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Ausbruch Erster Weltkrieg
Gavrilo Princip: Held oder Terrorist?

Der serbische Gymnasiast Gavrilo Princip erschoss am 28. Juni 1914 den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine schwangere Gattin - und löste damit den Ersten Weltkrieg aus. Der Journalist Gregor Mayer zeichnet in seinem Buch "Verschwörung in Sarajewo" ein differenziertes Bild der Persönlichkeit des Attentäters.

Von Gerwald Herter | 23.06.2014
    Ein Museum in Sarajevo erinnert an das Attentat vom 28. Juni 1914, das zum Ersten Weltkrieg führte: Der Mörder Gavrilo Princip (links) und sein Opfer, der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand.
    Ein Museum in Sarajevo erinnert an das Attentat vom 28. Juni 1914, das zum Ersten Weltkrieg führte: Der Mörder Gavrilo Princip (links) und sein Opfer, der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand. (dpa / picture alliance / EPA / Fehiim Demir)
    Held oder Terrorist? Zwar widmet Gregor Mayer Gavrilo Princip ein ganzes Buch, doch ausgerechnet die Antwort auf diese scheinbar so einfache Frage – Held oder Terrorist? – bleibt er seinen Lesern schuldig.
    "Er war wohl keines von beiden. Seine Tat war ein klassischer Attentatsmord gegen einen hohen Repräsentanten einer Besatzungsmacht. Insofern ist vielleicht auch die Bezeichnung Terrorist im heutigen Sinne nicht zutreffend. Er war ein Attentäter und er hat die Spitze jenes Staates treffen wollen, die sein Land besetzt hat."
    Österreich-Ungarn. In Jugoslawien galt Princips Tat deshalb als heldenhaft und viele Serben sehen das bis heute so. Viele Bosniaken betrachten das jedoch ganz anders, hatte die Besatzung aus ihrer Sicht doch auch Positives. Gregor Mayer lässt sich darauf nicht ein, er entwirft ein differenziertes Bild der Persönlichkeit des Attentäters, seiner Entwicklung, seiner Kindheit und Jugend, ohne allzu besetzte Begriffe und Kategorien zu benutzen. Diese Gratwanderung bestimmt Mayers Buch, gerade das ist interessant. Und Mayer zieht trotzdem gewagte Schlüsse:
    "Gavrilo Princip stünde heute möglicherweise an der Spitze von Occupy"
    Princip und seine Mitstreiter seien keine Massenmörder gewesen, erläutert Mayer. Dass sie den Tod der schwangeren Sophie Chotek bedauerten, hebt er in seinem Buch mehr als einmal hervor. Das mag auch an der wohl wichtigste Quelle liegen, die Mayer ausgewertet hat: den Aufzeichnungen des Neurologen und Psychiaters Dr. Martin Pappenheim. Dem Urteil gegen Princip folgte die Kerkerhaft und sein Tod in Theresienstadt. Pappenheim konnte dort mehrmals mit dem Attentäter sprechen.
    Auf Deutsch gab es kaum Material über den Attentäter
    Auch dem Psychiater ging es um die Frage, was Princip zu seiner Tat trieb. Gregor Mayer nimmt die Beobachtungen des, wie er schreibt, "linkssozialistischen" Arztes kritisch auf und fügt viele eigene Erklärungen hinzu - wie zum Beispiel die Einflüsse russischer oder serbischer Schriftsteller. Immer erklärend, faktenreich, oft zitierend, aber eben nie ohne Not wertend - und das sei volle Absicht, betont Gregor Mayer:
    "Es ist eine bewusst gewählte Strategie, aus folgendem Grund: Als ich mich dazu entschloss, dieses Buch zu schreiben, war mir klar, dass in deutscher Sprache sehr wenig über die Attentäter existiert, über deren Herkunft, deren ideologisch-geistiges Umfeld, über deren Ambitionen, während es Bände von Literatur über das Attentat als solches, über den Thronfolger und dergleichen gibt. Deshalb wollte ich dieses Buch so anlegen, dass man das also ohne, wie es heißt, sine ira et studio, das heißt also ohne große Emotionen, ohne große Schuldzuweisungen, einmal diese Informationen rezipieren kann."
    Mayer ist freier Journalist, lebt vor allem in Budapest und in Belgrad, und er hat schon in den 90er-Jahren aus dem zerfallenden Jugoslawien berichtet – für Zeitungen und Zeitschriften aber auch für eine Nachrichtenagentur. Die Interpretation historischer Fakten war in diesen Kriegen und Konflikten eine wichtige Waffe der Propaganda. Sie sich nicht zu eigen zu machen, war im zerfallenden Jugoslawien für ausländische Journalisten eine eiserne Regel.
    Mayers "bewusst gewählte Strategie" wird in seinem Buch zum Beispiel auch deutlich, wenn er das österreichische Besatzungsregime in Bosnien beschreibt: Er zählt Fortschritte auf, von der Straßenbahn in Sarajevo bis zur Bibliothek, erwähnt aber auch ausgebliebene Reformen, etwa in der Agrarwirtschaft, die bestehenden Privilegien bestimmter Bevölkerungsschichten. Die Familie Princip gehörte nicht dazu.
    Die Festnahme des Attentäters Gavrilo Princip (mit einem X gekennzeichnet), der den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo erschossen hat.
    Die Festnahme des Attentäters Gavrilo Princip (mit einem X gekennzeichnet), der den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo erschossen hat. (picture alliance / dpa)
    In anderen Zusammenhängen wertet Mayer jedoch klar: etwa bei der Kriegsschuldfrage. Dass der serbische Geheimdienst die Attentäter unterstützte, bezweifelt er nicht:
    "Mit heutigen Augen betrachtet erscheint es verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit staatliche Organe eingespannt wurden, um einen Mordanschlag gegen den hohen Würdenträger eines Nachbarlandes zu ermöglichen. Tatsächlich spielte die tätige Mithilfe serbischer Amtsträger bei der Vorbereitung des Attentats auf den Thronfolger in der österreichischen Rechtfertigung der militärischen Aggression gegen Serbien eine zentrale Rolle. Doch so einfach liegen die Dinge nicht."
    Denn, so Mayer, der serbische Geheimdienst-Oberst Apis bildete mit seinem Netzwerk einen Staat im Staate, der sich in einem fortwährenden Machtkampf mit anderen Akteuren der serbischen Innenpolitik befand. Der serbische Geheimdienst lässt sich also nicht, das steht für Gregor Mayer fest, mit Serbien gleichsetzen. Mayer hat sein Buch auch in Belgrad vorgestellt. Den Journalisten der größten serbischen Zeitungen und Sender war Gavrilo Princip weniger wichtig als die Kriegsschuldfrage:
    "Sie haben den einen Satz von mir zitiert, dass Serbien nicht schuld war am Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Das war ihnen wichtig, dass sie das von mir zitieren konnten, weil man sich ja irgendwie schon wieder in einer nationalistischen Defensive wähnt."
    So hat jüngst auch die serbische Regierung ein Dokument veröffentlicht, dass die These von der serbischen Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs widerlegen soll. Für Außenstehende ist das ein längst überholter Streit, offenbar ist das in Belgrad anders. In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo hatten bosnisch-serbische und bosnische Verantwortliche lange darüber gestritten, ob Gavrilo Princip ein Held oder ein Terrorist war. Für Gregor Mayer ist auch das keine entscheidende Frage mehr, obwohl er zumindest im Gespräch über sein Buch dann doch noch eine Antwort gibt:
    "Wenn an Gavrilo Princip heldenhafte Züge waren, dann meines Erachtens eventuell in seiner wirklich entsetzlichen Haft in Theresienstadt, wo er nach dem Prozess eingekerkert war – unter unbeschreiblichen Bedingungen dahinstarb und nicht einmal die Kraft zum Selbstmord aufbrachte."
    Gregor Mayer: "Verschwörung in Sarajewo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Pricip"
    144 Seiten, Residenz-Verlag, 19,90 Euro