Freitag, 19. April 2024

Archiv

Auslandsjahr trotz Pandemie
"Das Interesse an Europa ist gewachsen"

Schüleraustausch, Auslandsjahr nach dem Abi, Work-and-Travel - für viele junge Menschen ist ein Auslandsaufenthalt ein Traum. Durch Corona sei das schwieriger geworden, aber weiter möglich, sagte Michael Eckstein von der Stiftung Völkerverständigung im Dlf. Was nicht gehe, seien die "Sehnsuchtsländer".

Michael Eckstein im Gespräch mit Britta Mersch | 08.09.2021
Messebesucher informieren sich in Berlin auf der Schüleraustausch-Messe über einen Jahresaufenthalt in den USA.
Schülerinnen und Schüler können trotz Corona wieder in die USA, so der Experte (imago / Maurizio Grambini)
Australien und Neuseeland seien die Traumländer für viele junge Menschen bei einem Auslandsjahr, aber derzeit praktisch geschlossen, sagte Michael Eckstein von der Deutschen Stiftung Völkerverständigung im Dlf. Die gemeinnützige Stiftung fördert nach eigenen Angaben seit 2001 Auslandsaufenthalte und -erfahrungen junger Menschen. Aber trotz Pandemie seien Auslandsaufenthalte zum Beispiel nach dem Abitur weiterhin möglich - etwa in den USA oder in europäischen Ländern. Man müsse aber genau auf den Anbieter achten.

Machen, was geht

Britta Mersch: Mit welchen Fragen wenden sich Schüllerinnen und Schüler im Moment an Sie?
Michael Eckstein: Das Verblüffende ist die jungen Leute kommen mit denselben Fragen wie vor Corona. Sie wollen wissen, worauf sie zu achten haben, was denn überhaupt möglich ist und was auch für sie selbst passen könnte, welche Länder in Betracht kommen, worauf man bei der Auswahl an der Schule im Ausland achten muss oder wer nach dem Abitur ins Ausland will, welche Programme es da gibt und was man bedenken muss, wenn man das machen möchte.
In der Corona-Zeit kommt jetzt natürlich noch dazu die Frage - allerdings seltener von den jungen Leuten, sondern mehr von den Müttern und den Vätern: Ist das sicher genug? Kann man das überhaupt machen? Und worauf muss man sich da einstellen? Die jungen Leute sind da, offensichtlich eher der Meinung, dass sie das machen, was geht, auch wenn ihnen klar ist, dass die Regularien rund um Corona sowohl in Deutschland als auch in der Welt dann natürlich Dinge verändern und auch manche Möglichkeiten zurzeit nicht zu bestehen.

USA geht, Australien geht nicht

Mersch: Das heißt, man ist zum Beispiel bei der Wahl des Landes schon mal etwas eingeschränkt als je nachdem, ob gerade Menschen von außerhalb reingelassen werden oder nicht zum Beispiel?
Eckstein: Ja. Das beste Beispiel gerade für junge Leute ist, dass die Sehnsuchtsländer Australien und Neuseeland mindestens bis nächstes Frühjahr quasi völlig geschlossen sind für Ausländer - auch für junge Leute. Und so wie die Regierungspolitik dort ist, erwarte ich eigentlich nicht, dass da vor Herbst nächsten Jahres an etwas zu denken ist. Im Gegenzug kann man seit August letzten Jahres, also 2020, als Schüler in die USA. Das ist nur nicht so in der Öffentlichkeit bekannt.
Schüleraustausch-Messe "Auf in die Welt" - Fernweh, Karriereplanung, Völkerverständigung
Ein Au-pair-Aufenthalt in den USA, ein Internatsbesuch in Kanada, ein "Gap Year" vor dem Studium: Auslandsaufenthalte für Schülerinnen und Schüler sind mittlerweile fast Standard – und machen sich gut auf dem Lebenslauf. Den meisten jungen Leuten ist wichtig, möglichst weit wegzufliegen.
Mersch: Okay, das ist möglich, ist es denn so, dass dann jetzt doch eher aus europäische Ausland geschaut wird, weil das dann doch vielleicht auch noch mal einfacher ist dahinzugehen. Also hat sich das so ein bisschen verschoben die Wahl des Landes im Moment?
Eckstein: Das ist auf jeden Fall so zu beobachten, wobei man sich im Klaren sein muss die jungen Leute wollen doch bevorzugt in Länder, in denen Englisch gesprochen wird. Das kann man bedauern, gerade wenn man Fan von zum Beispiel Frankreich ist. Aber das ist so, und da ist die Auswahl in Europa dann natürlich nicht mehr ganz so groß. Aber Großbritannien, auch wenn es jetzt nicht mehr zur EU gehört, hat da gewonnen im letzten Jahr an Interesse und Irland - und durchaus auch die anderen Länder. Allerdings ist da häufig dann so ein gewisser Vorbehalt wegen der Sprache gewesen. Aber das Interesse an Europa ist gewachsen, und das ist ja vielleicht doch nicht so schlimm.

Planen möglich für 2022?

Mersch: Wenn man aber jetzt plant, plant man ja wahrscheinlich für in einem Jahr. Bis dahin kann sich ja schon vieles wieder noch mal geändert haben. Also sei es, weil es mehr Impfungen gibt, weil sich die Regularien dann doch noch einmal geändert haben. Also was ist jetzt überhaupt schon möglich zu planen - wenn man jetzt wirklich in der Zukunft einen Auslandsaufenthalt planen möchte?
Eckstein: Der Punkt, mit dem Sie natürlich völlig Recht haben, ist die Ungewissheit, wie das in den verschiedenen Ländern laufen wird. Denn auch wenn Deutschland beim Impfen nicht gerade die erste Nation war, sind wir ja doch bei den Ländern jetzt inzwischen dabei, die da vorneweg sind. In die englischsprachigen Länder, die bei den meisten jungen Leuten das Hauptziel sind, nämlich in Nordamerika, USA, Kanada, in Europa, dann eben die gerade genannten Großbritannien und Irland wird man reisen können.
Großbritannien hat im Sommer dieses Jahres die meisten Corona-Beschränkungen aufgehoben bereits. Also das wird sicherlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so wie früher gewohnt, machbar sein. Die Länder in Süd- und Mittelamerika sind zurzeit schon teilweise wieder geöffnet. Also wir haben Stipendiatinnen, die sind in Costa Rica, und das ist da völlig problemlos. Allerdings gibt es dann auch Länder, bei denen ist das mit dem Gesundheitssystem sehr fragil, sodass man nicht weiß, ob das im nächsten Sommer schon gehen wird. Afrika wird vermutlich im nächsten Sommer auch noch schwierig sein. Das betrifft weniger den Schüleraustausch, also junge Leute vor dem Abitur, sondern mehr junge Leute, die nach dem Abitur ein Gap hier machen wollen. Denn so etwas wie Freiwilligendienste in der Dritten Welt findet ja häufig in Afrika statt. Zurzeit findet er gar nichts statt, und das wird so, wie die Gesundheitssysteme dort zurzeit aussehen, vermutlich auch noch etwas dauern.

Hoher Betreuungsbedarf wegen Pandemie

Mersch: Also Gap ist was man macht zwischen Schule und Ausbildung und zwischen Schule und Studium. Jetzt ist es aber so, dass Sie ja erst einmal beraten. Und wenn ich dann als Schüler als Schülerin aktiv werden möchte, brauche ich ja doch eine Organisation, die mir hilft. Also sei es eine Gastfamilie zu finden, sei es, die passende Stelle zu finden, wo ich arbeiten kann. Wie finde ich denn dann die Organisation, die mir auch hilft auf dem Weg ins Ausland?
Eckstein: Sowohl für junge Leute, die im Schulalter ins Ausland wollen, gibt es Organisationen, die darauf spezialisiert sind. Es sind sogenannte Austauschorganisationen, die die Reise von der Haustür zuhause bis zur Haustür der Gasteltern in den USA oder wo auch immer organisieren und betreuen und dann auch vor Ort für die jungen Leute da sind, falls es ein Problem gibt. Das funktioniert relativ reibungslos, weil man da eine Struktur hat, die bereits darauf gerichtet ist, die jungen Leute rundum zu betreuen. In den Zeiten von Corona hat sich das jetzt doppelt bewährt, weil dieser Betreuungsbedarf jetzt natürlich höher ist.
Auf der anderen Seite muss man wissen, dass diese Branche durch diese diversen Lockdowns natürlich wirtschaftlich sehr in Mitleidenschaft gezogen ist. Und ein guter Teil der Institutionen, die man von früher als leistungsfähig kennt, inzwischen nur noch eine Website sind und kaum noch Personal haben. Wenn überhaupt. Sofern muss man besonders aufpassen, dass man da nicht dann auf Dinge kommt, die nicht wirklich funktionieren können. Wir beobachten den Markt und sehen, dass da einige ehemals sehr anerkannte Firmen inzwischen faktisch nicht mehr existieren. Diejenigen, die weiter arbeiten und weiterhin professionell arbeiten, kann man auf unseren Messen und auf unserer Website finden.

Es lohnt sich, die Welt kennenzulernen

Mersch: Okay, das heißt, da sind Sie auch beratend tätig. Ganz grundsätzlich würden sie aber schon immer noch zu einem Auslandsaufenthalt raten im Moment?
Eckstein: Auf jeden Fall, wir haben im letzten Schuljahr wieder Stipendiatinnen, das waren alles junge Damen, gehabt, die im Ausland waren. Die haben schon berichtet, dass das Leben auch im Ausland mit Corona anstrengend ist. Aber sie haben auch genauso berichtet, dass es sich für sie rentiert hat, die Welt kennenzulernen und das Interesse auch die Anzahl der Fragen und der Besucher auf unseren Messen zeigt, die jungen Leute wollen das, nutzen diese Möglichkeiten, sobald es wieder geht, und in dem Umfang, in dem es geht. Zumindest in die Hauptzielländer, denke ich, wird sich das relativ schnell wieder normalisieren. Im Moment haben wir ja sogar den Effekt, dass es einen gewissen Nachholbedarf gibt, weil im letzten Jahr halt viele junge Leute nicht ins Ausland gehen konnten und jetzt die Anzahl der Plätze schon fast knapp wird.

Möglichkeiten nach dem Abitur deutlich eingeschränkt

Mersch: Aber grundsätzlich geht schon beides, also, dass man während des Schuljahres ins Ausland geht, also ein Schuljahr im Ausland verbringt und dass man auch Work-and-Travel macht. Oder gibt es da im Moment Unterschiede?
Eckstein: Im Grundsatz ist beides möglich. Die Möglichkeiten nach dem Abitur sind zurzeit allerdings deutlich eingeschränkt - aus zwei Gründen. Zum einen gibt es Länder, die praktisch verschlossen sind, und das sind gerade bei Work-and-Travel die Traumländer Australien und Neuseeland. Und auf der anderen Seite gibt es halt viele Möglichkeiten im Praktischen nicht bei sie benötigen ja Reisemöglichkeiten im Ausland, und sie benötigen Arbeitsplätze im Ausland. Und für beides ist die Stimmung in vielen Ländern zurzeit gerade nicht so gut, sodass Angebote für junge Leute nach dem Abitur zurzeit rar sind, was man sicher machen kann es innerhalb der EU, weil da ja die Reisefreiheit und auch die Wirklichkeit zu arbeiten besteht. Aber auch da müssen Sie natürlich dann einen Arbeitsplatz in Frankreich oder in Spanien oder wo auch immer erst mal finden. Also ist das schon möglich, aber sehr viel eingeschränkter als im Schulbereich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.