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Aufstand der Rabenmütter oder: gehts auch ohne Baby-Yoga?

Jutta Hoffritz stellt in ihrem Buch "Aufstand der Rabenmütter" infrage, warum schon Kleinstkinder von ihren Eltern mit Frühförderungsangeboten überfrachtet werden. Früher ging es schließlich auch ohne Baby-Yoga oder Early English, meint Hoffritz und vermutet: der Leistungsdruck vergällt einigen das Kinderkriegen.

Jutta Hoffritz im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Baby-Yoga und Early English, das ist kein Witz, sondern Ernst. Sie warnen vor einer ausufernden Weiterbildungsindustrie für Kinder. Können Sie weitere Beispiele nennen dafür?

    Jutta Hoffritz: Ja. Da gibt es leider allzu viele Beispiele. Ich war selbst erstaunt. Ich bin ja vor drei Jahren Mutter geworden und habe mich dann, weil man ja weiß, dass es zum Beispiel für Kinder Säuglingsschwimmen gibt und solche Dinge, auch mal erkundigt und war völlig geplättet ob der Menge der Angebote. Es gibt eben nicht nur Säuglingsschwimmen; es gibt auch Baby-Massage und Baby-Bachblütentherapien. Es gibt dann neben diesem Early English für die Kinder auch Naturwissenschaftskurse. Es gibt, wie ich jetzt, nachdem ich das Buch fertig geschrieben habe, ...

    Heinemann: Für Vorschulkinder alles?

    Hoffritz: Nicht nur für Vorschulkinder, für Kinder im Krabbelalter. Das Early English beginnt mit drei Monaten. Die Kinder sitzen in der Baby-Trage und hören, wie sich ihre Mutter mit der frühpensionierten Fremdsprachenkorrespondentin unterhält. Da wird gesungen und geschaukelt und da werden auch erste englische Wörter ausgetauscht.

    Heinemann: Welchem Ziel dienen solche Übungen?

    Hoffritz: Nach allem, was ich gehört habe, soll das den Spracherwerb fördern. Parallel zur Muttersprache soll das Kind sich eine Fremdsprache zulegen.

    Heinemann: Wer bringt denn seine Kinder zu solchen Veranstaltungen?

    Hoffritz: Das ist eine gute Frage und nach allem, was ich dann dort erlebt habe - ich habe mich ja dann durchaus auch mal umgeguckt -, sind das leider tendenziell eher die gebildeten Mütter. Es sind Mütter, die selbst vorher an ihrer eigenen Bildung und Berufskarriere gefeilt haben, die dann für das Baby eine Pause machen, die vermutlich verunsichert sind durch die Pisa-Ergebnisse, ihrem Kind sicher den besten Start geben wollen und dann das ganze in meinen Augen doch ziemlich überziehen, indem sie ein Angebot an das andere reihen, also Baby-Massage, Baby-Yoga, Early English und Gebärdensprache für Kinder im Krabbelalter, um den Spracherwerb durch die Gebärdensprache zu erleichtern und die Intelligenz zu steigern. Ehrlich gesagt, man kann sich das alles gar nicht ausdenken, was es auf diesem Markt gibt.

    Heinemann: Was sagt das aus über unseren Umgang mit Kleinkindern?

    Hoffritz: Ich glaube, es gibt da eine ziemliche Entfremdung zum Thema Kind. Das was früher durch Intuition Mütter mit ihren Kindern gemacht haben, wird durch eine institutionalisierte Instruktion ersetzt. Das war so mein Eindruck, und deswegen musste mein Sohn dann am Ende sogar ohne Planschen und Säuglingsschwimmen auskommen. Mein Eindruck ist, wenn man damit einmal anfängt, dann reiht sich ein Kurs an den nächsten, weil man trifft dann ja dort diese ganzen beseelten anderen Mütter, die immer noch von einem anderen Kurs erzählen und meinen, wenn man da nicht wirklich hinterher ist, dass das Kind einfach keine gute Startposition hat. Und der Wettbewerb ist einfach enorm. Nirgendwo wird liebevoller gegurrt und gestrichen als in dem Pekip-Kurs, aber nirgendwo wird gnadenloser verglichen.

    Heinemann: Pekip ist was?

    Hoffritz: Pekip ist auch einer von den Kursen: Prager Eltern-Kind-Programm. Das ist ein Prager Erziehungswissenschaftler gewesen. Koch hieß der. Der hat eben gesagt, dass man sich intensiv mit seinem Kind beschäftigen muss, es anfassen soll, ihm singen, streicheln und sich öffnen, einfach um den guten Kontakt zu dem Kind herzustellen und es zu fördern. So weit, so gut. Man würde meinen, auch früher haben die Mütter schon gewusst, dass es dem Kind gut tut, wenn man singt und es wiegt. Alle haben es getan, jetzt eben unter kostenpflichtiger Anleitung. Wenn man mit seinem Kind zu so einem Kurs hingeht, sind alle unheimlich lieb und nett, aber natürlich gibt es immerzu diese bange Frage: was, deiner dreht sich schon. Viele Kinderärzte haben dann eben diese Mütter in ihren Praxen, die dieses strahlende kleine Baby haben, wo sie sich aber wundern, dass es noch zahnlos lacht und dass es sich noch nicht vom Rücken auf den Bauch dreht und umgekehrt, wo doch die Pekip-Kollegen alle irgendwie schon fleißig zahnen und sich drehen und wer weiß was tun. Na ja, der Wettbewerb beginnt eben dann ziemlich früh.

    Heinemann: Frau Hoffritz, jetzt könnte man sagen, das einfachste Rezept dagegen ist einfach eine große Familie. Wer drei oder vier Kinder erzieht, der hat für so was keine Zeit.

    Hoffritz: Möglicherweise ist es tatsächlich so pragmatisch, wie Sie es gerade ausgedrückt haben. Das lehrt mich zumindest das Gespräch mit einer Cousine, die vier Kinder groß gezogen hat. Neulich, nachdem ich das Buch abgeschlossen habe, habe ich mit ihr telefoniert und mich mit ihr unterhalten. Sie hat diese vier Kinder groß gezogen. Die sind auch alle vier prächtig. Und sie sagte: ach, Baby-Yoga, Early English und Pekip. Und was ist das, Pekip? - Also man kann offenbar auch vier Kinder ohne Pekip groß ziehen.

    Heinemann: Frau Hoffritz, im Vorwort Ihres Buches schreiben Sie, Anlass sei, dass Sie wollten, dass Frauen es ganz entspannt anders machen. Was sollen Frauen anders machen?

    Hoffritz: Wenn man aufwächst als Mädchen und Frau wird, dann hat man vor sich eine Kohorte von anderen Mädchen, von denen viele früher Mutter werden. Jede Frau erlebt es, dass um sie herum andere Frauen Mütter werden, und sie beobachten das natürlich mit Interesse. Ehrlich gesagt ist das oftmals ein bisschen verstörend, denn da sind diese Frauen, mit denen man in die Schule, an die Uni gegangen ist, mit denen man befreundet ist und gearbeitet hat, und das waren früher ganz normale Frauen. Die hatten eine Handtasche und gute Bücher und einen Beruf und man konnte mit ihnen über vielerlei Dinge reden. Kaum werden sie Mütter, haben sie keine Handtaschen mehr, sondern Rucksäcke in Hausbootformat. Darin gibt es für jedes Bedürfnis ein Spezialbehältnis: Klickboxen für Apfelschnitzel, für Feuchttücher (antiallergen), wiederverschließbare Beutel für Windeln vor und nach dem Gebrauch. Die Rucksäcke sind ausklappbar mit Wickelunterlage und auf dem Nachttisch dieser Frauen liegen keine guten Bücher mehr, sondern Stillfibeln, Kochbücher "allergenarmes Kochen für die Allerkleinsten" und dererlei Literatur. Genauso sind dann auch die Gesprächsthemen. Der Gesprächsradius ist plötzlich total eingeschränkt, was ich bei mir selbst erlebt habe. Natürlich interessiert man sich dann plötzlich für Ernährung und Verdauung, wenn das Kind plötzlich diese Drei-Monats-Koliken hat. Aber ehrlich gesagt denke ich, man muss einfach aufpassen, dass man es damit nicht übertreibt. Ich denke, dass das für junge Frauen auch einfach verstörend ist, wie ich gesagt habe, und möglicherweise auch abschreckend. Wir müssen aufpassen, dass Frauen Mütter werden und Mensch bleiben können, dass Mütter werden nicht automatisch zum Muttertier mutieren heißt. Klar: jeder, der darüber nachdenkt, wie gehe ich mit meinem Kind um; ich möchte es so gut wie möglich machen, weil das Kind eben das wichtigste ist. Wenn es Stimmen in der Umgebung gibt, die so vor Fremdbetreuung warnen, und wenn es gleichzeitig so viele Angebote gibt, das Kind zu fördern, dann muss man schon irgendwie ziemlich neben sich stehen und mit ziemlich viel Humor bewaffnet sein, um mal zu sehen, wie skurril diese Situation ist, dass Frauen einerseits so eine Angst vor Fremdbetreuung haben, aber andererseits ihr Kind jeden Tag in eine andere Gruppe karren, wo es dann jeweils für eine Stunde anders frühgefördert wird.

    Heinemann: Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb jüngst, "die Art, wie über die Geburtenrate in Deutschland geredet werde" - vielleicht kann man das erweitern auf die Familienpolitik insgesamt -, "verrate über ein Land mehr als die nackten Zahlen." Welche Aufschlüsse birgt die Familiendebatte in Deutschland?

    Hoffritz: Wenn man sich die Familiendebatte der letzten Jahre anguckt, dann, muss man sagen, wird sie eigentlich immer technischer. Wir reden eigentlich immer häufiger über Rente und sehr wenig über den Spaß, den man mit Kindern hat. Das ist natürlich eine ziemlich traurige Sache. Möglicherweise ist das auch etwas, was den Frauen so ein bisschen das Kinderkriegen vergällt. Wie die Debatte in anderen Ländern ausfällt, weiß ich eigentlich gar nicht so genau, also die politische Debatte. Ganz ökonomiefrei ist sie vermutlich nie.

    Heinemann: Jutta Hoffritz schreibt für die Wochenzeitung "Die Zeit" und in einem Buch den "Aufstand der Rabenmütter" beschrieben. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hoffritz: Auf Wiederhören.