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Auseinandersetzung um den Oskar-Pastior-Preis

Der deutsch-rumänische Dichter Oskar Pastior schrieb eine kratzig-vertrackte Poesie. Er erhielt den Büchner-Preis, verstarb vor vier Jahren, hinterließ einen Oskar-Pastior-Preis und wurde kürzlich als IM der Securitate entlarvt. Zündstoff für seine deutsch-rumänischen Schriftstellerkollegen.

Von Gerhard Mahlberg | 22.11.2010
    Die rumäniendeutschen Schriftsteller sind bestürzt über die Securitate-Verstrickung Oskar Pastiors. Doch das heißt nicht, dass sie bei der Bewertung seines Falles einer Meinung sind. Im Gegenteil, unter ihnen ist heftiger Streit ausgebrochen. Einer, der schon immer für Klarheit in den Debatten gesorgt hat, der polarisiert, ist Richard Wagner. Auch diesmal war er es, der als Erster den scharfen Ton angeschlagen hat. In der "Neuen Zürcher Zeitung" schrieb er unter der Überschrift: "Vom Nachlass zur Hinterlassenschaft" über den Büchnerpreisträger des Jahres 2006: "Pastior ist plötzlich unter all den Saxofonisten der Glasbläser." Eine bitterböse Bemerkung, die den gefeierten Autor Pastior mit einem Schlag in die Nähe des Kunstgewerbes rückt.

    Richard Wagner, der einstige Wortführer jener Aktionsgruppe Banat der 1970er-Jahre, in deren Umfeld auch die letztjährige Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zur Autorin reifte, sieht, anders, als diese, keine Zukunft für eine Oskar-Pastior-Stiftung, auch nicht für einen nach Oskar Pastior benannten Literaturpreis. Der Lyriker Horst Samson, Jahrgang 1954, und wie Wagner und Müller, aus dem Banat gebürtig, stimmt Richard Wagner zu. Dabei unterstreicht Horst Samson die Bedeutung, die Oskar Pastior für die jüngeren rumäniendeutschen Autoren gehabt hat:

    "Wir haben ihn bewundert, weil er so gut angekommen ist in der hiesigen Literaturwelt, weil er sich richtig gut hier zu Recht gefunden hat - und plötzlich der experimentelle Dichter der deutschen Literatur war. Das hat uns allen sehr imponiert."

    Von Horst Samson ist im vergangenen Jahr der Gedichtband "Und wenn du willst, vergiss" erschienen. Samson siedelte 1987 in die Bundesrepublik über. Auch wenn ihm im Westen der große Durchbruch als Dichter versagt geblieben ist, glaubt Horst Samson aus seiner rumäniendeutschen Perspektive eines erkennen zu können: dass man künftig keinen Autor mit der Verleihung eines nach Oskar Pastior benannten Preises mehr glücklich machen wird. Horst Samson erklärt, wo für ihn das Problem liegt:

    "Es ist nicht das Werk, es ist die Person, seine Biografie. Wenn du einen Preis kriegst, der einen Namen hat, dann kriegst du nicht den Preis eines literarischen Werkes, du kriegst den Preis eines Menschen und eines Dichters. Wenn du einen Literaturpreis kriegst, der den Namen dieses Mannes hat, dann kriegst du alles von dem, nicht wahr, das ist ja sein Vermächtnis. Du bist plötzlich der Erbe dieses Mannes, und dieses Erbe würde ich ausschlagen."

    Dabei weiß Horst Samson nur zu gut - und er räumt das auch ein -, dass er keine Gefahr läuft, diesen Preis je zu erhalten. Mit seiner Auffassung von Poesie steht er den sinnstürzenden Sprachexperimenten Oskar Pastiors ästhetisch fern. Das ist bei Gerhardt Csejka anders. Der 1945 geborene Literaturkritiker und ehemalige Redakteur der in Bukarest herausgegebenen deutschsprachigen Zeitschrift "Neue Literatur" war nicht nur ein wichtiger Förderer der Aktionsgruppe Banat - er ist auch ein glühender Bewunderer Oskar Pastiors. Der Behauptung, man könne die Oskar-Pastior-Stiftung nun begraben, widerspricht Gerhardt Csejka empört:

    "Nein, warum sollte die die Tätigkeit einstellen. Die soll natürlich weitermachen. Der Büchnerpreisträger muss in seinen, diesen dunklen Dimensionen als großer Autor wiederentdeckt werden, glaube ich, - so wie es jetzt aussieht, ist er schwer beschädigt, und es ist ungerecht, es ist zutiefst ungerecht, dass man Oskar Pastior jetzt gleichstellt mit einem ganz ordinären Spitzel."

    Gerhardt Csejka steht zu seinem toten Freund, ungeachtet der Verfehlungen. Die seien zwar unstrittig; doch es gelte, nicht nur die Schuld ins Auge zu fassen, sondern auch die finsteren Verhältnisse, die diese Schuld hervorgebracht haben. Gerhardt Csejka stimmt traurig, dass nun auch ehemalige Freunde Oskar Pastiors die Würde eines Literaturpreises in Zweifel ziehen, der seinen Namen trägt. Wenn es einmal so weit komme, dass der Oskar-Pastior-Preis nicht mehr vergeben werden kann, dann wird das eine Niederlage für uns alle sein, warnt Gerhardt Csejka.

    Das ist ein überzeugendes Argument. Ihm muss auch derjenige beipflichten, der die rumäniendeutsche Literaturszene nur von außen betrachtet. Denn die Niederlage, von der Gerhardt Csejka spricht, wäre nicht nur eine Niederlage, die sich die rumäniendeutschen Schriftsteller selbst zufügen. Sie wäre ein Debakel der modernen Poesie.