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"Aus vielen Puzzle-Steinen ein anderes Bild zusammensetzen"

"Da ist immer wiederum die Einordnung notwendig", sagt Uwe Kammann, Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, über die Informationen, die über Twitter, YouTube und Co. aus dem Iran kommen. Er sieht die Möglichkeiten des Internets als große Chance, stellt aber auch die Bedeutung von Profijournalisten gegenüber der wachsende Anzahl der Laienjournalisten heraus.

Uwe Kammann im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Irans Regierung hat einen Gegner, der nur schwer zu beherrschen ist: das Internet nämlich. Nach der Erschießung einer 19-Jährigen in Teheran ist das Netz voll von Videos, die ihr Sterben zeigen. Der iranische Autor und Publizist Shahram Najafi sagte heute Morgen im Deutschlandfunk:

    O-Ton Shahram Najafi: Neda gab es wirklich. Das ist sehr gut dokumentiert inzwischen. Man hat Gespräche mit ihrem Verlobten inzwischen geführt, weil das auch von offiziellen Seiten bestätigt ist, das Krankenhaus und so weiter. Es gibt allerdings in anderen Fällen Videos oder Aufnahmen, die wir nicht verifizieren können. In dem Fall von Neda könnte man das mit einer großen Wahrscheinlichkeit stehen lassen, dass es so geschehen ist, wie das geschildert worden ist.

    Dobovisek: Die Wut der Internet-Nutzer, der Blogger ist groß, doch auch das Regierungslager versucht, das weltweite Netz für sich zu benutzen. Ein Fotohandy oder eine kleine Digitalkamera, dazu ein Internet-Anschluss und fertig ist der Laienreporter. Auf deren Bilder und Informationen verlassen sich im Moment fast alle, weil eine wirklich freie Berichterstattung von Korrespondenten de facto nicht mehr möglich ist. Zu mir ins Studio gekommen ist der Medienwissenschaftler Uwe Kammann. Er ist Leiter des Adolf-Grimme-Instituts. Guten Tag, Herr Kammann.

    Uwe Kammann: Guten Morgen, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Liegt im Internet eher eine Gefahr, oder ist das sogar eine Chance für die Berichterstattung?

    Kammann: Unterm Strich würde ich sagen, es ist sogar eine große Chance, weil man viele zusätzliche Quellen so öffnen kann, weil es die Möglichkeit gibt, aus sehr unterschiedlichen Perspektiven etwas zu zeigen. Natürlich hat jeder sein eigenes Interesse daran und verfolgt Ziele damit. Es ist eben dann auch ein Beitrag zum Krieg der Bilder. Aber durch diese große Zahl derjenigen, die etwas ins Netz stellen können, glaube ich, kann man dann doch aus vielen Puzzle-Steinen ein anderes Bild zusammensetzen. Insofern denke ich, gerade wegen der Offenheit des Netzes, wegen seiner schnellen Zugänglichkeit und wegen fast der Echtzeit ist es zunächst eine Möglichkeit, Informationen zu sammeln, die auf andere Weise so gar nicht zu Stande kämen.

    Dobovisek: Sie erwähnen das Bild eines Puzzles. Das bringt uns auch sehr, sehr schnell zum Punkt der Glaubwürdigkeit. Wie können wir denn sicherstellen, dass solche Bilder, solche Informationen, die uns erreichen, auch glaubwürdig sind?

    Kammann: Ich glaube, sicherstellen kann man das nie. Es ist, wie ich eben schon sagte, natürlich oft im Interesse von Absendergruppen oder von Einzelnen, einen bestimmten Eindruck zu erzeugen. Man muss als Profijournalist eben versuchen, wie sonst auch mit Gegenrecherche zu prüfen, was ist dran. Aber Sie sehen ja selbst an einem berühmten Fall vor einigen Jahren, als ein Junge eines palästinensischen Vaters sozusagen auch vor den Augen der Weltöffentlichkeit gestorben ist und das von den Palästinensern als Material gegeben wurde, wo bis heute eigentlich nicht ganz klar ist, ob das nun ein gefälschtes Bild oder eine gefälschte Sequenz war oder nicht. Das ist im Zweifelsfall immer nur sehr schwierig festzustellen. Bei diesen Bildern, die wir jetzt sehen, fällt ja auch auf: sie sind ja - klar wegen der technischen Unzulänglichkeit - eher verpixelt, sie sind sehr grob. Da könnte man sagen, so was lässt sich natürlich im digitalen Zeitalter auch in gewisser Weise herstellen. Insofern kann man nur sagen, ich muss es immer begleiten durch viele zusätzliche Informationen, durch Augenzeugenberichte, vor allen Dingen natürlich dann durch Vertraute, die man im Journalismus natürlich immer haben muss, um ein Netzwerk an Informanten zu haben. Also das ist ganz und gar nicht ausgeschlossen. Die Öffentlichkeit darf also nicht einfach annehmen, das ist immer eins zu eins und so wie ich es sehe hat es sich auch zugetragen. Da ist immer wiederum die Einordnung notwendig.

    Dobovisek: Hat denn der Iran, hat das Regime dort in Teheran überhaupt die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, außer die Quellen beziehungsweise diese Möglichkeit selbst zu nutzen?

    Kammann: Ich glaube, der Einfluss - das ist ja an vielen anderen Stellen deutlich geworden - ist von technischer Seite her ausgesprochen gering. Alle Filtermöglichkeiten, alle Zensurmöglichkeiten scheitern heute leicht, weil eben ein ganzes Kommunikationsnetz mit vielen offenen Stellen und mit Umgehungsmöglichkeiten vorhanden ist. Insofern werden sie da nicht viel entgegensetzen können, sie werden das nicht abschneiden können. Das hat sich ja auch aus anderen Regierungen gezeigt, es sei denn ein Regime ist absolut brutal und nutzt dann das Netz nur für sich alleine und versucht, allerdings auch durch Einschüchterung dann das Absenden solcher Botschaften möglichst einzudämmen. Das wäre natürlich mit Abstand das brutalste Mittel, aber ich glaube, technisch ist es dann immer wie bei Hase und Igel. Schon nach wenigen Minuten oder auch Stunden wird es andere Möglichkeiten geben. Alleine wenn man denkt: Das Handy ist ja heute ein Kommunikationsmittel, mit dem man filmen, mit dem man fotografieren kann, und das ist, denke ich, so nicht einzuschränken. Sie können nur versuchen, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, aber das ist bei ihrer eigenen Position im aktuellen Fall sicher das allerschwierigste, denn sie sind diejenigen, die am Pranger der Unglaubwürdigkeit und der Lüge stehen.

    Dobovisek: Werden denn, wenn ich Ihnen so folgen kann, die modernen Revolutionen, die Revolutionen des 21. Jahrhunderts, heute über das Internet gewonnen?

    Kammann: Es ist ein wichtiges Mittel dazu. Übrigens muss man erinnern: Vor 30 Jahren, als Ayatollah Khomeini zur Macht kam, hat er das ja weitgehend geschafft, indem er Tonbandbotschaften mit kleinen Kompakt-Kassetten nach dem Iran sozusagen rausschmuggeln ließ, als das Schah-Regime tatsächlich durch diese vervielfältigten Botschaften, die dann aus allen kleinen Apparaten kamen, ins Wanken gebracht wurde. Da sieht man, dass solche neuen Techniken, die eine Art von Demokratisierung, auf jeden Fall der massenhaften Beeinflussung bedeuten können, schon eine wesentliche Hilfe, ein Instrument sein können, um eine Situation, die scheinbar so festgefügt ist, zu verändern.

    Dobovisek: Als vor einigen Monaten ein Flugzeug in den Hudson River in New York stürzte, waren es zuallererst sogenannte Twitter-Meldungen, die uns erreichten, also von Augenzeugen direkt über Handy beziehungsweise Internet verbreitete Kurzmitteilungen. Verändert sich mit solchen Mitteilungen der Journalismus allmählich?

    Kammann: Er bekommt auf jeden Fall, wenn man ihn jetzt mal als professionell klassischen Journalismus sieht, eine große Konkurrenz. Manche Zeitungen oder Medienhäuser versuchen, das ja gar für sich zu nutzen, indem sie die Leserreporter, die Laienreporter rausschicken, was oft nur eine billige Möglichkeit ist, um an eher ein bisschen leicht spekulative Ware zu kommen. Also ich denke schon, der Journalismus verändert sich, weil er von anderen Seiten auch überprüfbarer wird. Das was man sonst natürlich kontrolliert steuert, redaktionell bearbeitet, wird auf einmal mit vielen anderen Dingen konfrontiert. Ich denke jetzt an einen anderen Fall, wo das Internet eine große Rolle gespielt hat: Bill Clinton und seine Affäre mit Monica Lewinsky ist ja zu Tage gekommen durch einen Internet-Report von Drudge damals. Natürlich kann man sehr darüber spekulieren, aber er war derjenige, der das, was viele ja wussten, aber nicht gesagt haben, nicht veröffentlicht haben, dann ins Internet gestellt hat als sozusagen bestätigtes Gerücht, und schon war sozusagen eine weltpolitische neue Situation geschaffen. Also das Internet ist eben ein Raum, in dem vieles erst mal ungefiltert zirkuliert, insofern mit viel Zufallsprinzip auch: Wer nimmt was wo wahr, wer verstärkt es, wer verbreitet es. So hat es doch ganz andere Möglichkeiten, etwas in Gang zu setzen. Das kann einen erschrecken, aber ich finde, man muss damit einfach arbeiten.

    Dobovisek: Sie sagen aber, Herr Kammann, mit diesen vielen Mitteilungen und Möglichkeiten werden die Informationen der Journalisten für die Bürger kontrollierbarer, nachvollziehbarer. Auf der anderen Seite wird es aber auch für die Journalisten unglaublich schwerer, diese Vielfalt der Quellen einzuschätzen, und man verbraucht sehr viel Zeit, um auch deren Authentizität wahrzunehmen. Wie schätzen Sie das ein?

    Kammann: Ja, das ist wahr. Man braucht mehr Zeit. Dafür spart man an anderen Stellen wiederum Zeit, weil manche Basisinformationen heute sehr viel leichter und schneller zugänglich sind. In dem Sinne sage ich, es macht die Profijournalisten, diejenigen, die lange mit Erfahrung in der Branche arbeiten, nicht überflüssig, ganz im Gegenteil. Es wird mehr denn je der Sachverstand gefragt, einzuordnen, zu vergleichen, Strukturen herauszuarbeiten, und das braucht natürlich auch Zeit. Da sollte man sich gar keinen Illusionen hingeben. Insofern denke ich, es ist keine Rationalisierungsmaschine, sondern es ist einfach eine Öffnungsmaschine, weil Quellen leichter zugänglich werden und auch natürlich viele Originaldokumente. Wenn man früher - das kenne ich aus eigener Anschauung - lange recherchiert hat, um etwas zu finden - nehmen wir nur die Europäische Kommission, die war immer ein Dschungel -, das ist heute sehr viel einfacher und zugänglicher. Insofern denke ich, was man mehr investieren muss bekommt man aber auch, glaube ich, doppelt heraus, einfach weil der Horizont sehr viel weiter wird, aber es erfordert eben das Gespür - aber das ist doch eine Grundeigenschaft des Journalisten -, zu prüfen und zu checken, ist das überhaupt authentisch, und immer noch mal dreimal zu fragen, wem nützt das eventuell, wer könnte was mit welchem Interesse ins Netz gestellt haben, um überhaupt so einen Stein ins Wasser zu werfen.

    Dobovisek: Uwe Kammann, Leiter des Adolf-Grimme-Instituts. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen und vor allem für Ihren Besuch.

    Kammann: Gerne!