Freitag, 19. April 2024

Archiv

Aus für die ENA
Präsident Macron will Frankreichs Kaderschmiede schließen

Die ENA, Frankreichs Verwaltungshochschule Nr. 1, soll geschlossen werden. Sie befördert eine Führungsriege, die den Kontakt zum Großteil der Bürger verloren hat, heißt es. Kritiker sagen, die Hochschule werde zu Unrecht etwa für Reformstau und soziale Ungleichheit verantwortlich gemacht.

Von Christiane Kaess | 09.04.2021
Die Elite-Uni ENA in Strassburg, Frankreich
Künftig soll die Laufbahn für hohe Beamte viel mehr Kindern aus sozial benachteiligten Familien offenstehen, fordert der französische Präsident Macron (imago / agefotostock / Leonid Andronov)
Ein Staat der offener ist, effizienter und diverser – dessen Verwaltung mehr die französische Gesellschaft widerspiegelt. Das ist das Ziel von Emmanuel Macron. Und weil die hohen Beamten in Frankreich vor allem aus der Kaderschmiede der "Ecole nationale d'administration" – kurz der ENA kommen – soll sie neu geboren werden. Dass der Präsident die berühmte Elite-Hochschule dafür nicht nur reformieren will, sondern schließen, verkündete er bereits im April 2019.
"Nicht weil es Spaß macht, sie abzuschaffen, sondern um etwas aufzubauen, das besser funktioniert. Ich glaube hier nicht an einen Notbehelf."

Schließung statt Reformen

Spektakulär war die Ankündigung des Staatschefs vor zwei Jahren nach den massiven Protesten der Gelbwesten. Doch dann passierte lange Zeit nichts. Vor einem guten Monat hieß es sogar, Macron sei von seinem Plan, die ENA zu schließen, abgerückt. Es solle lediglich auf Reformen hinauslaufen. Nun also die Ankündigung, dass die ENA doch geschlossen wird. An ihre Stelle soll eine neue Hochschule für Verwaltung treten mit dem Namen: Institut für den öffentlichen Dienst.
Ein Demonstrant der Gelb-Westen-Bewegung mit der französischen Fahne vor einer Mauer. Impression von den Gelbwesten-Protesten gegen Präsident Macron auf den Champs Elysées.
Frankreich-Expertin: "Macron muss grundlegende Veränderungen ankündigen"
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will nach seiner nationalen Bürgerdebatte Reformpläne vorstellen. Als wahrscheinlich gilt, dass er eine Schließung der Elite-Hochschule ENA ankündigt.
Künftig soll die Laufbahn für hohe Beamte, egal ob Präfekt, Botschafter, oder Verwaltungsdirektor viel mehr Kindern aus sozial benachteiligten Familien offenstehen – gemäß der Chancengleichheit, so verkündete es der Präsident vor Führungskräften der Verwaltung. Er sprach von einer Revolution beim Auswahlprozess der neuen Schule. Zuletzt hatte Macron bedauert, dass der soziale Fahrstuhl - wie er es nannte – schlechter funktioniere als vor 50 Jahren. Die Beweglichkeit sei hier sehr schwach. Dass dafür die renommierte und international bekannte Eliteschule ENA geopfert wird, empört Bruno Retailleau. Der Präsident der konservativen Republikaner im Senat, spricht von Sündenbock-Politik:
"Man schafft die ENA ab, weil man den Staat nicht reformiert hat. Niemals war dieses Problem in Frankreich so groß! Das hat die Krise der Pandemie gezeigt. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden! Niemals war der Staat so zentralisiert und bürokratisiert. Das Problem ist nicht die ENA, sondern die Politik, die ihre Verwaltung steuern muss! Aber wir brauchen eine Elite!"

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Die ENA aber ist vielen zum Symbol geworden für eine abgehobene obere Klasse, die an den Schaltstellen der Republik sitzt. Die Absolventen wechseln oft direkt in den höheren öffentlichen Dienst, von da aus zum Teil weiter in die Wirtschaft. Wie ein geschlossener Kreis wirkt das System. Es befeuere Vetternwirtschaft und einen Einheitsgedanken, der auch Reformen in Frankreichs Bürokratie verhindere, sagen die Kritiker.
Francois Bayrou, Vorsitzender der liberalen Partei "Demokratische Bewegung" freut sich über das Ende der ENA: "Das ist seit langem eines meiner Lieblingsthemen. Und es beschäftigt den Präsidenten jeden Tag, seit der Wahlkampagne 2017."
Francois Bayrous Partei ist in einer Allianz mit "La République en Marche", der Partei von Präsident Macron. Für Bayrou repräsentiert die ENA eines der Hauptprobleme in Frankreich:
"Das ist der absolute Bruch mit der Basis der Gesellschaft – auf der einen Seite, die die arbeiten, die im Ruhestand sind oder arbeitslos, Frauen und Männer, die sich um alle Funktionen der Gesellschaft kümmern, die jungen Leute, die Studenten – und auf der anderen Seite die sogenannte Spitze. Das zweite Problem, das damit verbunden ist, ist ein ineffizientes System einer andauernden Blockade. Das führt dazu, dass sich nichts ändert."
Ständig höre man aus der Verwaltung: Herr Präsident oder Herr Minister, das ist unmöglich – so beklagt Bayrou. Das sieht Alix Etournaud ganz anders. Die Journalistin hat gerade eine Dokumentation über die Elitehochschule gedreht mit dem Titel: "ENA – warum so viel Hass?". Dass die ENA geschlossen wird, ist für sie Demagogie.

Probleme im Bildungssystems

"Sobald man dem Staat etwas vorwirft, schiebt der die Schuld auf die ENA. Die Gelbwesten-Bewegung ist ein Beispiel. Die Gelbwesten haben nie die Abschaffung der ENA verlangt und trotzdem hat man ihnen diesen Knochen vorgeworfen, um sie zu beruhigen. Heute ist es die Krise um die Impfungen. Die funktionieren nicht gut. Man zieht über den Staat her und der über die ENA. Obwohl der Staat für die Impfkampagne verantwortlich ist, nicht die ENA-Absolventen."
Auch Daniel Keller protestiert gehen die Schließung der Hochschule. Der Präsident der Vereinigung von ehemaligen Studentinnen und Studenten der ENA verweist darauf, dass an der traditionellen Kaderschmiede bereits beachtliche Reformen im Gange seien. Die Schuld dafür, dass zu wenige Studenten aus sozial benachteiligten Familien ihren Weg an die ENA finden, sieht er bereits in den Schulen davor. Man könne nicht den Elite-Hochschulen das jahrzehntelange Versagen des französischen Bildungssystems vorwerfen.