Dienstag, 19. März 2024

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Ausbau Erneuerbarer Energien
"Das erste Drittel der Energiewende hat prima geklappt"

In einigen Gebieten in Norddeutschland sei die Energiewende schon vollzogen, sagte Professor Richard Hanke-Rauschenbach im Dlf. Das liege aber nur daran, dass die Leitungen fehlten, um den dort produzierten Windstrom abzutransportieren. Insgesamt sei die Energiewende stark verzögert.

Richard Hanke-Rauschenbach im Gespräch mit Monika Seynsche | 11.12.2019
Windräder und eine Hochspannungsleitung stehen auf einem Feld.
Damit die Windenergie aus dem Norden in ganz Deutschland genutzt werden kann, braucht es Stromtrassen. Doch gegen die wehren sich Bürgerinitiativen häufig mit Erfolg (dpa)
Monika Seynsche: Wenn wir verhindern wollen, dass Millionen von Menschen durch den Klimawandel ihre Heimat oder sogar ihr Leben verlieren, dann müssen wir unseren Kohlendioxidausstoss massiv senken. Darin sind sich alle Forscher einig. Und weg von fossilen Energieträgern kommt man nur, wenn man die Erneuerbaren ausbaut. Auch darin sind sich alle einig. Trotzdem werden in Deutschland kaum noch Windenergieanlagen gebaut, und seit 2017 sind in wichtigsten Sparte der Erneuerbaren rund 35.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Deshalb habe ich mit Richard Hanke-Rauschenbach gesprochen, Professor für elektrische Energiespeichersysteme an der Universität Hannover, und ihn gefragt, ob die Energiewende tot ist?
Richard Hanke-Rauschenbach: Also ich würde sagen, die Energiewende ist nicht tot, die ist nur ziemlich stark verzögert. Die Ursache dafür liegt in verschiedenen Faktoren. Ein Punkt dabei ist, dass der Netzausbau zu langsam vorankommt. Dadurch kann sozusagen der Strom aus den entsprechenden Gebieten nicht abtransportiert werden, und deswegen hat dann die Bundesregierung gesagt, okay, wir können jetzt in diesen Gebieten, in den sogenannten Netzausbaugebieten, so nennt man die, nicht weiter zubauen, so lange der Strom nicht wegkommt, denn die Abregelungen, die bei diesen Anlagen entstehen würden, müssten dann auch wieder bloß alle Bürger tragen.
Und das andere ist, dass das Ausschreibungsverfahren für die Windenergie geändert wurde, ein bisschen angepasst wurde. Das läuft jetzt nach einem Ausschreibungsverfahren, und für die Realisierung dieser Ausschreibungen hat man anfangs eine sehr, sehr lange Frist gewählt. Und so haben dann viele Anbieter dann letzten Endes ein bisschen auf die Zukunft gewettet, haben gesagt, okay, wir müssen erst in so und so vielen Jahren realisieren, wir bieten jetzt noch niedrigere Preise an, als wir heute hätten machen können. Und das führt dann dazu, dass jetzt eben, nachdem die Zuschläge erteilt worden sind, nicht sofort realisiert wird, sondern jetzt einfach so lange gewartet wird, bis man realisieren muss.
Dadurch ist wie so eine kleine Delle in den Zubau reingekommen, die sich jetzt natürlich am anderen Ende auf die Hersteller auswirkt mit ganz schlimmen, dramatischen Folgen. Und die Hoffnung ist nun, dass die sozusagen diese Delle irgendwie durchstehen können, überleben können. Aber ich würde nicht sagen, dass deswegen die ganze Energiewende tot ist.
"Das erste Drittel der Energiewende hat prima geklappt"
Monika Seynsche: Gibt es denn Regionen in Deutschland, in denen diese Energiewende quasi funktioniert oder in denen das überhaupt funktioniert, dass man auf erneuerbare Energien umstellt?
Hanke-Rauschenbach: Also man kann das zum einen für ganz Deutschland beantworten. Wir haben ja insgesamt im Bundesdurchschnitt 35 Prozent, so um diese Größenordnung, erneuerbaren Strom im Netz. Und da würde ich sagen, das erste Drittel der Energiewende hat ja schon mal prima geklappt. Wir kommen sozusagen damit klar, konnten dadurch unsere CO2-Emissionen reduzieren und können da im Prinzip auch weitermachen.
Es gibt jetzt aber auch andere Gebiete in Deutschland, wo die Energiewende quasi schon viel weiter fortgeschritten ist. Wenn man das also bilanziell, also so eine Bilanzgrenze um so ein Gebiet zieht, zum Beispiel um Norddeutschland oder den Norden von Niedersachsen, dort ist quasi die Energiewende schon vollzogen, dort hat man also erneuerbaren Strom, Erneuerbaren-Deckungsgrade, die dann schon die 100-Prozent-Marke knacken. So könnte man sich jetzt vorstellen, dass der ganze Norden von Niedersachsen eigentlich die Energiewende schon geschafft hat.
Das stimmt natürlich nicht ganz, weil der Strom, der dort produziert wird, ist eigentlich für den ganzen Rest der Republik auch gedacht und nicht nur für da oben. Aber da er eben im Moment auch nicht in den richtigen Größenordnungen wegtransportiert werden kann, kann man sagen, dass dort im Norden schon die Energiewende vollzogen ist.
Es fehlt an Speicherkapazität
Seynsche: Wenn wir jetzt weiter voranschreiten beziehungsweise weiterdenken, was müsste denn jetzt eigentlich passieren, damit die Energiewende da oben wirklich auf Dauer auch funktioniert und auch in den anderen Teilen von Deutschland funktioniert?
Hanke-Rauschenbach: Also man braucht letzten Endes zwei Komponenten dafür. Das eine ist der weitere Ausbau erneuerbarer Energien, wir müssen also weitermachen, Photovoltaik- und Windenergieanlagen zu installieren. Wir haben im bundesdeutschen Durchschnitt das erste Drittel geschafft, und wenn man jetzt das zweite Drittel angehen würde durch einen weiteren Zubau von Erneuerbaren kämen dann auch Speicherbedarfe mit dazu, die hat man bisher nicht, weil man die Flexibilitäten, die im Zusammenhang mit der Nutzung von Erneuerbaren stehen, im Moment sehr gut durch den deutschen Kraftwerkspark und auch ein bisschen durchs Ausland mit ausgleichen kann.
Wenn man aber jetzt in dieses zweite Drittel der Energiewende einsteigt, dann müsste man so einen Tag-Nacht-Ausgleich bewerkstelligen und müsste dann sozusagen in einem gewissen Umfang auch wieder Speicher benutzen, so wie man es in der Vergangenheit schon gemacht hat, und auch weitere Speicher zubauen.
Und wenn ich es noch weitermachen würde, das letzte Drittel, nenne ich es mal, der Energiewende, dort würden wir also dann zu Erneuerbaren-Deckungsgraden kommen, die dann höher, 70, 80 Prozent sind, dort müssen wir dann weiter den Speicherbedarf erheblich ausbauen, weil man dann auch sogenannte kalte Dunkelflauten überleben können muss, also Zeiten, wo ich kein solares Dargebot und nur so ein mäßiges Winddargebot habe, aber den Kraftwerkspark auf der anderen Seite entweder nicht mehr habe oder nicht mehr nutzen darf. Dann muss ich also über mehrere Tage bis zu ein paar Wochen dann Energie zur Verfügung haben und dafür brauche ich dann erhebliche Speicherkapazitäten, die wir aber in Deutschland realisieren können.
"Das ist ein offenes Geheimnis, dass wir völlig hinterherhinken"
Seynsche: Wenn Sie sich dieses Szenario, das Sie gerade beschrieben haben, anschauen und gleichzeitig die Klimaziele, die die Bundesregierung formuliert hat, anschauen, passt das zusammen?
Hanke-Rauschenbach: Nein, ich glaube, das ist ein offenes Geheimnis, dass wir da völlig hinterherhinken. Die Zubaupläne, die wir uns gesetzt haben, und die damit einhergehenden Einsparungen von CO2 im Stromsystem, da sind wir einfach völlig hinterher. Das ist aber sozusagen auch auf allen Ebenen bekannt. Man kann sich ein bisschen fragen, woran das liegt. Also ich hatte ja vorhin gesagt, dass die Politik jetzt mit diesem geänderten Ausschreibungsverfahren sozusagen da letzten Endes eingewirkt hat, zum anderen auch der Netzausbau nicht vorankommt.
Am Ende des Tages müssen wir uns als Bürger auch ein bisschen an die Nase fassen oder ein bisschen hinterfragen: Wollen wir das eigentlich, stehen wir da dahinter? Denn der Netzausbau kommt nicht voran, weil es eben in bestimmten Regionen auch Bürgerinnen und Bürger gibt, die das halt nicht gut finden, dass dort dann eine Stromtrasse durchgeht. Diese Ausschreibungen wurden verändert, weil sich die Bundesregierung Sorgen gemacht hat, dass die Bürger das nicht mehr so toll finden, die EEG-Umlage weiterhin zu zahlen und damit zunehmende Stromkosten, also für die Endverbraucher, in Kauf nehmen wollen.
Das heißt, am Ende des Tages könnte man jetzt sagen, ja, die Politik, die macht das sicherlich nicht alles so optimal, wie es sein muss, sie reagiert letzten Endes, aber damit auch auf die Bürger sozusagen. Wir als Bürger müssen das auch pushen, wir müssen das wirklich wollen und dürfen eben nicht ganz im Sinne von "Not in my backyard" dann eben solche Projekte verhindern. Also die Schuld jetzt nur der Bundesregierung zuzuschieben, das wäre aus meiner Sicht ein bisschen zu einfach. Ich glaube, wir müssen uns auch als Bürger ein bisschen an die Nase fassen und uns da hinterfragen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.