ein großes Problem, denke ich.
Kaess: Wie beurteilen Sie die Politik von Wolfgang Tiefensee, in Ostdeutschland vor allem Wachstumskerne zu fördern?
Pohl: Ja, also das klingt zunächst mal gut, aber man muss natürlich aufpassen. Wenn damit gemeint ist, dass jetzt der Staat entscheidet, in welchen Regionen welche Branchen gefördert werden, dann kann ich nur sagen, die Plankommission lässt grüßen, so was ist ja schon mal schief gegangen. Also mit anderen Worten ist doch ganz klar, dass der Staat nur fördern kann, wenn Unternehmen irgendwo hingehen, und Unternehmen gehen natürlich in die Wachstumszentren, insofern ist das naturgemäß eine Förderung von Wachstumskernen, und wir sollten bloß davon Abstand nehmen, dass der Staat jetzt etwa entscheidet, die Branche fördere ich, jene Branche fördere ich nicht, oder wenn ein Unternehmen, was nicht zu meinem Wachstumskernkonzept gehört, sich dort ansiedeln will, wird es abgewiesen, das wird es alles nicht geben.
Kaess: Rüdiger Pohl war das, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg zur wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland. Vielen Dank.
Pohl: Bitteschön.
Am Telefon ist Rüdiger Pohl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Halle-Wittenberg und ehemaliger Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Guten Morgen!
Rüdiger Pohl: Guten Morgen Frau Kaess!
Kaess: Herr Pohl, es wird viel über die wirtschaftlichen Fehlentscheidungen bei und nach der Wiedervereinigung diskutiert. Wo lagen denn Ihrer Meinung nach die Hauptfehler?
Pohl: Also zunächst mal muss man sagen, ist es eine schwierige Aufgabe gewesen, in einer Region, die völlig zusammengebrochen ist, eine Wirtschaft aufzubauen. Es ist ja so gewesen, dass das, was man in Ostdeutschland verbrauchen will, man auch spielend hätte im Ausland oder in Westdeutschland produzieren können. Also es war sozusagen ein Aufbau gegen den Wind, und ich glaube, das Hauptproblem für den Osten ist, er ist in eine schlechte Phase geraten. Wissen Sie, wenn heute ein Unternehmer über Investitionen nachdenkt, dann denkt er weniger an Chemnitz oder Castrop-Rauxel, mehr an China oder Indien. Das heißt, die dynamischen Schwerpunkte liegen heute in der Welt nicht mehr in Europa.
Kaess: Man hatte auch damals falsche Erwartungen und dachte, man könne die Wiedervereinigung durch ein Wirtschaftswachstum finanzieren, das aber dann nicht kam. Würde die Situation denn heute anders aussehen, hätten wir dieses Wachstum gehabt, oder wäre es selbst dann wirtschaftlich sehr schwierig geworden?
Pohl: Na ja, also mehr Wachstum wäre natürlich sehr gut gewesen, bloß dann ist die Frage, was ist die Voraussetzung? Und da sehen Sie, da mangelt es uns eben an Investitionen. Wir haben in Ostdeutschland immer noch eine Investitionsschwäche, das heißt, die Unternehmen, die am Markt sind, insbesondere in der Industrie, sind durchaus dynamisch, aber es sind zuwenig. Also man bräuchte mehr Investitionen. Das gilt aber für Westdeutschland auch. Und was wir in den letzten 15 Jahren, 16 Jahren erlebt haben, ist, dass die Investitionsquote in Deutschland runter gegangen ist und die Sozialleistungsquote hoch gegangen ist, und das ist natürlich eine falsche Entwicklung. Also im Grunde genommen lautet die Frage, wie kriegen wir in Deutschland und damit auch in Ostdeutschland mehr Investitionen hin?
Kaess: Sie haben sich ja immer wieder dafür ausgesprochen, dass man die Wirtschaft im Osten nicht losgelöst von der im Westen sehen kann. Profitiert denn Ostdeutschland auch von den etwas besseren Gesamtwirtschaftszahlen derzeit?
Pohl: Also ich denke, man muss die Konjunktur in einem Jahr, sie geht mal hoch, mal runter, das ist nicht so sehr das Wichtige, sondern wichtig ist der mittlere Trend, und da muss man sagen, wir haben eben in den letzten fünf, sechs Jahren in Westdeutschland unter einem Prozent gehabt, in Ostdeutschland etwas über einen Prozent, Sie sehen, etwas schneller als im Westen, aber das ist ein Aufholprozess im Schleichgang, und ich denke, bei den niedrigen Wachstumsraten werden wir auf Dauer einen wirtschaftlichen Leistungsrückstand haben mit allen Problemen, die damit verbunden sind.
Kaess: Sie haben die Investitionen angesprochen. Ein Problem ist zum Beispiel auch, dass viele Unternehmen ihren Hauptsitz nicht in Ostdeutschland haben. Warum ist das so trotz zum Beispiel niedriger Lohnkosten in Thüringen? Da müsste man doch davon ausgehen, das Bundesland wäre für Unternehmen attraktiv.
Pohl: Ja, das ist auch so. Ich meine, es gibt ja auch eine Reihe von Unternehmen, die dort hingegangen sind. Da spielen nicht nur die Löhne eine Rolle, da spielt die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, von Know-how eine Rolle. Aber es ist heute so, wenn Sie in die Zeitung gucken oder Rundfunk hören, dann sehen Sie, bei BenQ wird abgebaut, Allianz baut ab, das heißt, der Trend geht zur Verlagerung ins Ausland und nicht zur Verlagerung innerhalb von Deutschland, und das ist ein Riesenproblem. Solange wir nicht im internationalen Wettbewerb unsere Standortqualitäten verbessern, wird dieses Problem uns weiter beschäftigen.
Kaess: Und wie sollten diese Standortqualitäten verbessert werden?
Pohl: Ja, wissen Sie, da gibt es eigentlich eine lange Diskussion drüber. Natürlich brauchen wir niedrigere Unternehmenssteuern, natürlich brauchen wir einen viel flexibleren Arbeitsmarkt, natürlich müssen wir die Umverteilung einschränken, wir müssen dynamische Märkte schaffen, beispielsweise im Gesundheitswesen, also alles das, was als Reformpolitik diskutiert wird und was beispielsweise ja auch mit der Agenda 2010 mal angefangen hat, das muss weitergehen, und wenn wir das dynamisch machen, denke ich, werden wir auch gute Zukunftsaussichten haben. Bloß im Moment haben wir den Gipfel des Berges noch nicht überwunden.
Kaess: Wenn wir mal davon ausgehen, dass Deutschland wettbewerbsfähiger werden würde, so wie Sie das vorschlagen, und damit tatsächlich einen wirtschaftlichen Aufschwung auslösen würde, würde sich dann die Schere zwischen Ost und West auch schließen, oder wird es da in absehbarer Zeit bei einem Ungleichgewicht bleiben?
Pohl: Also es wird bei einem Ungleichgewicht bleiben. Schauen Sie, wir haben heute eine wirtschaftliche Leistungskraft in Ostdeutschland, die liegt bei 70 Prozent des westdeutschen Niveaus. Das waren vor fünf Jahren mal 65 Prozent. Also Sie sehen, es ist ein leichter Aufschwungprozess, ein Aufholprozess. Bloß wenn es in dem Tempo weitergeht, braucht man noch, weiß ich was, 40 Jahre. Also es wird schon weitergehen, nur, wir sollten uns auch nicht reich rechnen, wir kriegen natürlich keine Wachstumsraten mehr hin wie am Anfang der 90er Jahre, also insofern bleibt es ein schwieriger Kurs, und man muss sich darauf einstellen. Das heißt zum Beispiel auch für die öffentlichen Haushalte, dass die Finanzen knapp bleiben, dass man die Haushalte konsolidieren muss, hier sind noch Riesenaufgaben zu erledigen.
Kaess: Es geht ja nicht allen Regionen im Osten Deutschlands schlecht, zum Beispiel der Raum Dresden boomt geradezu. Was wurde denn dort anders beziehungsweise richtig gemacht?
Pohl: Es ist ja ganz natürlich, dass sich wirtschaftliche Aktivitäten nicht gleichmäßig über die Region verteilen. Also wenn Unternehmen sich ansiedeln, gehen sie dahin, wo schon was ist, wo Hochschulen sind, wo eine gute Infrastruktur ist, und das ist in den städtischen Bereichen natürlich eher der Fall als in den ländlichen Bereichen, und dann ist natürlich die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern, also mit Gesundheitsleistungen und ähnlichem, in den Städten besser, das heißt, die Städte sind ganz natürliche Wachstumszentren, und das haben wir ja hier im Osten auch gesehen. Es gibt zwar eine Abwanderung nach Westdeutschland, aber es gibt auch eine Wanderung innerhalb von Ostdeutschland aus den ländlichen, peripheren Räumen in die Wachstumszentren, und insofern hat man dieses Ungleichgewicht, was man übrigens ja aber auch in Westdeutschland hat. Dort ist ja auch nicht in allen Regionen die Wirtschaftsleistung gleich.
Kaess: Stehen denn die wirtschaftlichen Erfolge im Osten im Verhältnis zu den mehr als 250 Milliarden Euro, die durch Transferzahlungen von West nach Ost gegangen sind?
Pohl: Also es waren noch viel mehr Transferzahlungen. Aber Sie müssen zwei Sachen auseinander halten: Zum einen haben diese Transferzahlungen eine Altlastensanierung bedeutet. Die DDR war zusammengebrochen, sie hat nichts hinterlassen an Infrastruktur, an Wohnungseigentum, was auf dem Stand der Zeit war, also hier war sozusagen Geld für die Sanierung zu erledigen. Der zweite Punkt ist, dass man in die Investitionen finanziert hat, und ich möchte daran erinnern, dass wir eine sehr erfolgreiche ostdeutsche Industrie haben, die sich sehr gut an den Weltmärkten orientiert, die hohe Wachstumsraten hat, hier sehen Sie die Erfolge, und die dritte Komponente ist, dass ein Teil dieser Transferzahlungen einfach auch eine soziale Dimension hat, denn die Leute, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, die in eine schwierige Situation gekommen sind, werden natürlich auch von diesen Transferzahlungen finanziert, und solche konsumtiven Transferzahlungen sind natürlich kein Wachstumsprogramm, aber sie sind sozial einfach unvermeidlich.
Kaess: Inwieweit können Sie nachvollziehen, dass Transferzahlungen und der Länderfinanzausgleich, bei dem die neuen Bundesländer auch einen beträchtlichen Teil bekommen, dass das in manchen alten Bundesländern kritisiert wird beziehungsweise manche diesen Beitrag schon gar nicht mehr leisten wollen, weil sie selbst so große Haushaltsprobleme haben?
Pohl: Das ist, glaube ich, jetzt eine Kernfrage, die sich auch in Zukunft stärker stellt, wie wollen wir Deutschland betrachten, wollen wir Deutschland betrachten als eine Ansammlung von 16 Bundesländern, wo praktisch jeder für sich macht und sozusagen Ausgleichszahlungen über die Landesgrenzen klein geschrieben werden, das ist natürlich die Idee, die Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gerne haben, oder wollen wir die Bundesrepublik als ein gemeinsames Land ansehen, wo wir auch regionalen Ausgleich machen? Das ist eine politische Wertaussage. Ich bin für das Zweite, denn ich muss Ihnen auch sagen, die Länder, die heute Zahler sind, was passiert denn, wenn sie die Zahlung einstellen? Dann werden die Leute aus den schwachen Regionen in diese Länder wandern und sind dann wieder da und müssen finanziert werden, also man gewinnt da nicht. Ich denke, wir sollten Deutschland als ein Gesamtwerk ansehen, und das heißt, dass wir auch regionale Unterschiede bis zu einem gewissen Grade ausgleichen.
Kaess: Im Jahr 2019 sollen die Transferzahlungen eingestellt werden. Können denn die neuen Länder bis dahin wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen?
Pohl: Also ich bin da sehr skeptisch, muss ich sagen, und man hat jetzt ja schon ab 2009 eine Reduktion der Leistungen im Rahmen des Solidarpakts II, das wird die ostdeutschen Länder schon schwer belasten, und ich denke, es ist natürlich noch nicht der Zeitpunkt, über die Zeit nach 2019 zu sprechen, aber nach allem, was man an Trends sich vorstellen kann, wird nach wie vor ein Riesengefälle da bleiben. Ich möchte noch mal daran erinnern, das haben wir im Westen auch, Rheinland-Pfalz hat immer noch eine Wirtschaftsleistung, die liegt bei 75 Prozent von Hessen, also solche Unterschiede können offenbar sehr lange anhalten. Und deswegen ist dieser Zeitpunkt, 2019 Auslaufen des Solidarpakts, ein großes Problem, denke ich.
Kaess: Wie beurteilen Sie die Politik von Wolfgang Tiefensee, in Ostdeutschland vor allem Wachstumskerne zu fördern?
Pohl: Ja, also das klingt zunächst mal gut, aber man muss natürlich aufpassen. Wenn damit gemeint ist, dass jetzt der Staat entscheidet, in welchen Regionen welche Branchen gefördert werden, dann kann ich nur sagen, die Plankommission lässt grüßen, so was ist ja schon mal schief gegangen. Also mit anderen Worten ist doch ganz klar, dass der Staat nur fördern kann, wenn Unternehmen irgendwo hingehen, und Unternehmen gehen natürlich in die Wachstumszentren, insofern ist das naturgemäß eine Förderung von Wachstumskernen, und wir sollten bloß davon Abstand nehmen, dass der Staat jetzt etwa entscheidet, die Branche fördere ich, jene Branche fördere ich nicht, oder wenn ein Unternehmen, was nicht zu meinem Wachstumskernkonzept gehört, sich dort ansiedeln will, wird es abgewiesen, das wird es alles nicht geben.
Kaess: Rüdiger Pohl war das, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg zur wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland. Vielen Dank.
Pohl: Bitteschön.