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Aufklärung in Eigenregie

In Tschechien forderte eine konservative Elterninitiative so vehement das Aus für den Aufklärungsunterricht an Schulen, dass der tschechische Schulminister ihn streichen will. Aus Protest dagegen bieten tschechische Jugendliche Sexualkunde jetzt in Eigenregie an.

Von Stefan Heinlein |
    Wie schützt man sich vor Aids? Fröhlich diskutieren die Schüler über Kondome und Schwangerschaftsverhütung. Am Nachmittag sind etwa 50 Jugendliche in die Aula ihrer Schule gekommen. Sie sind freiwillig hier, um mit Felix zu reden. Der 18-jährige Abiturient leitet das zweistündige Aufklärungsseminar:

    "Es ist nicht gut, dass sexuelle Erziehung an unseren Schulen nicht mehr Pflichtfach sein soll. Wir haben uns deshalb entschlossen, die Sache in die eigene Hand zu nehmen. Unsere Seminare finden unsere Mitschüler ganz toll. Es ist viel einfacher mit Altersgenossen ganz offen über Sex zu reden."

    Drei Tage lang wurde Felix von der tschechischen Pro-Familia-Organisation geschult. Sein Wissen geben er und rund 150 weitere Schüler nun an ihre Altersgenossen weiter. Eine Reaktion auf den politischen Vorstoß einer ultrakonservativen Elterninitiative. Das "Komitee für die Verteidigung der Elternrechte" fordert das Aus für den Aufklärungsunterricht an den Schulen:

    "Wir haben eine Petition an das Schulministerium überreicht"" – erklärt die Vorsitzende Anna Brychtova. ""Mehr als 40.000 Eltern haben unterschrieben. Die Schule soll nicht in das Intimleben unserer Kinder eingreifen. Nur die Eltern haben das Recht mit ihren Kindern über Sex zu reden."
    Der Wunsch der Eltern fällt bei Schulministern Dobes auf fruchtbaren Boden. Der konservative Politiker hat einen Brief an alle Schuldirektoren gesandt.

    "Wir müssen die Wünsche der Eltern respektieren. Wir werden deshalb unsere Lehrpläne verändern. Die sexuelle Aufklärung wird künftig kein Pflichtfach mehr sein, sondern ein freiwilliges Angebot im Rahmen des Ethikunterrichtes."

    Die prompte Reaktion des Ministers sorgt für Empörung bei vielen Eltern und Schülern. Es könne nicht sein das der Wunsch einer kleinen konservativen Minderheit die Änderung der Lehrpläne diktiere. Felix und seine Mitstreiter wollen deshalb weiter machen mit ihren Aufklärungsseminaren:

    "Es wäre prima, wenn die Aufklärung innerhalb der Familien funktionieren würde. Das ist aber nicht der Fall. Nur in jeder zehnten Familie wird offen über Sex oder Verhütung geredet."

    An vielen Schulen werden deshalb die freiwilligen Schülerseminare auch von den Direktoren unterstützt. Manche Lehrer stellen ihre Unterrichtsstunden zur Verfügung. Die gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der sexuellen Erziehung hat in Tschechien gerade erst begonnen.