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Aus dem Stadion auf den Laufsteg
Fanschals sind ein Mode-Muss

Meist zweifarbig mit dickem Vereinslogo – so sehen Fanschals von Fußballklubs aus. Das Accessoire, das zeigt "ich bin Fan von Sportklub XY" ist ein Mode-Must-have geworden. Allerdings nicht die vom FC Bayern oder von der Borussia, sondern von Designern wie Gosha Rubchinskiy oder Stella McCartney.

Von Gesine Kühne | 16.11.2017
    Fans von Hertha BSC während eines Spiels im Olympiastadion
    Das Vorbild für den neuen Modetrend ist laut, trinkt Bier und pöbelt auch gerne mal gegen die andere Mannschaft (dpa picture alliance/ Annegret Hilse)
    Jedes zweite Wochenende legt sich der Berliner Hertha-Fan seinen blau-weißen Schal in den Nacken. Er brüllt aus der Ostkurve gen Spielfeld, trinkt Bier, beleidigt vielleicht noch die gegnerische Mannschaft.
    Dieses Bild hat absolut nichts Modisches. Noch vor einigen Jahren hätte es den gemeinen Hipster dazu gebracht, herablassend die Nase zu rümpfen und "prollig" in den Vollbart zu brabbeln, heute ist es das Werbebanner der aktuellen Mode. Denn der Schal, der Fußballfanschal um genau zu sein, der meist zweifarbig ist, der Fransen hat, den eine große Aufschrift ziert, dessen Material, nämlich Polyacryl, sich ruppig auf der Haut anfühlt, ist das modische Must-have 2017.
    "Ich hab selbst einen, er ist rot und blau und das Label steht in kyrillischen Buchstaben da drauf",
    sagt Modefreund, Stylist und Moderedakteur Sebastian Schwarz. Sein Schal ist keiner, der kennzeichnet, dass er von einer bestimmten Mannschaft Fan wäre. Sein Schal ist aus der Kollektion des angesagten russischen Designers Gosha Rubchinskiy. Und wäre er nicht von diesem Designer, wäre er eben von Stella McCartney oder vom erfolgreichen französischen Label "Vetements" oder gar aus dem Traditionsmodehaus "Versace". Alle möglichen Marken bieten inzwischen Fanschals an.
    "Eine wesentliche Triebkraft der Mode war schon immer die Subkultur, das Bedienen an subkulturellen Codes und Merkmalen, um dadurch wieder neue Moderichtungen anzustoßen."
    "Too broke": Zu pleite für den Modeschal
    So hat es der Fanschal aus der Ostkurve an den Hals der Modemenschen wie Sebastian Schwarz geschafft. Sie tragen ihn zu Arbeitsterminen, in angesagten Restaurants, sogar im Berliner Nachtleben. Abgewiesen wird damit keiner, eher anerkennend gemustert. Wer Fanschal trägt, spielt in der modischen Champions League. Vor allem preislich. Denn der Mode-Fanschal ist teuer, sehr teuer, der von Stella McCartney kostet zum Beispiel 350 Euro, obwohl er aus dem gleichen billigen Material gewebt ist wie sein Fußballvorbild.
    Santo und sein Kumpel Elias mit ihrem selbstdesignten Mode-Fanschal
    Santo und Elias betreiben in Berlin ein Underground-Label und designen ihre eigenen Schals (Deutschlandradio / Gesine Kühne)
    "Ich wollte auch einen haben",
    sagt Santo aus Berlin. Seinen Nachnamen nennt er nicht, weil er mit seinem Kumpel ein kleines Undergroundlabel betreibt, mit dem sie bekannte Designs und Labels nachahmen. Weil Santo sich keinen Modefanschal leisten konnte, hat er mithilfe eines Konfigurators im Internet selbst einen designt.
    "Und machen uns gleich noch lustig über Gosha Rubchinskiy und drucken in kyrillischen Buchstaben 'Too broke' drauf."
    "Too broke" - zu pleite für einen Schal, der signalisiert: hier, ich gehöre zu eurem Modeteam.
    Sehnsucht nach dem Handfesten
    Zugehörigkeit ist das A und O im Fantum und natürlich auch in der Mode. Der Fanschal das wohl plakativste Zeichen dafür. Sebastian Schwarz sagt:
    "Das ist sicherlich sehr interessant, weil in unserem Vorstellungshorizont nicht richtig zueinander geht, weil man einen sehr elitären Bereich wie die Mode hat, der sehr teuer ist, auf einmal mit einem Bereich kombinieren will, der eher für - das ist jetzt nicht p.c. - aber eher für Unterschicht und wenig Einkommen und Arbeiterklasse steht, dass man das zusammen bringen will. Dennoch glaube ich, dass Mode immer die Suche nach Identität ist."
    Moderedakteur Sebastian Schwarz hat recht. In prekären Zeiten wie diesen, in denen Akademiker heute schlechter dran sind als ihre Arbeitereltern damals, sehnen wir uns heimlich nach etwas Handfestem, nach Handwerker sein, nach Haus, Hof und Familie. Und vielleicht auch ein bisschen nach der Ostkurve im Berliner Olympiastadion, wo sich nach einem gewonnen Spiel die Blau-Weißen-Fanschalträger in den Armen liegen und singen.