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Ausbildungsprojekt
VW-Azubis bewahren Auschwitz-Relikte

Seit 30 Jahren helfen Auszubildende des VW-Konzerns gemeinsam mit polnischen Berufsschülern, das Museum auf dem ehemaligen Lagergelände in Auschwitz in Stand zu halten. Sie werden so noch intensiver mit dem Gedenken an den Holocaust konfrontiert als gewöhnliche Besucher.

Von Florian Kellermann | 03.10.2018
    Ledertaschen von ermordeten Juden in Auschwitz
    Berührende Tätigkeit: Auszubildende halten Museums-Gegenstände in Auschwitz in Stand (dpa/ Ulrich Weingarten)
    Sophie Heck hält einen Kinderschuh in der Hand. Das Leder ist rau und brüchig. Vorsichtig führt sie einen Schlauch an die Innensohle: "Unsere Aufgabe ist es, die von innen einmal abzusaugen und von außen abzusaugen, damit sie danach zur Konservierung weitergebracht werden können. Das wird wohl alle paar Jahre gemacht, damit einfach auch der Staub und der Dreck und diese ganzen Zerfallsdinge einfach mal wegkommen, da die sonst in der Konservierung hängen bleiben würden."
    Das Museum instand halten
    Sophie Heck befindet sich in den Restaurations-Werkstätten des Museums auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Sie gehört einer Gruppe von Auszubildenden aus dem VW-Konzern an, von Standorten in Deutschland und Polen. Seit 30 Jahren bringt der Konzern junge Mitarbeiter nach Auschwitz, etwa 3.000 waren es bisher insgesamt. Sie helfen, das Museum instand zu halten.
    Die 17-Jährige, die zur Druckerin ausgebildet wird, hat mit der Schule schon das Konzentrationslager in Bergen-Belsen besucht. Aber die Arbeit in Auschwitz sei eine ganz andere Erfahrung: "Wir haben hier Schuhe gehabt, die so klein sind. Und diese Vorstellung, dass ein kleines Kind hier unschuldig umgebracht wurde, ist etwas ganz anderes, als wenn man in Bergen-Belsen die Massengräber sieht. Es ist passiert, es darf nicht noch einmal passieren. Und dementsprechend sollte man dies alles hier schon einmal gesehen haben."
    VW und die Aufarbeitung der Vergangenheit
    Für den VW-Konzern gehört das Projekt zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Er war mit dem nationalsozialistischen Regime verbunden und beschäftigte im Krieg Zwangsarbeiter. Außerdem vermittele der Aufenthalt den Azubis eine einzigartige Bildung, sagt Christoph Heubner, Vize-Präsident des Internationalen Auschwitz-Kommitees, das von Anfang Partner des Projekts war. Die jungen Menschen lernten, dass sie sich - auch unter Druck - immer für das Gute entscheiden könnten:
    "Wir machen das klar an den ersten Häftlingen, die hier nach Auschwitz gekommen sind. Das waren die Kriminellen, die die SS in Deutschland gewissermaßen rekrutiert, angeworben hat, hier in Auschwitz ihre verlängerten Hände, die Hunde auf zwei Beinen zu sein sozusagen. Und von denen hat die Mehrzahl dieser kriminellen sich entschieden, genau in dem Sinne zu funktionieren. Und einige wenige haben sich entschieden: Nein, ich bin ein Mensch, ich bin doch kein Massenmörder. Und sie wurden Freunde der Häftlinge, und sie haben Häftlingen sehr geholfen."
    Arbeit hinterlässt tiefe Spuren
    Bei den jungen Menschen hinterlasse die Arbeit hier tiefe Spuren, sagt Ines Doberanzke-Milnikel, die bei VW für das Projekt zuständig ist. Sie nennt das Beispiel eines Auszubildenden, der in rechtsextremen Kreisen sozialisiert war:
    "Wir haben dann ganz viele Gespräche geführt. Und er hat am Ende des Projekts gesagt, dass wir sein Leben auf den Kopf gestellt haben. Er ist seit dem 11. Lebensjahr immer wieder ins Ferienlager gefahren - und die Eltern wussten nicht, dass da wirklich rechte Erziehung stattgefunden hat. Und er ist wieder zurückgekommen und hat seine Sachen verbrannt. Er hat sich neu eingekleidet, hat sich mit seinem Zwillingsbruder, der immer noch rechts ist, gestritten und war wirklich Aussteiger."
    Eine Arbeit, die oft ansteht: Die jungen Leute erneuern einen Teil des Stacheldrahts um das Lagergelände. Immer nach 15 Jahren ist er so verrostet, dass er ausgetauscht werden muss. Reihe für Reihe spannen sie den Draht über die Isolatoren.
    Hier sind Talisa Harings und Igor Kasperski am Werk - Igor ist Auszubildender bei VW in Polen. Die beiden hätten sich hier angefreundet, sagt Talisa Harings, die in Wolfsburg zur Bürokauffrau ausgebildet wird:
    "Er kann eigentlich ganz gut Deutsch, ein bisschen Englisch, und das ist dann eigentlich gar kein Problem, miteinander zu reden und ihn kennenzulernen. Dann tauscht man Musik aus, hört ein bisschen polnischen Rap, ein bisschen deutschen Rap. Die Nationalhymne wurde gesungen, die polnische. Es ist total toll, dass man sich so austauschen kann und sich eben auch versteht."
    Mehr Bewerber als Plätze für das Projekt
    Volkswagen hat regelmäßig mehr Bewerber als Plätze für das Projekt in Auschwitz. Talisa Harings hatte sich dreimal beworben, bevor sie mitfahren durfte. Die Geschichtsbegeisterung hat sie von ihrem Vater. Doch gerade der befürchtete, dass sie die Erfahrung in Auschwitz zu sehr mitnehmen könnte:
    "Aber ich habe zu ihm gesagt: Ich möchte weinen. Ich möchte meine Emotionen ja ausdrücken. Mir war das bewusst, dass es schwierig würde, hier zu sein. Wenn wir in den Baracken herumlaufen oder uns die Krematorien angucken, das macht ja was mit einem. Das war mir vorher aber bewusst. Auch wenn das vielleicht eine Herausforderung für mich ist, es war mir wichtig."