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Aus trüben Quellen

Das Kunstmagazin "Art News" legt nahe, dass gerade in letzter Zeit gefälschte Werke von Künstlern der russischen Avantgarde auf den deutschen Kunstmarkt gelangen. Nach Ansicht des Kunstexperten Stefan Koldehoff ist dies vor allem der Tatsache geschuldet, dass diese Künstler im Untergrund hätten arbeiten müssen und so die Herkunft oft schwer nachzuverfolgen sei.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 08.07.2009
    Burkhard Müller-Ullrich: Wo Geld ist, ist Kunst, und wo Kunst ist, sind auch Fälschungen. Und selbst, wenn's mit dem Geld gegenwärtig weltweit nicht so doll bestellt ist, muss man feststellen, gefälschte Kunst wird alles andere als knapp, insbesondere wenn es um russische Künstler geht. Und zwar, Stefan Koldehoff, nicht nur Künstler des 19. Jahrhunderts, deren Werke in letzter Zeit von zahllosen Imitationen betroffen waren, sondern auch und vor allem Künstler der russischen Avantgarde.

    Stefan Koldehoff: Das sagt jedenfalls ein sehr ausführlicher und sehr, sehr gut recherchierter Artikel des amerikanischen Kunstmagazins "Art News", geschrieben von Konstantin Akinsha, der sich dadurch unter anderem einen Ruf erworben hat, dass er derjenige war, der die geheimen russischen Beutekunstdepots in der Eremitage und dem Puschkin-Museum entdeckt und öffentlich gemacht hat. Er sagt, dass es eine regelrechte Fälschungsindustrie gibt für russische Avantgardekunst, also die Kunst der Nuller-, Zehner- und Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, und dass es vor allen Dingen auch eine gut geölte Maschinerie gibt, die es schafft, diese Bilder auf den westlichen Kunstmarkt zu spülen.

    Müller-Ullrich: Wie funktioniert denn diese Maschinerie, und vor allem, wenn solche Bilder verkauft, auktioniert werden, dann schaut man ja zunächst mal auf die Provenienz, man schaut da auf Expertisen, man will ja als Käufer nicht sofort reinfallen - heißt das, dass diese Expertisen auch falsch sind?

    Koldehoff: Na, es gibt zumindest dieses wunderbare Argument, dass diese Kunst ja unter Stalin verfemt war, dass er sie nicht habe haben wollen und deswegen viele dieser Künstler im Untergrund hätten arbeiten müssen und anschließend dann zu Sowjetzeiten versucht hätten, die Bilder ins sichere westliche Ausland zu schmuggeln. Deswegen tauchen sie hier auch bei Auktionshäusern - namentlich genannt werden beispielsweise Nagel in Stuttgart, Lempertz in Köln oder Hampel in München - wieder auf, versehen dann allerdings wieder mit Expertisen von russischen Fachleuten.

    Das heißt also, die Sachen, die hier im Westen anlanden, werden dann wieder in der Heimat der Künstler den Experten vorgelegt, und die bescheinigen dann zum einen offenbar sehr gerne gegen Einwurf kleinerer Münzen oder größerer Scheine erstens, dass die sogenannte Provenienz völlig in Ordnung sei, also die Herkunft, und auf der anderen Seite, dass diese Bilder auch eigenhändig seien. Nun kann man natürlich an der Provenienz viel fingern, wenn man weiß, dass Künstler sich verstecken und auch ihre Bilder nicht öffentlich zeigen mussten - was man sich immer wünscht -, nämlich das Foto, auf dem der Künstler das Bild in der Hand hält, oder den Katalog, den er noch selbst mitbearbeitet hat, gibt es bei der russischen Avantgardekunst häufig nicht. Und was die Materialgutachten und die stilistischen Gutachten angeht, da muss man natürlich den Experten vertrauen, zumal dann, wenn sie in großen, angesehenen russischen Museen arbeiten.

    Müller-Ullrich: Die Vertriebswege für diese Werke sind hauptsächlich Auktionshäuser, und zwar interessanterweise in Deutschland.

    Koldehoff: Ja, und das liegt eben daran, dass man behauptet, diese Bilder seien in den 80er-Jahren zum Teil in Diplomatengepäck nach Deutschland geschmuggelt worden, das sei der Weg gewesen, diese Kunst vor der Vernichtung, vor der Verrottung zu retten, und es hätten sich dann hier Menschen gefunden, Sammler, die bereit gewesen wären, Entsprechendes dafür zu bezahlen und diese Bilder jetzt auch im Rahmen von Erbschaften und Generationswechseln wieder auf den Markt zu bringen, nicht nur in Deutschland, auch in Spanien, auch in Italien.

    Es wird allerdings komisch, wenn dann zum Beispiel bei einer Auktion eine Budapester Sammlung "Ketschmar" genannt wird, aus der so ein Bild kommen soll. Und keiner der seriösen Experten in Budapest hat jemals etwas von dieser Sammlung gehört. Oder wenn die Rede ist von einer italienischen Sammlung eines Barons, der nur dadurch bekannt ist, dass er offenbar für die Mafia in Süditalien Spendengelder für demokratische Parteien eingesammelt hat. Also da muss man sich schon die Frage stellen, wie blauäugig sind deutsche Auktionshäuser eigentlich, und was sind sie bereit zu glauben, wenn es nur um genug Geld geht?

    Müller-Ullrich: Leicht zu fälschen! Die Kunst der russischen Avantgarde wird mit der Zeit immer mehr. Danke, Stefan Koldehoff, für diese Auskünfte.