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Ausbildungsplatzabgabe gefährdet duales System der Berufsausbildung

Simon: Wer nicht ausbildet soll bezahlen - das ist etwas verkürzt der Zweck der Ausbildungsplatzabgabe, so wie sie viele SPD-Politiker vor allem in der Bundestagsfraktion fordern. SPD-Chef Franz Müntefering sagte gestern im Deutschlandfunk, 35.000 Jugendliche seien im letzten Jahr ohne Arbeitsplatz geblieben, deshalb müsse nun gehandelt werden. Aber dieses Argument zieht nicht bei allen; am Telefon ist Wolfgang Gerhardt, der Fraktionschef der FDP im Bundestag, guten Morgen.

Moderation: Doris Simon |
    Gerhardt: Guten Morgen, Frau Simon.

    Simon: Sie sind mit Ihrer Partei gegen die Ausbildungsplatzabgabe. Was ist denn die Alternative?

    Gerhardt: Die Alternative ist und bleibt die Anstrengung von Betrieben, die ausbilden wollen, also in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Es gibt dazu keine andere Möglichkeit und bisher außer in dem letzten Jahr und jetzt in dieser Situation, hat es eigentlich auch immer im Großen und Ganzen geklappt. Es gab Mehrfachmeldungen, eine Beruhigung der Lage und zum Herbst hin noch ein weiteres höheres Angebot an Ausbildungsplatzen.

    Simon: Aber Sie sagen selbst, es hat schon im letzten Jahr nicht geklappt und bei aller Freiwilligkeit: Wenn es so nicht weitergeht, müssen dann nicht Regelungen her?

    Gerhardt: Diese Regelung, die jetzt vorgeschlagen wird, wird nach unserer Überzeugung dazu führen, dass es eher viele Betriebe gibt, die sich der Aufgabe entledigen, sagen wir zahlen die Abgabe, das ist für sie manchmal kostengünstiger als selbst auszubilden. Auf Dauer wird dann der Staat in die Verantwortung kommen und das bisherige so erfolgreiche duale System wird notleiden. Das kann nicht die Lösung nicht sein, die Herr Müntefering vorschlägt und es zeigt sich ja auch in seiner eigenen Bundestagsfraktion Widerstand gegen eine solche Ausbildungsplatzabgabe. Der prominenteste Name ist der Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister Clement ja auch höchst selbst, der es genauso sagt, wie ich es hier vertrete.

    Simon: Es gibt nun den Vorschlag einer konzertierten Aktion, einer Einbeziehung der Wirtschaft in die Gespräche. Was halten Sie von dieser Idee?

    Gerhardt: Gegen Gespräche ist nie etwas einzuwenden. Ich glaube auch, dass die großen Wirtschaftsverbände und die Unternehmen selbst wissen, dass sie eine gewaltige Anstrengung unternehmen müssen. Niemandem macht es Freude, wenn ein junges Mädchen oder ein junger Mann nach der Schulzeit als ersten Eindruck von einer Gesellschaft hat, dass er nicht gebraucht wird. Aber die Lösung, die der Kollege Müntefering vorschlägt, kann sie nicht sein. Sie wird wirklich kontraproduktiv wirken und wird ja jetzt schon mit Ausnahmeregelungen diskutiert zwischen SPD und Grünen mit Regionen, Krankenhäusern, bestimmten Unternehmen. Das wird ein Flickenteppich ohne Wirkung und er wird zu Attentismus führen: Die Betriebe werden jetzt erst einmal abwarten.

    Simon: Die Kritik ist groß, aber Ihre Kritiker sagen, nur zu gucken reicht auch nicht.

    Gerhardt: Wir schauen auch nicht nur, sondern wie bemühen uns wirklich und in einer freiheitlichen Demokratie ist im Grunde genommen auch eine der Möglichkeiten wirklich offener Debatte auch die Aufforderung an die Wirtschaft. Ich glaube, dass die Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft, denen ich begegne, genau wissen, dass es nicht nur um wirtschaften, Gewinn und Geld geht, sondern auch um diese große Chance für junge Menschen. Ich glaube, dass der Herbst mit dem Angebot an den Stichtagen, ich wage die Prognose, genügend Ausbildungsplätze bringt.

    Simon: Zu einem anderen Thema: Es wird in dieser Woche über den Aufbau Ost diskutiert - nach langer Zeit, in der nicht diskutiert wurde - und es werden viele Forderungen laut, die etwas anders damals schon der FDP-Außenminister Genscher 1990 ausgesprochen hat, Stichwort Niedriglohngebiet. Steht die FDP heute noch genauso hinter dieser Forderung?

    Gerhardt: Ja, wir würden es nur auf ganz Deutschland ausdehnen wollen, denn wir denken nicht mehr in den alten Kategorien Ost und West. Wir bedauern, dass damals alle anderen Parteien, vor allem über ihre Ministerpräsidenten, nicht bereit waren, ein Niedrigsteuergebiet zu ermöglichen. Das wundert mich ja, dass Herr Stolpe das jetzt auch vorschlägt, der damals auch nicht dafür war, der bayerische Ministerpräsident war dagegen, im Übrigen auch alle ostdeutschen Ministerpräsidenten. Ich würde mich für ein Programm aussprechen, das regional abgestimmt wird, das sich an Kriterien von Arbeitslosigkeit oder von anderen Daten festmachen lässt. Es gibt in Ost und West ganz schwierige Regionen, und in diesen Regionen uns zu konzentrieren auf solche Möglichkeiten, aber auch auf Wachstumskerne, das wäre wahrscheinlich das einzig Zielführende. Alles andere würde wieder eine falsche Ost-West-Debatte lostreten.

    Simon: Aber mit dieser Haltung haben Sie derzeit nicht viel Zustimmung.

    Gerhardt: Ich habe gestern zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auch gehört, dass Kollegen aus anderen Parteien in solchen Kategorien denken, und es ist ja auch einem Arbeitslosen und seiner Familie nicht zu vermitteln, wenn er etwa in einer westdeutschen Region arbeitslos wird und die Region eine hohe Arbeitslosigkeit hat, dass sie anders behandelt wird als eine Region in Ostedeutschland, die hohe Arbeitslosigkeit und Probleme hat. Wir müssen das jetzt wirklich einmal gesamtdeutsch denken. Wir sind keine zwei Länder, die miteinander konkurrieren, wir sollten uns darauf besinnen, dass wir ein Land sind, das vor schwerwiegenden Problemen steht.

    Simon: Sie reisen morgen zu Gesprächen in die USA, Thema wird dabei auch der Irakkrieg sein. In der Situation, so wie sie jetzt ist, was gilt eigentlich eine deutsche Stimme in den USA?

    Gerhardt: Nicht nur in den USA, eine deutsche Stimme gilt deshalb gegenwärtig auch sehr wenig, weil die Europäer sich nicht zu einer einheitlichen Antwort zusammenfinden. Es ist ja bemerkenswert, dass über ein Jahr nach dem Irakkrieg auch die Europäer überhaupt noch nicht mit einer Stimme sprechen in der Bewertung der Situation. Wir wollen eine gemeinsame europäische Außenpolitik manifestieren und sind nicht in der Lage, uns in der Situation zurechtzufinden. Ich glaube, dass nur eine gewichtige europäische Stimme etwas bringt in internationalen Gremien, im Übrigen auch in den Vereinten Nationen.