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Aufweichung des Stabilitätspaktes wäre katastrophal

Breker: Die deutschen Exporte haben 2004 trotz des teueren Euro und hoher Ölpreise die Rekordmarke des Vorjahres übertroffen. Beflügelt vom weltwirtschaftlichen Aufschwung legten die Ausfuhren nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes von Anfang der Woche um zehn Prozent zu. Der Ausfuhrüberschuss erreichte einen neuen historischen Höchststand. Die deutsche Industrie bleibt der Wachstumsmotor, auch wenn die Höhe dieses Wachstums Wünsche offen lässt. Optimismus macht sich langsam breit. Am Telefon der scheidende Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski. Herr Rogowski, teilen Sie den Blick nach vorne gerichtet, diesen Optimismus?

    Rogowski: Ja, und zwar erstens weil ich ihn teilen will, das gehört zu meinem Job und zweitens, weil es auch durchaus einige gute Argumente gibt, ihn zu teilen. Wir haben einen Rekord in den Exporten erzielt. Das wird sich in dieser Größenordnung im Wachstum wahrscheinlich nicht fortsetzen, aber ich bin doch optimistisch. Im laufenden Jahr wird der Export weiter anziehen und ich glaube, dass er sich allmählich auch überträgt auf die Binnenkonjunktur. Die Investitionen ziehen etwas an, sie ziehen in Teilbereichen sogar deutlich an und es gibt auch Aussichten dafür, dass der private Konsum in diesem Jahr stärker laufen wird als im vergangenen Jahr. Kritisch bleibt es wahrscheinlich im Baubereich.

    Breker: Wie wichtig ist für diesen Optimismus, dass der Stabilitätspakt des Euros aufgeweicht wird?

    Rogowski: Ich halte das für einen großen Fehler, weil ich glaube, das Grundübel, unter dem wir alle leiden in unserer Republik, sind die hohen Schulden. Und wenn das Aufweichen des Stabilitätspaktes dazu führt, dass die einzelnen Regierungen noch leichter Schulden machen können, als sie das konnten, dann wäre das katastrophal. Ich könnte mir vorstellen, dass man sagt, wir legen nicht mehr nur Wert alleine oder vorwiegend auf die Neuverschuldung, sondern wir schauen auch schärfer auf den Schuldenstand. Das wäre in Ordnung, weil es große Differenzen im Schuldenstand gibt, aber auch wenn man sich das mal anschaut, muss man zu der Erkenntnis kommen: runter mit den Schulden, dadurch runter mit den Zinsen, dadurch mehr Mittel verfügbar machen und die können in die Zukunft investiert werden - Bildung, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung.

    Breker: Kann man denn überhaupt, wie DGB-Chef Sommer es gerne hätte, aus diesem Stabilitätspakt einen Wachstumspakt machen?

    Rogowski: Im Grunde ist es sicherlich richtig zu sagen, es ist ein Stabilitäts- und Wachstumspakt, aber das funktioniert natürlich nur, wenn in guten Zeiten die einzelnen Regierungen und Staaten tatsächlich Geld auf die Seite bringen, das heißt, sparen und Guthaben schaffen und dann in schlechten Zeiten von diesem Guthaben etwas einsetzen können. Und bei uns war es so, dass in den guten, starken Jahren 1999 und 2000 fleißig weiter Schulden gemacht wurden, die Schuldenstände wurden nicht abgebaut und jetzt haben wir das Dilemma. Insofern kann es kurzfristig kein wirklicher Wachstumspakt sein. Es muss ein Konsolidierungspakt sein und wenn konsolidiert ist, dann wird auch wieder gewachsen.

    Breker: Sie haben eingangs die Bauindustrie angesprochen. Es mag ja Zuversicht herrschen, all um all, aber die Schlagzeilen lauten derzeit noch "Kahlschlag der Konzerne". T-mobil, Deutsche Bank und noch andere bauen weiterhin Personal ab. Diese Entwicklung wird sich so schnell nicht umkehren.

    Rogowski: Wir haben ein grundlegendes Problem und an dem nagen wir zur Zeit. Wir sind zwar Exportweltmeister, aber vieles von dem, was wir exportieren, wird gar nicht mehr in Deutschland hergestellt. Wenn Sie einen Golf, einen Standard-Golf, das Auto Golf, voll in Deutschland herstellen würden, würde es fast doppelt so viel kosten, wie es heute kostet und es würde natürlich kein Mensch mehr kaufen. Auch heute schon kaufen viele Bürger ausländische Produkte. Dabei denken sie häufig nicht darüber nach, dass das dann auch entgangene Wertschöpfung in Deutschland ist. Wir müssen wieder dazu kommen, dass in Deutschland mehr Wertschöpfung stattfindet. Und ich glaube, da muss man erstens da ansetzen, wo es darum geht, noch mehr junge Menschen zu einer eigenen Unternehmensgründung zu bewegen, man muss zweitens daran ansetzen, wie kann man Bedingungen schaffen, dass in Deutschland mehr Innovation stattfindet und diese Innovation auch zu Produkten führt in unserem eigenen Land und das dritte ist, wir müssen leider sagen, dass die Lohnstückkosten - ein wichtiger Produktivitätsmaßstab im internationalen Vergleich - in Deutschland sehr hoch sind und die Gewinne in Deutschland - obwohl viele das bezweifeln - im internationalen Vergleich sehr niedrig. Und das führt dazu, dass diejenigen, die nicht ausweichen können ins Ausland entweder pleite gehen, aber auf jeden Fall nicht investieren und diejenigen, die ausweichen können, die investieren in erster Linie im Ausland. Und deshalb müssen wir an den Standortreformen in Deutschland weiter machen und das betrifft die Steuern, das betrifft die Sozialsysteme, das betrifft den Arbeitsmarkt, das betrifft unsere Bildung und so weiter.

    Breker: Sie haben es angesprochen, die Industrie wandert ins Ausland ab, zumindest die, die es können. Eine IFO-Studie dieser Woche hat nun festgestellt, dass die heimische Industrie ihre Investitionen im Ausland verfünffacht hat seit 1989. Damit wurden insgesamt 2,3 Millionen Arbeitsplätze im Ausland geschaffen. Wieso nicht im Inland?

    Rogowski: Diejenigen, die sich das leisten können, investieren schwerpunktmäßig im Ausland, A: weil sie zum Teil investieren müssen, um überhaupt diese Märkte zu erschließen, das muss man ja auch sagen und indem sie diese Märkte erschließen, schaffen sie ja auch zum Teil wenigstens, Exportchancen aus Deutschland heraus. Andere, die sagen, ich kann eine Nur-Produktion in Deutschland mir nicht mehr leisten. Da bin ich nicht wettbewerbsfähig, ich muss wenigstens Teile im Ausland entweder selber produzieren, oder einkaufen. Und wir haben es in Deutschland auf einigen Gebieten mit sehr schwierigen Standortbedingungen zu tun, die uns daran hindern, mehr in Deutschland zu investieren. Und das ist nach wie vor einmal die hohe Inflexibilität des Arbeitsmarktes, es sind die hohen Kosten, Personalnebenkosten, durch unsere Sozialsysteme und es ist die wahnwitzige Bürokratie, die sich durch alles bei uns hindurch zieht: Zuviel Staat, zuwenig Eigeninitiative, zu wenig Freiheit.

    Breker: Also, wir produzieren in manchen Bereichen, simpel gesprochen, das falsche Produkt?

    Rogowski: Wir mögen in manchen Bereichen auch das falsche Produkt produzieren. Fehler machen alle, aber ich sage folgendes: Wenn Sie sich die Patentbilanzen Deutschlands anschauen, dann sind wir immer noch einer der Spitzenreiter. Ich glaube, wir liegen momentan weltweit an zweiter Stelle hinsichtlich der Patente. In Europa sind wir Europameister. Also, wir dürfen uns nicht beklagen über mangelnde Innovationskraft der deutschen Unternehmer.

    Breker: Das Problem ist die Umsetzung in Arbeitsplätze?

    Rogowski: Das Problem ist die Umsetzung in Arbeitsplätze, da haben Sie völlig Recht und zwar in Arbeitsplätze im eigenen Land. Schauen Sie, ich haben vor hin gesagt, das Thema Innovation ist so wichtig, wenn es natürlich bei uns Gesetze gibt, die die Entwicklung der Gentechnik so bremsen, dass die Unternehmen, die das machen wollen, sagen, das mache ich nicht in Deutschland, sondern das mache ich im Ausland, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass Produkte, die mit gentechnisch manipulierten, ich sage jetzt mal Samen zum Beispiel, also Nahrungsmittel, zusammenhängen, dass die eben im Ausland entwickelt und angebaut werden und nicht in Deutschland. Wir müssen uns überlegen, ob wir es uns leisten können, auf Atomenergie, Kernkraft völlig zu verzichten und damit die Forschung auf diesem Gebiet und die Leistung auf diesem Gebiet sich nur noch im Ausland entwickeln zu lassen. Wenn sie die Nano-Technologien nehmen, eine ganz neue Wissenschaft, die wird auch schon wieder von allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Kräften kritisiert. All das führt dazu, dass Innovation entweder gar nicht mehr bei uns stattfindet, sondern im Ausland und die Produktion erst recht.

    Breker: Sie haben eben weitere Reformen angemahnt, auch der Blick auf die politische Landschaft, der sagt eigentlich, danach sieht es nicht aus.

    Rogowski: Ja, ich habe gerade ein Buch geschrieben, weil es mir am Herzen lag, zum Abschied meiner Amtszeit, sozusagen noch einmal zusammenzufassen. Was ich gerne sehen würde und ich bin der festen Überzeugung, wir könnten wieder ein neues Wirtschaftswunder entwickeln in Deutschland, wir könnten wieder nach oben kommen und in die Top-Liga der leistungsfähigsten Länder, aber das geht nur, wenn wir den Reformprozess wirklich fortsetzen. Und es wäre ein Jammer, wenn die nächsten zwei Jahre, weil 2006 die nächste Bundestagswahl droht und weil vorher einige wichtige Landtagswahlen sind, sozusagen man keine Reformen mehr sieht. Wir können es uns nicht leisten, nur das abzuarbeiten, was wir begonnen haben, wir müssen unbedingt auch weiteres anstoßen. Wir müssen mehr tun für Forschung und Entwicklung. Wir brauchen eine Bildungsreform und wir brauchen auch noch mal eine große Steuerreform. Also, es gibt noch viel zu tun. Wir haben keine Zeit, die zu verschenken.

    Breker: Der scheidende Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Michael Rogowski war das.