Jürgen Zurheide: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Arbeitslosengeld II die Politik ja so richtig aufgeschreckt. Das Herzstück der Reform, nämlich die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen auf der einen Seite, Sozialämtern und anderen städtischen Einrichtungen auf der anderen Seite, wird in diesem Urteil in Frage gestellt. Da gibt es offensichtlich – oder zumindest sagen die Verfassungsrichter das –, da gibt es verfassungsrechtliche Probleme. Was heißt denn das eigentlich, wenn es dort zu Änderungen kommt, für eine große Stadt? Zum Beispiel im Ruhrgebiet – eine Stadt mit 268.000 Einwohnern, wie Gelsenkirchen, mit einer Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent, immer noch über 15 Prozent, obwohl die Zahl sich schon deutlich verbessert hat. Über dieses Thema wollen wir reden, und ich begrüße den Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen, Frank Baranowski. Guten Morgen, Herr Baranowski!
Frank Baranowski: Morgen, Herr Zurheide.
Zurheide: Herr Baranowski, zunächst einmal: Wie haben Sie denn eigentlich das bei Ihnen vor Ort organisiert, dass die Arbeitsagentur auf der einen Seite und die städtischen Einrichtungen auf der anderen Seite zusammenarbeiten?
Baranowski: Wir haben diese Arbeitsgemeinschaft, wir nennen sie Integrationscenter für Arbeit, die viele Städte auch haben, wir sind keine Optionskommune, also machen es nicht alleine. Das hat anfangs ein wenig geruckelt, in der Tat, aber mittlerweile ist das, wie ich finde, eine sehr konstruktive Zusammenarbeit. Und pikanterweise haben wir den Zusammenarbeitsvertrag – in dem wir einige Dinge doch noch mal so angepasst haben, dass sie noch besser funktionieren – am Tage des Urteilsspruchs in Karlsruhe verlängert und neu unterschrieben. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Leiter dieser Arbeitsgemeinschaft städtischer Beamter ist, dazu gehört, dass wir klar gesagt haben, woher die Stellvertreter kommen müssen, dass in der Trägerversammlung die kommunale Politik vertreten ist. Aus meiner Sicht hat sich dieses Modell bewährt, und ich war dann doch ein wenig überrascht, als ich dieses knappe Urteil des Bundesverfassungsgericht dann mitgeteilt bekommen habe, weil ich jetzt schon befürchte, dass wir die Grundsatzdiskussionen, die vor drei Jahren geführt wurden, jetzt wieder führen und das schon die Arbeit ein Stückchen behindert, weil die Mitarbeiter bei dem Integrationscenter für Arbeit, der Arbeitsgemeinschaft, jetzt schon sehr skeptisch schauen und die Fragen kommen: Werde ich denn da meinen Arbeitsplatz haben? Wer wird zuständig sein? Es verunsichert schon.
Zurheide: Da kommen wir gleich noch mal drauf. Ich würde gerne noch mal fragen: Warum ist aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit der beiden Säulen – also der gesamten städtischen Kompetenz auf der einen Seite mit den unterschiedlichen Ämtern und der Spezialisten vom Arbeitsmarkt, der Arbeitsagentur auf der anderen Seite –, warum ist das so wichtig für diese schwierige Gruppe von Menschen, die länger als ein Jahr mindestens arbeitslos ist?
Baranowski: Wir haben es ja bei diesen Menschen nicht mit singulären Herausforderungen zu tun. Es geht ja nicht nur darum, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, sondern wir haben ja häufig das Thema Qualifikation, wir haben Begleiterscheinungen, die Schuldnerberatung muss tätig werden, wir brauchen Hilfe zum Lebensunterhalt, Zuschüsse für die Wohnung. Alles das waren Kompetenzen, die eine Kommune vorgehalten hat, ich sage mal, das ist das klassische Sozialamt gewesen, und das kam sehr gut zusammen mit dem Know-how, das die Arbeitsagentur – das klassische frühere Arbeitsamt – hatte. Beim Thema Vermittlung, beim Thema Berufsqualifikation, da haben wir als Stadt, als Sozialverwaltung weniger Kompetenzen gehabt, also: Was ist eigentlich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt? Welche Qualifikationen muss jemand haben, um wieder untergebracht zu werden? Die Kontakte zu den Arbeitgebern liefen natürlich viel stärker über die Arbeitsverwaltung als über eine städtische Verwaltung, und das ist da recht gut zusammengekommen. Und die Tatsache, dass wir in Gelsenkirchen von einer Arbeitslosenquote 25 Prozent – als auf Hartz IV umgestellt wurde im Februar 2005 – auf jetzt 15 Prozent, 15,7 Prozent zurückgegangen sind, diese 10 Prozent zeigen eigentlich, dass das eine sehr erfolgreiche Kombination von städtischem und Know-how der Arbeitsverwaltung war.
Zurheide: Jetzt gibt es ja den einen oder anderen - Sie sind Sozialdemokrat - jetzt gibt es den einen oder anderen in der CDU, der fordert, dass das ganz in kommunale Hand gelegt werden muss, und die Diskussion wird ja möglicherweise dann auch neu geführt. Warum halten Sie das nicht unbedingt für zielführend für Sie, für Gelsenkirchen?
Baranowski: Ich höre diese Stimmen auch, nehme allerdings auch wahr, dass hier im Ruhrgebiet eigentlich, wenn man die Verantwortlichen fragt, sehr unisono über Parteigrenzen hinweg gesagt wird, wir brauchen beide Kompetenzen. Wir als Kommune haben, was insbesondere die Kontakte in die Arbeitswelt hinein angeht, was den ganzen Qualifizierungssektor angeht, da nicht die Erfahrung, die die Arbeitsverwaltung hat. Und ich würde auch ungern dann abhängig sein vom Wohl und Wehe, von Zuschussförderungen dann des Bundes über das Land, denn das wäre die Konsequenz, wenn die Kommunen zuständig wären. Für alle Langzeitarbeitslosen müssten sie auch eine entsprechende finanzielle Förderung bekommen, und da haben wir in der Vergangenheit nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht, dass das dann auch wirklich angemessen ist. Außerdem ist der Personenkreis so umfangreich, dass das für uns auch als Kommune ein Riesen-Personalaufwand wäre, wenn wir es nicht in Kombination mit der Arbeitsverwaltung machten. Das sind alles Dinge, von denen ich glaube, dass wir sie nicht wirklich brauchen, und man eigentlich einen Weg finden soll, wie die bewährte Zusammenarbeit, die jetzt ja funktioniert, wie man die auf eine rechtlich dann saubere Grundlage stellen kann.
Zurheide: Ja, aber damit beschreiben Sie ja fast die Quadratur des Kreises, denn die Verfassungsrichter haben gesagt, die erzwungene Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ebenen, der Bundesebene über die Arbeitsagentur und der kommunalen Ebene auf der anderen Seite, das sei verfassungsrechtlich nicht sauber. Das kann man ja nachvollziehen, nur offensichtlich ist es praktisch erfolgreich, wie wir gerade von Ihnen hören. Wie lösen wir das denn auf?
Baranowski: Na, ich kann mir gut vorstellen, dass die Bundesagentur weiter zuständig bleibt für die Langzeitarbeitslosen, sie sich aber das Know-how einkauft bei den Kommunen, dann hätten wir eine klare Zuständigkeit, dass sie sich dann die Schuldnerverwaltung, die Unterstützung zum Lebensunterhalt, dass das dann eingekauft wird als Dienstleistung. Das wäre jedenfalls ein Modell, das ich mir gut vorstellen könnte.
Zurheide: Das war der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski. Dankeschön für dieses Gespräch.
Frank Baranowski: Morgen, Herr Zurheide.
Zurheide: Herr Baranowski, zunächst einmal: Wie haben Sie denn eigentlich das bei Ihnen vor Ort organisiert, dass die Arbeitsagentur auf der einen Seite und die städtischen Einrichtungen auf der anderen Seite zusammenarbeiten?
Baranowski: Wir haben diese Arbeitsgemeinschaft, wir nennen sie Integrationscenter für Arbeit, die viele Städte auch haben, wir sind keine Optionskommune, also machen es nicht alleine. Das hat anfangs ein wenig geruckelt, in der Tat, aber mittlerweile ist das, wie ich finde, eine sehr konstruktive Zusammenarbeit. Und pikanterweise haben wir den Zusammenarbeitsvertrag – in dem wir einige Dinge doch noch mal so angepasst haben, dass sie noch besser funktionieren – am Tage des Urteilsspruchs in Karlsruhe verlängert und neu unterschrieben. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Leiter dieser Arbeitsgemeinschaft städtischer Beamter ist, dazu gehört, dass wir klar gesagt haben, woher die Stellvertreter kommen müssen, dass in der Trägerversammlung die kommunale Politik vertreten ist. Aus meiner Sicht hat sich dieses Modell bewährt, und ich war dann doch ein wenig überrascht, als ich dieses knappe Urteil des Bundesverfassungsgericht dann mitgeteilt bekommen habe, weil ich jetzt schon befürchte, dass wir die Grundsatzdiskussionen, die vor drei Jahren geführt wurden, jetzt wieder führen und das schon die Arbeit ein Stückchen behindert, weil die Mitarbeiter bei dem Integrationscenter für Arbeit, der Arbeitsgemeinschaft, jetzt schon sehr skeptisch schauen und die Fragen kommen: Werde ich denn da meinen Arbeitsplatz haben? Wer wird zuständig sein? Es verunsichert schon.
Zurheide: Da kommen wir gleich noch mal drauf. Ich würde gerne noch mal fragen: Warum ist aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit der beiden Säulen – also der gesamten städtischen Kompetenz auf der einen Seite mit den unterschiedlichen Ämtern und der Spezialisten vom Arbeitsmarkt, der Arbeitsagentur auf der anderen Seite –, warum ist das so wichtig für diese schwierige Gruppe von Menschen, die länger als ein Jahr mindestens arbeitslos ist?
Baranowski: Wir haben es ja bei diesen Menschen nicht mit singulären Herausforderungen zu tun. Es geht ja nicht nur darum, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, sondern wir haben ja häufig das Thema Qualifikation, wir haben Begleiterscheinungen, die Schuldnerberatung muss tätig werden, wir brauchen Hilfe zum Lebensunterhalt, Zuschüsse für die Wohnung. Alles das waren Kompetenzen, die eine Kommune vorgehalten hat, ich sage mal, das ist das klassische Sozialamt gewesen, und das kam sehr gut zusammen mit dem Know-how, das die Arbeitsagentur – das klassische frühere Arbeitsamt – hatte. Beim Thema Vermittlung, beim Thema Berufsqualifikation, da haben wir als Stadt, als Sozialverwaltung weniger Kompetenzen gehabt, also: Was ist eigentlich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt? Welche Qualifikationen muss jemand haben, um wieder untergebracht zu werden? Die Kontakte zu den Arbeitgebern liefen natürlich viel stärker über die Arbeitsverwaltung als über eine städtische Verwaltung, und das ist da recht gut zusammengekommen. Und die Tatsache, dass wir in Gelsenkirchen von einer Arbeitslosenquote 25 Prozent – als auf Hartz IV umgestellt wurde im Februar 2005 – auf jetzt 15 Prozent, 15,7 Prozent zurückgegangen sind, diese 10 Prozent zeigen eigentlich, dass das eine sehr erfolgreiche Kombination von städtischem und Know-how der Arbeitsverwaltung war.
Zurheide: Jetzt gibt es ja den einen oder anderen - Sie sind Sozialdemokrat - jetzt gibt es den einen oder anderen in der CDU, der fordert, dass das ganz in kommunale Hand gelegt werden muss, und die Diskussion wird ja möglicherweise dann auch neu geführt. Warum halten Sie das nicht unbedingt für zielführend für Sie, für Gelsenkirchen?
Baranowski: Ich höre diese Stimmen auch, nehme allerdings auch wahr, dass hier im Ruhrgebiet eigentlich, wenn man die Verantwortlichen fragt, sehr unisono über Parteigrenzen hinweg gesagt wird, wir brauchen beide Kompetenzen. Wir als Kommune haben, was insbesondere die Kontakte in die Arbeitswelt hinein angeht, was den ganzen Qualifizierungssektor angeht, da nicht die Erfahrung, die die Arbeitsverwaltung hat. Und ich würde auch ungern dann abhängig sein vom Wohl und Wehe, von Zuschussförderungen dann des Bundes über das Land, denn das wäre die Konsequenz, wenn die Kommunen zuständig wären. Für alle Langzeitarbeitslosen müssten sie auch eine entsprechende finanzielle Förderung bekommen, und da haben wir in der Vergangenheit nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht, dass das dann auch wirklich angemessen ist. Außerdem ist der Personenkreis so umfangreich, dass das für uns auch als Kommune ein Riesen-Personalaufwand wäre, wenn wir es nicht in Kombination mit der Arbeitsverwaltung machten. Das sind alles Dinge, von denen ich glaube, dass wir sie nicht wirklich brauchen, und man eigentlich einen Weg finden soll, wie die bewährte Zusammenarbeit, die jetzt ja funktioniert, wie man die auf eine rechtlich dann saubere Grundlage stellen kann.
Zurheide: Ja, aber damit beschreiben Sie ja fast die Quadratur des Kreises, denn die Verfassungsrichter haben gesagt, die erzwungene Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ebenen, der Bundesebene über die Arbeitsagentur und der kommunalen Ebene auf der anderen Seite, das sei verfassungsrechtlich nicht sauber. Das kann man ja nachvollziehen, nur offensichtlich ist es praktisch erfolgreich, wie wir gerade von Ihnen hören. Wie lösen wir das denn auf?
Baranowski: Na, ich kann mir gut vorstellen, dass die Bundesagentur weiter zuständig bleibt für die Langzeitarbeitslosen, sie sich aber das Know-how einkauft bei den Kommunen, dann hätten wir eine klare Zuständigkeit, dass sie sich dann die Schuldnerverwaltung, die Unterstützung zum Lebensunterhalt, dass das dann eingekauft wird als Dienstleistung. Das wäre jedenfalls ein Modell, das ich mir gut vorstellen könnte.
Zurheide: Das war der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski. Dankeschön für dieses Gespräch.