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Aufsichtsräte "sollten keine Boni bekommen"

Er sah das Krisenjahr 2009 voraus und machte sich nicht nur dadurch in einigen Zirkeln unbeliebt. Ökonom Norbert Walter liebte es, Recht zu haben - heute dankt er seinen Vorgesetzten für das Ertragen seiner "Kratzbürstigkeit". Auch an seinem letzten Arbeitstag spart er nicht mit Schelte.

    Friedbert Meurer: ... Herr Walter!

    Norbert Walter: Ja, guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Haben Sie Ihren Schreibtisch, alles schon leer geräumt?

    Walter: Jawohl, alles ordentlich. Nicht nur der Schreibtisch leer, das Zimmer ist umgeräumt worden, der Neue muss auch einen neuen Schreibtisch haben.

    Meurer: Sind Sie traurig?

    Walter: Nein, das geht bei mir ja richtig weiter. Meine Töchter konnte ich überreden – das sind beides Ökonomen –, mit mir eine Beratung zu machen, und das sieht alles sehr, sehr gut aus.

    Meurer: Sie verlassen die Deutsche Bank zu einem Zeitpunkt, wo das Ansehen der Banker so tief ist wie niemals in der Geschichte. Bestürzt Sie das?

    Walter: Ja, das stört mich schon, aber das ist halt so. Mein Abschied war lange geplant, ich bin reichlich 65, ich habe zu lange 80 Stunden die Woche gearbeitet und war 250 Nächte nicht im eigenen Bett, das musste in diesem Alter dann dann schon mal sein, dass das zu Ende geht.

    Meurer: Sind die Banker selber dran schuld, dass sie so schlecht im Ansehen stehen?

    Walter: Da gibt es einen ganz, ganz wichtigen Teil, der ist in den Banken selber zu verorten. Da gab es unzureichendes Risikomanagement, da gab es unzureichendes Verständnis für die Hebel, die man in der Hand hatte. Es gab aber natürlich auch sozusagen Einladungen durch allzu reichliche Liquiditätsversorgung, das war Verantwortung der Zentralbanken, vor allem der amerikanischen. Alan Greenspan ist dabei sicherlich ein großer Sünder. Und es gab bei denen, die die Banken beaufsichtigt haben, die sehr viele Informationen hatten, nach meiner Einschätzung eben auch nicht die Erkenntnis und den Willen und die Fähigkeit, das zu kontrollieren. Also da gab es mehrere, die zusammengewirkt haben, die besser hätten sein müssen.

    Meurer: Letzter Arbeitstag für Sie, Herr Walter, heute kann nicht mehr viel passieren, was Sie sagen. Wird Monopoly gespielt in der Bankenwelt auf Kosten der Arbeitnehmer?

    Walter: Ich glaube, dass man das in einigen Bereichen für die Vergangenheit sagen kann. Ich nehme an, dass die Lektion deshalb, weil sie so schmerzhaft war für viele, viel stärker gelernt wurde, auch in den Banken, als das in der öffentlichen Diskussion in diesen Tagen erscheint. Ich glaube nicht, dass business as usual, wie so manchmal behauptet wird, also weitermachen wie bisher, eine realistische Option ist. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen, die Leitenden das tun. Ich glaube auch am Ende nicht, dass die Regulatoren in den USA, in Europa noch einmal so unaufmerksam sind. Wir werden auch einige Regeln ändern, um langfristigere Orientierung, stärkere Kundenorientierung durch die Verantwortlichen in den Finanzhäusern auf den Weg zu bringen, zum Beispiel eben auch durch eine andere Gestaltung der Entlohnungspolitik.

    Meurer: Wer soll das Monster an die Kette legen?

    Walter: Das Vernünftigste wäre, wenn diejenigen, die diese Unternehmen leiten, erkennen, dass ihr eigener Ruf und ihre eigene Zukunft besser gestaltet ist, wenn sie das selbst in die Hand nehmen, wenn sie das glaubwürdig auf den Weg bringen.

    Meurer: Welche Entlohnungspolitik, andere Entlohnungspolitik, Herr Walter, stellen Sie sich vor?

    Walter: Meine Vorstellung ist, dass diejenigen, die in Banken kontrollieren, keinen Bonus bekommen sollten, sondern ein angemessenes Fixgehalt, damit sie gar nicht erst logisch Komplizen derer werden können, die bei solchen Geschäften auch mal über die Stränge schlagen könnten.

    Meurer: Das gilt für welche Banken noch mal?

    Walter: Nein, das gilt für alle Banken. Alle Aufsichtsbehörden in Banken, also diejenigen, die dort Kontrolleure sind, die dort Aufsichtsräte sind, sollten keine Boni bekommen.

    Meurer: Sie reden sich doch noch um Kopf und Kragen am letzten Tag. Abschaffung aller Bankenboni.

    Walter: Das habe ich deutlich schon einige Male gesagt. Der nächste Punkt ist ganz sicherlich, dass wir auch bei den Entlohnungen nicht so kurzfristige Erfolgsergebnisse zur Grundlage von Entlohnung machen sollten für Bonifikationen.

    Meurer: Es heißt aber immer wieder, die ...

    Walter: ... längerfristige, also Dreijahresdurchschnitte. Und ich habe auch das schon eine Weile gesagt: Wir sollten die Auszahlungen für diese Boni verzögern gegenüber der Periode, auf die sie sich beziehen, damit man sicher sein kann, dass das, was da geschehen ist, nicht nur ein, zwei Jahre so war, sondern nachhaltig so bleibt.

    Meurer: Also doch Boni, nur nicht mehr so kurzfristig?

    Walter: Wissen Sie, wenn ich einem Verkäufer keinen Bonus dafür gebe, dass er mehr verkauft, werde ich natürlich seine Leistungswilligkeit nicht in der idealen Weise fördern. Das sollte man tun. Aber wenn man einen Versicherungsvertreter für den Abschluss eines Vertrages belohnt statt für die nachhaltige Aufrechterhaltung dieser Verträge, was die Versicherungen übrigens längst begriffen haben. Dort werden den Vertriebsleuten nicht für abgeschlossene Verträge, sondern nur für abgeschlossene Verträge, die drei Jahre später auch noch weiterlaufen, Boni gezahlt. Das ist eine richtige Methode. Das hilft, dass der Leistungsanreiz da ist, und das sollte so sein, aber dass er auf der anderen Seite eben nicht verzerrt ist und nicht kurzfristig orientiert ist.

    Meurer: Norbert Walter, heute Ihr letzter Arbeitstag. Sie waren Angestellter der Deutschen Bank, sind es noch für 16 Stunden ungefähr. Werden Sie morgen anders reden als heute?

    Walter: Das wissen diejenigen, die lange mit mir arbeiteten, und meine Vorgesetzten auch. Ich habe immer das, was ich dachte, und immer das, was ich empfand, formuliert und öffentlich geäußert. Und ich bin meinen Chefs dankbar, dass sie mich in dieser Kratzbürstigkeit viele Jahrzehnte ertragen haben – übrigens nicht nur in der Deutschen Bank, sondern auch zuvor. Mein Chef, Herbert Giersch als Institutsleiter des Instituts für Weltwirtschaft, musste ebenso unter diesem selbstständigen und, ich hoffe, verantwortungsbewussten Walter gelitten haben.

    Meurer: Norbert Walter, noch Chefvolkswirt der Deutschen Bank, heute den letzten Tag. Herr Walter, ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch fürs neue Jahr, alles Gute für Ihren Ruhestand oder Unruhestand ab morgen! Danke und auf Wiederhören, Herr Walter!

    Walter: Besten Dank!