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Auslandsauftakt des Giro d'Italia
Mehr als Radsport in Jerusalem

Der erste Auslandsstart des Giro d'Italia hat begonnen - in Jerusalem. Das heikle politische Umfeld stellt den Sport aber vor ein Dilemma. Denn während die einen auf schöne Bilder eines friedlichen Israels hoffen, symbolisiert dieser Start für andere den Verstoß gegen internationale Abkommen.

Von Tom Mustroph | 05.05.2018
    Tom Dumoulin, der Sieger des Einzelzeitfahrens des Giro d`Italia in Jerusalem
    Tom Dumoulin, der Sieger des Einzelzeitfahrens des Giro d`Italia in Jerusalem ( Stiehl Photography / imago sportfotodienst)
    Die Stimmung ist prächtig beim großen Start des Giro d'Italia in Jerusalem. Auch die Fahrer sind begeistert. Erst recht, wenn sie aus Israel kommen, wie Guy Niv vom Rennstall der Israel Cycling Academy.
    Er sagt: "Ich bin richtig aufgeregt. Es ist hier eine gute Atmosphäre, viele Zuschauer, und es ist ja auch meine erste Grand Tour."
    Der junge Mann wechselte erst im letzten Jahr vom Mountainbike auf die Straße. Jetzt als Neuprofi gleich das Grand Tour-Debüt - eine steile Karriere. Sein Anspruch:
    "Ich möchte auch das Ziel in Rom erreichen. Normalerweise gehen wir ja nicht in ein Rennen, um es nur zu beenden. Aber bei einer Grand Tour ist es nicht sicher, dass man sie beendet. Und ich möchte etwas schaffen, was keinem Israeli bisher gelang, und den jungen israelischen Fahrern zeigen, dass sie tatsächlich von einer Grand Tour träumen können."
    Erster Grand-Tour-Start außerhalb Europas
    Träume größer - das ist überhaupt das Motto dieses ersten Auslandsstarts einer Grand Tour außerhalb von Europa. Treibende Kraft ist der kanadische Immobilienmilliardär Sylvan Adams. Er finanziert das Team von Niv. Er stemmte einen großen Teil des Budgets des Giro-Starts. Er will mit dem Radsport Bilder eines schönen und friedlichen Israels um die Welt schicken.
    Adams' Tempo überraschte anfangs sogar die Giro-Macher: "Ja, klar, im ersten Moment war ich etwas verblüfft. Ich habe dann aber gesagt, die einzige Sache, auf die wir achten müssen, ist die Logistik. Denn das hat eine komplett andere Dimension im Vergleich zu einem normalen Start des Giro", sagt Giro-Direktor Mauro Vegni.
    Die Logistik-Probleme sind gelöst. Vegni freut sich auch, einmal der Tour de France ein Schnippchen geschlagen zu haben und der erste zu sein mit einem Start außerhalb von Europa: "Ja, da ist auch Stolz, vor den Freunden der Tour diesen Weg beschritten zu haben."
    "Ein historisches Erlebnis."
    Für die Organisatoren scheint das Vabanquespiel aufzugehen.
    "Ja, die ganze Kulisse ist eindrucksvoll. Ein historisches Erlebnis. Ich hätte nicht gedacht, dass die Israelis solche Radsportfans sind. Die stehen ja in fünf Reihen da vorne. Das ist für mich schon beeindruckend.", meint Willi Bruckbauer.
    Der Unternehmer aus Oberbayern finanziert den Rennstall Bora hansgrohe, der auch beim Giro dabei ist. Bruckbauer nutzt das Event, um seinen Geschäftspartnern und Händlern ein besonderes Erlebnis zu bieten. Und er beobachtet auch Auswirkungen über den Sport hinaus.
    "Ich denke auch, dass das für die Weltpolitik ein Segen ist. Ein Händler von uns, der Importeur, hat auch erzählt, dass er nicht für möglich gehalten hätte, dass Bahrain und die Arabischen Emirate überhaupt ein Team schicken dürfen. Und jetzt sind sie da. Das dient sehr viel zur Verständigung der Völker."
    Keine ganz große Harmonie
    Dass Teams mit arabischen Geldgebern hier in Israel am Start sind, ist tatsächlich bemerkenswert. Die ganz große Harmonie und Völkerverständigung bricht deshalb aber auch noch nicht aus.
    Während der Giro in Jerusalem startete, machte sich vom palästinensischen Ramallah aus eine Gruppe von 15 Radsportlern auf, um am Checkpoint Qalandia, etwa elf Kilometer vom Ziel des Prologs entfernt, zu protestieren. Nach Angaben einer Sprecherin der Gruppe wurde ein Mann eine Stunde von der Polizei festgehalten, weil er eine palästinensische Fahne geschwenkt hatte.
    Verletzung internationaler Abkommen
    Der Radsportverband Palästinas sandte zudem eine Beschwerde an die UCI, also den Radsport-Weltverband. Hintergrund: Der Giro-Start in Jerusalem verletze internationale Abkommen, weil er den Eindruck erwecke, es handele sich um eine geeinte Stadt, die komplett zu Israel gehöre.
    Auch sei der Giro von Firmen gesponsert, die in den Siedlungen auf den besetzten Gebieten tätig seien. Damit würde die israelische Besatzerpolitik legitimiert, teilte der Vorsitzende des Radsportverbandes, Abdullah Sharawi, dem Deutschlandfunk in einem Telefonat mit. Von der UCI war keine Auskunft über diese Beschwerde zu erhalten. Von einem Boykottaufruf sah der Radsportverband allerdings ab.
    Radsport als Türöffner?
    Ist das bereits ein Zeichen auf Hoffnung und Annäherung?
    "Ich denke, wenn man eine Erfahrung etwas außerhalb der politisch festgezurrten Verhältnisse macht, und schaut, was eine andere Zukunft sein kann, eine Welt des Dialogs, dann denke ich, dass da der Sport wirklich viel helfen kann." So lautet die leise Zuversicht vom Giro-Macher Vegni. Radsport als Türöffner, warum denn nicht?
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