Archiv


Aus Angst nett zu anderen

Anthropologie. - Egoismus, so eine viel gehörte Klage, sei ein Charakteristikum unserer Zeit. Altruismus indes - selbstloses Handeln - widerspricht geradezu dem Evolutionsgedanken, bei dem sich nur die Anlagen eines einzigen Individuums durchsetzen sollen. Weltweit durchgeführte Spielexperimente zeigen, warum Altruismus dennoch lohnend sein kann.

Von Gabor Paal |
    Das erste Spiel geht so: Es gibt zwei Spieler, die sich nicht kennen und einen Spielleiter. Gespielt wird mit echtem Geld, betont der Anthropologe Joseph Henrich von der Emory University in Atlanta:

    "Der Spielleiter gibt dem ersten Spieler einen bestimmten Geldbetrag – der etwa einem Tageslohn entspricht. Der Spieler soll diesen Betrag nun nach eigenem Ermessen mit dem zweiten Spieler teilen. Er bietet ihm also einen Teil an. Der zweite Spieler kann sich nun entscheiden: Akzeptiert er die Aufteilung, können beide Spieler ihr Geld behalten. Akzeptiert Spieler 2 aber den Betrag nicht, müssen beide Spieler das Geld wieder abgeben, stehen also am mit leeren Händen da. "

    Würde der zweite Spieler sich streng rational verhalten und nur auf seinen eigenen Vorteil achten, würde er jeden auch noch so geringen Betrag akzeptieren, denn es wäre immer noch besser als nichts. Doch fast immer gibt es eine Art Anstandsgrenze: Wenn Spieler 2 das Angebot zu unfair findet, lehnt er es ab, aus Prinzip. Er bestraft auf diese Weise seinen Mitspieler, auch wenn er dadurch selbst einen Verlust in Kauf nimmt. Dieses Spiel wurde bisher immer nur mit amerikanischen Studenten durchgeführt. Joseph Henrich hat nun zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern das gleiche Spiel bei 15 verschiedenen indigenen Völkern in der ganzen Welt gespielt. Von den Hadza in Tansania bis Yasawa auf den Fiji Inseln:

    "Zunächst war es überall so: Je ungerechter Spieler 1 den Betrag aufgeteilt hat, also je weniger er dem zweiten Spieler angeboten hat, desto eher war Spieler 2 bereit, ihn dafür zu bestrafen. Aber es gab deutliche Unterschiede: Bei den Bewohnern eines Dorfes in Missouri, ebenso wie bei den Gusii in Kenja wurden schon geringe Abweichungen von einer gerechten Halbe/Halbe-Aufteilung zurückgewiesen. Bei den Tsimane dagegen, einem Indianervolk in Bolivien, haben die zweiten Spieler fast alles akzeptiert und es eigentlich nur abgelehnt, wenn Spieler 1 ihnen gar nichts zugebilligt hat."

    Mit diesem Spiel konnten die Forscher ermitteln, wie sehr Menschen in einer Kultur bereit sind, unfaires Verhalten zu bestrafen – auch wenn diese Bestrafung vom Strafenden selbst etwas abverlangt. Doch sind die Mitglieder solcher Kulturen auch altruistischer? Dazu gab ein weiteres Experiment: Es ging wie das erste, nur dass der zweite Spieler die Entscheidung von Spieler 1 nicht ablehnen kann. Anders ausgedrückt: Spieler 1 darf allein entscheiden, wie der Betrag aufgeteilt wird. Dieses Spiel heißt entsprechend auch: Diktator-Spiel. Es diente dazu herauszufinden, wie altruistisch die Menschen in einem Volk sind, wie groß ihre Bereitschaft zu teilen ist. Das Ergebnis war: In den Völkern, die eine hohe Bereitschaft zeigen, Fairness-Verstöße zu bestrafen, sind die Menschen auch altruistischer – und umgekehrt: Die Tsimane-Indianer aus Bolivien beispielsweise – die unfaires Verhalten häufig durchgehen ließen, waren in diesem Spiel am knauserigsten – sie haben, wenn überhaupt, nur wenig von ihrem Betrag abgegeben:

    "Es scheint also, dass der Altruismus auf diese Weise in die Welt gekommen ist: dass menschliche Gesellschaften Regelverstöße bestraft haben und die Menschen gelernt haben, sich an diese Normen anzupassen. Wer in Gesellschaften aufwächst, die zu solchen Bestrafungen neigen, wird stärker altruistische Züge zeigen. "

    Es gibt Theorien, wonach es eine Koevolution gibt zwischen der kulturellen und der genetischen Entwicklung des Menschen: Die kulturellen Bedingungen schlagen sich demzufolge bereits im genetischen Erbe nieder. Das bedeutet nicht, dass es ein Gen für Altruismus gibt oder dass sich gar verschiedene Völker in dieser Hinsicht genetisch unterscheiden. Wohl aber, glaubt Jo Henrich, dürfte es Gene geben, die den Mensch in die Lage versetzen, sich sozialen Normen anzupassen. Seine Ergebnisse, meint Jo Henrich, würden zu dieser Theorie passen. Edward Hagen ist weitaus kritischer. Der Evolutionsbiologe vom Institut für Theoretische Biologie forscht zur Zeit an der Berliner Humboldt-Universität. Er hält solche Spiele für zu unrealistisch, um daraus weitgehende Schlussfolgerungen abzuleiten. Zum Beispiel wurden ja all diese Spiele anonym gespielt: Spieler 1 wusste nicht, wer Spieler 2 ist. In den Volksgruppen dagegen, in denen die Experimente durchgeführt wurden, kennen sich die Leute sehr wohl:

    "Und was passiert bei diesen Spielen: Ein Spieler gibt anonym einem anderen Spieler einen bestimmten Geldbetrag. Aber wer macht so etwas in der Realität? Wenn ich in einen Raum komme und da sitzen Leute, die ich nicht kenne – dann mach ich ja auch nicht mein Portemonnaie auf und biete 20 Euro an. Das sind also eher unrealistische Situationen, die in diesen Spielen simuliert werden."

    Ed Hagen findet die Experimente zwar interessant – aber aus seiner Sicht sind sie noch weit davon entfernt, den menschlichen Altruismus zu erklären.