Friedbert Meurer: In Deutschland gibt es ein Wachstumswunder. Mit diesen Worten hat gestern Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle die augenblickliche Entwicklung kommentiert. Im laufenden Jahr wird die Wirtschaft nach der Prognose der Bundesregierung um fast dreieinhalb Prozent wachsen – eine Quote, die seit der Wiedervereinigung nicht mehr erreicht worden ist. Damit verzeichnet die Bundesrepublik, wenn es denn so kommt, das kräftigste Wachstum von allen westlichen Industrieländern überhaupt. – Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern Abend Lüder Gerken gefragt, den Direktor des Zentrums für europäische Politik in Freiburg: Was machen wir so viel besser als unsere Nachbarn?
Lüder Gerken: Wir sind zum einen ein Land, das in den letzten Jahren - auch schon vor der Finanzkrise - sehr zurückhaltend war bei der Lohnentwicklung. Dadurch gab es Kostenvorteile der deutschen Wirtschaft, und die tragen auch weiter nach der Krise. Dann sind wir – das ist allgemein bekannt – ein sehr stark exportorientiertes Land. Unsere Exportquote ist fast doppelt so hoch wie die von Frankreich, Italien und Großbritannien. Und indem jetzt weltweit die Konjunktur anzieht, profitiert auch der Exportsektor deutlich von dem Konjunkturanziehen. Und wir haben diesmal auch eine sehr gut tragende Binnenkonjunktur. Also im Konsumbereich läuft es auch gut.
Zagatta: Was den Export angeht, da gibt es aber auch durchaus einen kritischen Blick auf Deutschland. Die französische Regierung hat in der Vergangenheit ja schon kritisiert, Deutschland sei auf Kosten von anderen EU-Staaten so erfolgreich, weil man den Export derart in den Vordergrund stelle. Ist da etwas dran?
Zagatta: Das Argument, als solches ist völlig falsch. Wir haben ja keine Planwirtschaft, in der die Bundesregierung oder die Bundespolitik sagt, wir streben jetzt mal eine Maximierung der Exportüberschüsse an. Das ist blanker Unsinn. Diese Exportüberschüsse haben dazu geführt, dass die deutschen Unternehmen mehr eingenommen haben, als sie ausgegeben haben. Also wir hatten hier auch in dem Zusammenhang sehr viele Einnahmeüberschüsse in Deutschland. Das Problem liegt nun darin, dass diese Einnahmeüberschüsse von den Unternehmen bei den Banken angelegt wurden und die Banken mit dem Geld irgendwo hin mussten, weil sie ja auch Zinsen erzielen wollten, weil das ihre Aufgabe ist. Gleichzeitig hat es in den Ländern mit Importüberschüssen, zum Beispiel Griechenland, aber auch Spanien, einen Kapitalbedarf gegeben, weil die Importe gerade auch aus Deutschland ja irgendwie finanziert werden mussten. Das heißt, mit diesen Exportüberschüssen einher gegangen ist eine Kapitalausfuhr in diese Staaten und das ging über viele, viele Jahre. Das heißt, die Schuldenberge dieser Staaten wurden immer größer und damit auch die Probleme dieser Staaten. Frau Lagarde hat jetzt gesagt, statt dass wir unsere Hausaufgaben machen, in Frankreich oder in Griechenland, sollen die Deutschen ihre Exportüberschüsse senken, was als solches ökonomisch widersinnig ist. Aber auch die Deutschen haben damit ein Problem, denn wir haben es ja jetzt gesehen in der Griechenland-Krise: Plötzlich bestand die Gefahr, dass die Deutschen ihre Kredite, die sie nach Griechenland gegeben haben, nicht mehr zurück bekommen.
Zagatta: Wie passt denn eigentlich der Aufschwung in Deutschland, den wir jetzt erlebt haben, zusammen mit dem jahrelangen Klagen der deutschen Wirtschaft, die Arbeitskosten hierzulande, die seien viel zu hoch? Das muss man nicht so ernst nehmen?
Gerken: Ja und nein. Die Arbeitskosten sind immer dann zu hoch, wenn wir Arbeitslosigkeit haben. Arbeitslosigkeit ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeitskosten zumindest in einigen Bereichen zu hoch sind. Das heißt natürlich nicht, dass sie in Relation zu anderen Staaten zu hoch sind. Die Arbeitskosten in Frankreich oder in Italien sind in den letzten Jahren stärker gestiegen als in Deutschland. Das heißt, relativ zu diesen Staaten hat Deutschland niedrige Arbeitskosten. Aber absolut gesehen, wenn man auf den Arbeitsmarkt schaut, kann man sehen, dass die Arbeitskosten in einigen Bereichen, nämlich da, wo Arbeitslosigkeit herrscht, nach wie vor zu hoch sind. In anderen Bereichen, wo Personalknappheit besteht, sind sie zu niedrig.
Zagatta: Und wenn man sich die schwächere Konjunktur in unseren Nachbarländern anschaut und erst recht auf die Krisenländer wie Griechenland oder Irland blickt, wird da die Eurozone zur Gefahr für Deutschland?
Gerken: Sie haben immer dann ein Risiko, wenn Staaten in einer Währungsunion sind, die wirtschaftlich sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Letztlich ist die Währungsunion, die ja 2001 um Griechenland dann noch bereichert wurde, eine solche Union, die politisch gewollt war und die von den wirtschaftlichen Kerndaten der Mitgliedsstaaten eigentlich sehr, sehr heterogen, wenn nicht zu heterogen ist.
Zagatta: Wie beurteilen Sie dann, dass man jetzt doch davon abgerückt ist, den EU-Stabilitätspakt zu verschärfen, so wie das eigentlich geplant war? Sehen Sie das kritisch?
Gerken: Das ist sehr kritisch zu sehen, ja.
Zagatta: Warum?
Gerken: Die hätten dringend einen Mechanismus schaffen müssen, der den Konkurs, die Insolvenz eines Staates glaubwürdig macht. Wir hatten ja früher das sogenannte Bail-out-Verbot in den europäischen Verträgen. Es steht formal heute auch noch drin, aber es wurde ja im Mai gebrochen. Das heißt, dieses Verbot, dass ein Staat dem anderen in der Eurozone helfen darf, ist nicht mehr glaubwürdig. Das wiederum führt dazu, dass Staaten, die auch nicht sehr starke Anstrengungen unternehmen, um ihre Staatsfinanzen zu sanieren, jetzt darauf hoffen können, dass auch in Zukunft die stärkeren Staaten wie Deutschland oder die nordeuropäischen Staaten ihnen unter die Arme greifen, und die Kapitalmärkte werden eben auch nicht daran glauben, dass im Bedarfsfall, im Notfall ein Land wie Griechenland dann doch die Zahlungsunfähigkeit anmelden muss und umschulden muss. Es wäre also dringend notwendig gewesen, hier neue Mechanismen zu etablieren, die diese Glaubwürdigkeit wieder herstellen. Das ist nicht geschehen.
Zagatta: Haben Sie da eine Erklärung, dass ausgerechnet Staaten wie Frankreich - und Deutschland hat ja da jetzt mitgezogen -, dass ausgerechnet solche Staaten dann eine Verschärfung des Stabilitätspakts letztendlich verhindert haben?
Zagatta: Es ist bei Frankreich jahrhundertealte Tradition, dass es einen Vorrang der Politik gibt und Automatismen, wie sie jetzt gefordert worden waren zur Schärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, abgelehnt werden. Die Politik will die Letztkontrolle haben. Das ist eine Tradition in der europäischen Politik. Bei Deutschland muss ich Ihnen ganz offen sagen, gab es hier sehr starke Stimmen, die diesen Automatismus gefordert haben, und ich denke, wieder einmal hat Deutschland im Interesse einer Einigung mit Frankreich, innerhalb der Eurozone insgesamt hier sehr große Bereitschaft gezeigt, einen Kompromiss einzugehen, und damit ein Großteil der eigenen Positionen aufgegeben.
Zagatta: Man könnte auch sagen einknicken?
Gerken: Könnte man auch sagen!
Meurer: Lüder Gerken, der Direktor des Zentrums für europäische Politik in Freiburg, war das im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zaga
Lüder Gerken: Wir sind zum einen ein Land, das in den letzten Jahren - auch schon vor der Finanzkrise - sehr zurückhaltend war bei der Lohnentwicklung. Dadurch gab es Kostenvorteile der deutschen Wirtschaft, und die tragen auch weiter nach der Krise. Dann sind wir – das ist allgemein bekannt – ein sehr stark exportorientiertes Land. Unsere Exportquote ist fast doppelt so hoch wie die von Frankreich, Italien und Großbritannien. Und indem jetzt weltweit die Konjunktur anzieht, profitiert auch der Exportsektor deutlich von dem Konjunkturanziehen. Und wir haben diesmal auch eine sehr gut tragende Binnenkonjunktur. Also im Konsumbereich läuft es auch gut.
Zagatta: Was den Export angeht, da gibt es aber auch durchaus einen kritischen Blick auf Deutschland. Die französische Regierung hat in der Vergangenheit ja schon kritisiert, Deutschland sei auf Kosten von anderen EU-Staaten so erfolgreich, weil man den Export derart in den Vordergrund stelle. Ist da etwas dran?
Zagatta: Das Argument, als solches ist völlig falsch. Wir haben ja keine Planwirtschaft, in der die Bundesregierung oder die Bundespolitik sagt, wir streben jetzt mal eine Maximierung der Exportüberschüsse an. Das ist blanker Unsinn. Diese Exportüberschüsse haben dazu geführt, dass die deutschen Unternehmen mehr eingenommen haben, als sie ausgegeben haben. Also wir hatten hier auch in dem Zusammenhang sehr viele Einnahmeüberschüsse in Deutschland. Das Problem liegt nun darin, dass diese Einnahmeüberschüsse von den Unternehmen bei den Banken angelegt wurden und die Banken mit dem Geld irgendwo hin mussten, weil sie ja auch Zinsen erzielen wollten, weil das ihre Aufgabe ist. Gleichzeitig hat es in den Ländern mit Importüberschüssen, zum Beispiel Griechenland, aber auch Spanien, einen Kapitalbedarf gegeben, weil die Importe gerade auch aus Deutschland ja irgendwie finanziert werden mussten. Das heißt, mit diesen Exportüberschüssen einher gegangen ist eine Kapitalausfuhr in diese Staaten und das ging über viele, viele Jahre. Das heißt, die Schuldenberge dieser Staaten wurden immer größer und damit auch die Probleme dieser Staaten. Frau Lagarde hat jetzt gesagt, statt dass wir unsere Hausaufgaben machen, in Frankreich oder in Griechenland, sollen die Deutschen ihre Exportüberschüsse senken, was als solches ökonomisch widersinnig ist. Aber auch die Deutschen haben damit ein Problem, denn wir haben es ja jetzt gesehen in der Griechenland-Krise: Plötzlich bestand die Gefahr, dass die Deutschen ihre Kredite, die sie nach Griechenland gegeben haben, nicht mehr zurück bekommen.
Zagatta: Wie passt denn eigentlich der Aufschwung in Deutschland, den wir jetzt erlebt haben, zusammen mit dem jahrelangen Klagen der deutschen Wirtschaft, die Arbeitskosten hierzulande, die seien viel zu hoch? Das muss man nicht so ernst nehmen?
Gerken: Ja und nein. Die Arbeitskosten sind immer dann zu hoch, wenn wir Arbeitslosigkeit haben. Arbeitslosigkeit ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeitskosten zumindest in einigen Bereichen zu hoch sind. Das heißt natürlich nicht, dass sie in Relation zu anderen Staaten zu hoch sind. Die Arbeitskosten in Frankreich oder in Italien sind in den letzten Jahren stärker gestiegen als in Deutschland. Das heißt, relativ zu diesen Staaten hat Deutschland niedrige Arbeitskosten. Aber absolut gesehen, wenn man auf den Arbeitsmarkt schaut, kann man sehen, dass die Arbeitskosten in einigen Bereichen, nämlich da, wo Arbeitslosigkeit herrscht, nach wie vor zu hoch sind. In anderen Bereichen, wo Personalknappheit besteht, sind sie zu niedrig.
Zagatta: Und wenn man sich die schwächere Konjunktur in unseren Nachbarländern anschaut und erst recht auf die Krisenländer wie Griechenland oder Irland blickt, wird da die Eurozone zur Gefahr für Deutschland?
Gerken: Sie haben immer dann ein Risiko, wenn Staaten in einer Währungsunion sind, die wirtschaftlich sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Letztlich ist die Währungsunion, die ja 2001 um Griechenland dann noch bereichert wurde, eine solche Union, die politisch gewollt war und die von den wirtschaftlichen Kerndaten der Mitgliedsstaaten eigentlich sehr, sehr heterogen, wenn nicht zu heterogen ist.
Zagatta: Wie beurteilen Sie dann, dass man jetzt doch davon abgerückt ist, den EU-Stabilitätspakt zu verschärfen, so wie das eigentlich geplant war? Sehen Sie das kritisch?
Gerken: Das ist sehr kritisch zu sehen, ja.
Zagatta: Warum?
Gerken: Die hätten dringend einen Mechanismus schaffen müssen, der den Konkurs, die Insolvenz eines Staates glaubwürdig macht. Wir hatten ja früher das sogenannte Bail-out-Verbot in den europäischen Verträgen. Es steht formal heute auch noch drin, aber es wurde ja im Mai gebrochen. Das heißt, dieses Verbot, dass ein Staat dem anderen in der Eurozone helfen darf, ist nicht mehr glaubwürdig. Das wiederum führt dazu, dass Staaten, die auch nicht sehr starke Anstrengungen unternehmen, um ihre Staatsfinanzen zu sanieren, jetzt darauf hoffen können, dass auch in Zukunft die stärkeren Staaten wie Deutschland oder die nordeuropäischen Staaten ihnen unter die Arme greifen, und die Kapitalmärkte werden eben auch nicht daran glauben, dass im Bedarfsfall, im Notfall ein Land wie Griechenland dann doch die Zahlungsunfähigkeit anmelden muss und umschulden muss. Es wäre also dringend notwendig gewesen, hier neue Mechanismen zu etablieren, die diese Glaubwürdigkeit wieder herstellen. Das ist nicht geschehen.
Zagatta: Haben Sie da eine Erklärung, dass ausgerechnet Staaten wie Frankreich - und Deutschland hat ja da jetzt mitgezogen -, dass ausgerechnet solche Staaten dann eine Verschärfung des Stabilitätspakts letztendlich verhindert haben?
Zagatta: Es ist bei Frankreich jahrhundertealte Tradition, dass es einen Vorrang der Politik gibt und Automatismen, wie sie jetzt gefordert worden waren zur Schärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, abgelehnt werden. Die Politik will die Letztkontrolle haben. Das ist eine Tradition in der europäischen Politik. Bei Deutschland muss ich Ihnen ganz offen sagen, gab es hier sehr starke Stimmen, die diesen Automatismus gefordert haben, und ich denke, wieder einmal hat Deutschland im Interesse einer Einigung mit Frankreich, innerhalb der Eurozone insgesamt hier sehr große Bereitschaft gezeigt, einen Kompromiss einzugehen, und damit ein Großteil der eigenen Positionen aufgegeben.
Zagatta: Man könnte auch sagen einknicken?
Gerken: Könnte man auch sagen!
Meurer: Lüder Gerken, der Direktor des Zentrums für europäische Politik in Freiburg, war das im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zaga