Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Ausländerbeirat von rot-grüner Regierung enttäuscht

Heute legt die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck in Berlin ihren zweijährlichen Bericht zur Lage der Ausländer in Deutschland vor. Für den Vorsitzenden des Ausländerbeirats, Memet Kilic, fällt die Bilanz rot-grüner Ausländerpolitik weniger gut aus. Gerade mit dem Zuwanderungsgesetz seien die Migranten zu gläsernen Menschen gemacht worden.

23.06.2005
    Heinlein Marieluise Beck ist stolz: Eine Million neue Deutsche seit der Reform des Einbürgerungsrechtes, eine Bilanz der vergangenen fünf Jahre. Für die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung in dieser Woche ein Beleg für den Erfolg der rot-grünen Reformen. Doch die Freude über die neuen Staatsbürger ist nicht ungeteilt. Führende Unions-Politiker kündigten an, Politik der massenhaften Zuwanderung im Wahlkampf zum Thema zu machen. Für viele Verbände und Flüchtlingsorganisationen ein gefährliches Spiel mit der Angst. Heute wird Marieluise Beck in Berlin ihren zweijährlichen Bericht zur Lage der Ausländer in Deutschland vorstellen. Und darüber möchte ich mich jetzt unterhalten mit dem Vorsitzenden des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic. Guten Morgen.

    Kilic Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein Herr Kilic, fühlen Sie sich wohl in Deutschland?

    Kilic Auf jeden Fall. Es ist ein schönes Land mit freundlichen Menschen. Sicherlich - wie in jedem Land - gibt es auch hier Probleme, insbesondere für Migranten und Flüchtlinge.

    Heinlein Was sind diese Probleme?

    Kilic Einmal, die gesellschaftliche Akzeptanz ist sehr gering, zweitens manche politischen Parteien versuchen bei jeder Gelegenheit dieses Thema zu emotionalisieren. Um zu ihren Gunsten ein paar rechte Stimmen zu bekommen, hetzen sie auf die Migranten und Flüchtlinge und diese Themen. Und dann gibt es auch rechtliche Diskriminierungen und wenig rechtlichen Schutz für Migranten gegen Diskriminierungen. Das sind die schwierigen Sachen, die wir auch in Deutschland haben, wie in manchen anderen europäischen Ländern.

    Heinlein Hat sich das Klima, Herr Kilic, die Einstellung gegenüber ausländischen Mitbürgern in den letzten Jahren, in den Jahren unter einer rot-grünen Bundesregierung verändert.

    Kilic Nicht wesentlich. Wir hatten eine kurzfristige positive Einstellung gegenüber Migrantinnen und Migranten, als wir über diese Computerspezialisten gesprochen haben. In den Hauptnachrichten war eine hübsche indische Dame vor einem Computer zu sehen. Zum ersten Mal seit 15 Jahren hatten wir ein positives Bild von Migranten, die uns sozusagen nutzen. Und dann kam natürlich Kleinrechnerei, was die uns nutzen und kosten, und dann hatten wir wieder ein schlechtes Klima. Über das Zuwanderungsgesetz haben wir - Sie wissen schon - sehr konfrontativ diskutiert. Und am Ende kam eine sehr merkwürdige Mischung raus, von Sicherheitspaketen und doch ein paar guten Sachen, wie Integrationskurse und Familienzusammenführungsangelegenheiten und ein besserer Aufenthaltsstatus für Hochqualifizierte. Sonst sind die Sachen übrig geblieben, wie Sicherheitspakete aber auch Ausländerzentralregister, die die Migranten zu gläsernen Menschen gemacht haben. Jede kleine Ordnungsbehörde kann in alle meine Daten schauen. Das verstehe ich nicht in einem Rechtsstaat.

    Heinlein Hätten Sie sich mehr erhofft von einer rot-grünen Bundesregierung, was Veränderungen des gesellschaftlichen und politischen Klimas gegenüber Ausländern angelangt?

    Kilic Mit Sicherheit, weil die Erwartung an so eine Regierung viel größer ist, als an eine andere Regierung. Ich bin mir sicher, dass es den Migranten und Flüchtlingen unter einer schwarz-gelben Koalition viel schlechter gehen kann. Das kann ich schon im voraus sagen. Ich habe es vermisst, dass diese Regierung offensiver auf dem Gebiet operiert und doch eine gesellschaftliche Diskussion entfacht. Bei wichtigen Zukunftsprojekten hat man das vernachlässigt. Zum Beispiel Staatsangehörigkeitsrecht, dort hat man Kinderstaatsangehörigkeit eingeführt, also zu sagen, dass mit Geburt unter bestimmten Bedingungen Migrantenkinder die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Das ist wirklich eine hervorragende Reform, aber eine offensive Diskussion in der Gesellschaft über Mehrstaatlichkeit haben wir vermisst. Aber auch beim Antidiskriminierungsgesetz kommen Unionsparteien populistisch her und versuchen, ihre völkerrechtliche Verpflichtung beiseite zu legen. Und da vermisse ich natürlich von der Regierung eine offensive Diskussion in der Gesellschaft, damit wir eine positive Einstellung gegenüber Migrantinnen und Migranten haben. Dieses heiße Eisen will keiner fassen. Solange wir das gesellschaftliche Klima nicht positiv ändern können, können wir weder die gesetzlich Lage noch die politische Lage ändern.

    Heinlein Sie haben die Union und die möglichen Folgen eines Regierungswechsels angesprochen. Befürchten Sie jetzt im Vorfeld einen Wahlkampf auf dem Rücken von Minderheiten, Asylbewerbern oder Flüchtlingen?

    Kilic Ja, diese Befürchtung ist bei uns immer vorhanden, weil wir das bei jedem Wahlkampf - klein oder groß - erlebt haben, auch bei Landtagswahlen. Eines der Argumente von Rot-grün war ja, als dieses Zuwanderungsgesetz mit vielen schlimmen Dimensionen auch beschlossen wurde, dass das Thema vom Tisch weg wäre und es wird nicht mehr beim Wahlkampf instrumentalisiert. Gegenüber wurde das so gesagt, als wir das Zuwanderungsgesetz kritisiert haben, merkten wir schon, dass das nicht der Fall ist und die Unionsparteien immer wieder diese Emotionalisierung brauchen. Aber das ist beschämend. International wird es verächtet, dass man auf dem Rücken von Migranten versucht Wahlkampf zu treiben. Wo war denn Herr Beckstein oder die anderen, als dieses Zuwanderungsgesetz beschlossen wurde - einheitlich in einem Vermittlungsausschuss. Die könnten unmittelbar danach rauskommen und sagen, dass sie mit diesem Gesetz nicht einverstanden sind. Nein, dort haben sie es beschlossen und jetzt kommen sie und sagen, dass sie etwas dringend ändern müssen.

    Heinlein Wird denn die Meinung der Betroffenen, also etwa der Ausländerbeiräte, für die Sie heute hier sprechen, von der Politik ausreichend berücksichtigt sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene?

    Kilic Auf kommunaler und auf Länderebene haben wir mehr Möglichkeiten zu kommunizieren und wir sind ja ein beratendes Gremium. Und die beratenden Gremien sind essentiell in einer pluralistischen Demokratie, die wir in Deutschland haben. Und wir sind der Meinung, dass die Medienresonanz nicht schlecht ist, öffentlich werden wir sehr gut gehört. Nur uns fehlen auf Bundesebene bestimmte rechtliche Instrumentarien, wie Anhörungsrechte, die zum Beispiel die Bauernverbände oder andere Spitzenverbände haben. Diese Rechte haben wir bis heute nicht, also diese politische Anerkennung nicht und aber auch finanzielle Anerkennung nicht. Der Bundesausländerbeirat auf Bundesebene operiert mit Null finanziellen Mitteln, das hat sich auch unter einer rot-grünen Regierung trotz aller Mühe nicht geändert.

    Heinlein Kurz zum Schluss, Herr Kilic, erwarten Sie, dass Marieluise Beck heute in ihrem Bericht diese von Ihnen genannten kritischen Punkte offen ansprechen wird?

    Kilic Ich kenne die bisherigen Berichte, das sind nüchterne Analysen und statistische Wiedergaben, die helfen uns mit Sicherheit. Aber dort fehlt es in der Regel an Zukunftsszenarien und Handlungsnotwendigkeiten, was Deutschland kurzfristig, mittelfristig und langfristig tun soll, damit es sich gesellschaftlich insgesamt besser fühlt, und an Kommentierungen über zum Beispiel Polizeiberichte oder auch über die Diskriminierungsfälle, wo sie sich häufen. Und solche Analysen fehlen in der Regel. Bisher war es die EU-Erweiterung - was kann auf uns zukommen. Das war sehr interessant. Also ich meine, solche Zukunftsszenarien braucht auch so ein Bericht. Ich hoffe, dass es in der Zukunft der Fall sein wird.

    Heinlein Heute Morgen hier im Deutschlandfunk der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates Memet Kilic. Ich danke für das Gespräch.