Archiv


Ausbildungszeit soll weiter bei der Rente eine Rolle spielen

Elke Durak: Müssen Kinderlose Strafe zahlen? Nein, sie müssen nicht. Auch diejenigen, deren Kinder schon aus dem Haus sind oder die immer noch im Hotel Mama leben, sollen künftig einen höheren, nach Einkommen gestaffelten Pflegebeitrag zahlen, was die Bundesregierung natürlich nicht als Strafe verstanden wissen will, sondern als politischen Vollzug eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts unter anderen. Danach sollen und müssen bekanntlich Beitragszahler mit Kindern gegenüber Kinderlosen beim Beitrag für die Pflegeversicherung entlastet werden. Noch handele es sich nur um Arbeitspapiere, erklärte die Sozialministerin Schmidt gestern. Das bedeutet, die Diskussion ist wieder einmal eröffnet. Guten Morgen, Katrin Göring-Eckhardt, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Bundestag.

    Katrin Göring-Eckhardt: Schönen guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Frau Göring-Eckhardt, inwiefern werden Sie, werden die Grünen diesen Vorschlag der SPD mittragen? Es gibt ja noch mehr in Sachen Pflege.

    Göring-Eckhardt: Dazu muss man sicher zwei Sachen vorlegen. Erstens: Das Verfassungsgerichtsurteil muss umgesetzt werden, Eltern sollen dort anders behandelt werden als Kinderlose. Das haben wir ja in den anderen Sozialversicherungssystemen auch. Bei der Krankenversicherung sind Kinder kostenfrei mitversichert, und bei der Rentenversicherung ist es so, dass Erziehungszeiten für die Rente anerkannt werden. Also müssen Sie es bei der Pflegeversicherung umsetzen. Da ist die Rechnung ganz einfach: Entweder man sagt, man muss die Eltern entlasten, das hieße, es gäbe weniger Einnahmen für die Pflegeversicherung, oder man muss es mit so einem Weg machen, wie es jetzt von der Sozialministerin vorgeschlagen wurde oder mit einem ähnlichen, der Kinderlose etwas stärker belastet. Ich glaube, dass es bei der Pflegeversicherung nicht möglich ist, Einsparungen zu machen. Hier sind die Budgets seit Jahren gedeckelt. Das führt häufig dazu, dass am Pflegebett verhandelt wird, welche Leistung gemacht werden kann und welche nicht. Ich denke, dass die Pflegeversicherung keine Sparveranstaltung ist, sondern dass wir zu so einem Weg oder zu einem ähnlichen Weg, wie ihn die Sozialministerin vorgeschlagen hat, kommen müssen.

    Durak: Haben Sie noch andere, um nicht zu sagen, bessere Ideen, dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Folge zu leisten?

    Göring-Eckhardt: Wir werden darüber diskutieren, ob es andere Wege gibt. Aus meiner Sicht wird es aber ganz bestimmt nicht darauf hinauslaufen, dass man innerhalb der Pflegeversicherung spart.

    Durak: Frau Göring-Eckhardt, es gibt eine große Aufregung um die Ausbildungszeiten, die laut SPD nicht mehr für die Rentenberechnung hinzugezogen werden sollen. Es gibt da aus den Reihen der Opposition natürlich sehr harte Worte, aber die Frage ist erstens: Wollen das die Grünen auch? Und zweitens: Ist das ganze verfassungssicher? Zum ersten: Wollen Sie auch die Ausbildungszeiten nicht mehr hinzuziehen für die Rentenberechnung?

    Göring-Eckhardt: Zunächst einmal muss man ja sagen, dass die Aufregung in der Opposition schon auch ein bisschen vorgeschoben ist. Da wurden in den vergangenen Jahren auch Ausbildungszeiten zurückgefahren. Das ist eine Regelung, die aus früheren Zeiten stammt, als man junge Menschen dazu anregen wollte, sehr viel stärker Abitur zu machen, zu studieren, etc.. Ich bin nach wie vor dafür, solche Anreizsysteme zu schaffen. Ich glaube aber, man muss sie heute eher im Bildungssystem schaffen. Man muss heute dafür sorgen, dass die Schulen besser werden, dass man besser Abitur machen kann, und dass natürlich auch an den Universitäten Reformen passieren, so dass im Bildungssystem Dinge verbessert werden. Ich glaube nicht, dass sich jemand hindern oder anreizen lässt zu studieren oder nicht dadurch, dass er die Aussicht hat, innerhalb der Rente dann bestimmte Vorteile zu haben. Trotzdem, Ulla Schmidt hat es gesagt: Es ist ein Arbeitspapier. Man kann darüber diskutieren. Diese Zeiten sollten auf jeden Fall nicht Rentenausfallzeiten sein. Das ist natürlich ganz wichtig, wenn man später darüber spricht, dass man mindestens 35 Jahre gearbeitet haben muss, um bestimmte Leistungen zu bekommen oder ganz und gar 45 Jahre, um in Rente gehen zu können. Das müssen also Zeiten sein, die angerechnet werden auf den Rentenbezug, aber möglicherweise eben nicht auf die Rentenhöhe.

    Durak: Also dennoch, auch wenn es kompliziert ist: Einen kompletten Verzicht darauf befürworten Sie nicht?

    Göring-Eckhardt: Nein, es muss keinen kompletten Verzicht geben. Die Frage ist, ob die Zeiten angerechnet werden, aber ob es eben nicht auf die Rentenhöhe angerechnet wird.

    Durak: Was heißt das? Erklären Sie das bitte.

    Göring-Eckhardt: Das ist so, dass die Frage, ob die Ausbildungszeiten sich auch als Anwartschaftszeiten im Sinne von "Ich bekomme auch für diese Zeit eine höhere Rente", genutzt werden, oder ob die Ausbildungszeiten nur als Zeit für die Rentenbezugsdauer genutzt werden. Darum geht es. Ich glaube, dass es ausreicht, wenn man sagt, das sind Rentenzeiten, aber das sind keine Zeiten, in denen sich die Rente, die man mal bekommt, erhöht.

    Durak: Was würde sich nach dem neuen Modell rein fiskalisch ändern für die Betroffenen? Wie sieht das aus?

    Göring-Eckhardt: Es würde sich nach dem Modell, was jetzt vorgeschlagen ist, ändern, dass man nicht eine höhere Rente bekommt, aber dass das auch keine Rentenausfallzeiten sind, dass man also keine niedrigere bekommt.

    Durak: Also keine "Rentenkürzung" sozusagen. Es gibt ein neues Schlagwort: Witwenrenten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kümmert sich um die Witwenrenten. Auf diese müsse in Zukunft besonders geachtet werden. Es sollte besonders auf solche Frauen begrenzt werden, die wirklich auf die Unterstützung angewiesen sind. Das bedeutet, eigene Einkünfte der Hinterbliebenen müssten stärker angerechnet werden. Dies noch für unsere Hörer gesagt: 36 Milliarden Euro jährlich machen Witwen- und Witwerrenten aus, und damit den Großteil der familienpolitischen Leistung der Rentenversicherung. Also, Frau Göring-Eckhardt, ist mit den Grünen eine derartige Umgestaltung der Witwenrenten zu machen?

    Göring-Eckhardt: Da muss man sich mal anschauen, was heute schon der Fall ist. Heute schon werden andere Einkommen angerechnet. Heute schon ist es so, dass Witwen, die jünger sind, die sich also einstellen konnten auf ein anderes System, anders behandelt werden als welche, die älter sind. Natürlich war es früher so, dass Frauen häufig Hausfrauen waren, zu Hause geblieben sind, insbesondere in Westdeutschland. Bei denjenigen, die jetzt kurz vor der Rente stehen oder schon in Rente sind, halte ich es für absurd, bei der Witwenrente Kürzungen vorzunehmen. Bei den jüngeren haben wir das bereits gemacht, weil wir davon ausgehen, dass jüngere Frauen erwerbstätig beziehungsweise erwerbssuchend sind und wir davon ausgehen, dass man dann eine so hohe Absicherung für die Witwe nicht mehr braucht. Es wird nach wie vor eine geben, auch geben müssen. Das finde ich richtig, weil natürlich die Kindererziehung nach wie vor vor allen Dingen bei den Frauen stattfindet und wir diese Zeiten absichern wollen, deswegen also Witwenrenten sinnvoll bleiben. Was aber andere Einkommen angeht, so werden die heute schon angerechnet. Ich glaube, dass dieser Vorschlag nicht sinnvoll ist.

    Durak: Die rot-grüne Regierung geht in den Vermittlungsausschuss. Zuerst mit den Arbeitsmarktreformen, mit dem, was sie jetzt beraten und beschließen werden sicherlich im einen oder anderen Fall auch. Nun tut sich ein neuer Bündnispartner auf, Frau Göring-Eckhardt: Ihr Ministerpräsident sozusagen, der von Thüringen, Althaus, hat einen Vorschlag für den Osten gemacht und wendet sich dabei gegen seine eigene Partei. Er hat vorgeschlagen, in Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit auf die Absenkung des Arbeitslosengeldes II auf Sozialhilfeniveau zu verzichten, meint, dass die Region bei 5 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen müsste, dann sollte das eintreten. Auch was die künftige Arbeitsvermittlung angeht, trennt er sich von der CDU-Linie. Er will das ganze bei der Nürnberger Bundesanstalt ansiedeln. Die Kommunen wären überfordert. Haben Sie einen neuen Bündnispartner gefunden?

    Göring-Eckhardt: Was das zweite angeht, muss man sagen, dass es schon darauf ankommt, dass die Kommunen einbezogen werden, weil die hohe Kompetenzen haben, gerade bei der Vermittlung von solchen Menschen, die sehr lange außerhalb des Arbeitsprozesses waren und für die man zusätzliche Maßnahmen braucht. Ich bin aber froh, dass es offensichtlich von Herrn Althaus nicht mehr zu einem Kampfthema gemacht wird. Es ist auch richtig, dass die Kommunen alleine, das ist ja der Vorschlag der Union, bei der Arbeitsvermittlung alleine natürlich überfordert wären. Da ist die Bundesanstalt für Arbeit kompetent. Das ist auch richtig so. Was die Frage der Zusammenlegung von Arbeitslosen und Sozialhilfe angeht, bin ich allerdings anderer Meinung. Ich finde, man sollte gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ein ganz besonderes Augenmerk darauf richten. Ich glaube aber, man sollte sich dort darum kümmern, dass es Angebote gibt und sich nicht besonders darum kümmern, welche Leistungen es auf der finanziellen Seite gibt. Ich glaube auch, in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit gibt es natürlich viel zu tun, auch im öffentlichen Bereich übrigens. Auf der einen Seite schließen gerade in Ostdeutschland reihenweise die Diskotheken. Auf der anderen Seite sitzen Akademiker und Akademikerinnen zu Hause. Es gibt viel zu tun, gerade in solchen Regionen, in der Jugendarbeit. Ich glaube, wir sollten uns dann eher fragen, welche öffentlichen Möglichkeiten von Beschäftigung es gibt, damit nicht Menschen zu Hause sitzen, die eigentlich für die Gesellschaft etwas tun können und sollten als uns darüber zu unterhalten, wie das mit den Leistungen ist. Ich finde den Ansatz aber sehr wichtig, dass man sich anschaut, wie das in Regionen mit sehr, sehr hoher Arbeitslosigkeit ist, wie viel sie in Ostdeutschland haben, aber auch in manchen Regionen Westdeutschlands.

    Durak: Katrin Göring-Eckhardt, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Bundestag. Herzlichen Dank, Frau Göring-Eckhardt, für das Gespräch.

    Göring-Eckhardt: Ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Durak: Danke schön. Diesen Wunsch geben wir an die Hörer weiter.